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Samstagsbrief: Frau Roth, warum ist es eigentlich so schwer, zum richtigen Zeitpunkt das Richtige zu sagen?
Nach dem israelfeindlichen Berlinale-Eklat am Samstag brauchte Kulturstaatsministerin Claudia Roth bis Montag, um ein Statement abzugeben. Darüber wundert sich unser Autor.
Claudia Roth auf der Berlinale. Sie hat angekündigt, dass die antisemitischen Vorfälle aufgearbeitet werden.
Foto: Monika Skolimowska, dpa | Claudia Roth auf der Berlinale. Sie hat angekündigt, dass die antisemitischen Vorfälle aufgearbeitet werden.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 29.04.2024 02:43 Uhr

Sehr geehrte Frau Roth, manchmal ist das, was Politikerinnen und Politiker nicht sagen, aufschlussreicher als das, was sie sagen. Und wenn sie dann doch etwas sagen, spielt der Zeitpunkt eine wichtige Rolle. Kommt ein Statement rechtzeitig? Oder kommt es zu spät? Und warum ist es eigentlich so schwer, zum richtigen Zeitpunkt das Richtige zu sagen?

Der jüngste Vorfall auf großer deutscher Kulturbühne zeigt das Problem sehr gut: Auf dem Filmfestival Berlinale kommt es bei der Bärenverleihung am Samstag - in Ihrer Anwesenheit - zu einem israelfeindlichen Eklat, und Sie äußern sich erst am Montag dazu, sieht man von einem gänzlich unkritischen Post auf X am Samstagabend ab: "Die Berlinale hat auch dieses Jahr wieder große und kleine Filme, die ganze Vielfalt an Geschichten und Perspektiven der Welt nach Berlin gebracht."

Auf der Bärenverleihung allerdings wurde nur eine ganz bestimmte Perspektive nach Berlin gebracht: die antiisraelische. Einige Jurymitglieder und Preisträgerinnen und Preisträger nutzten das Podium, um sich einseitig mit den Palästinensern zu solidarisieren. Es fielen die Begriffe "Genozid", "Apartheid" und "Terror". Auf den Terror der Hamas wies außer Berlinale-Leiterin Mariette Rissenbeek niemand hin, berichtet etwa die F.A.Z.

Erschwerend kommt hinzu, dass auf der Instagram-Seite der Berlinale-Reihe "Panorama" am Sonntag der Post "Free Palestine - From the River to the Sea" auftauchte. Die unverblümte Forderung nach der Vernichtung Israels also. Die Berlinale distanzierte sich und äußerte die Vermutung, die Seite sei gehackt worden. Sonderbar.

Schon wieder Antisemitismus bei einer vom Staat üppig geförderten deutschen Kulturveranstaltung

Als auf der documenta fifteen 2022 ein riesiges antisemitisches Wimmelbild für einen Skandal sorgte, warf man Ihnen schon einmal eine allzu zögerliche Reaktion vor, Frau Roth. Nun also wieder Antisemitismus-Vorwürfe gegen eine vom Staat üppig geförderte deutschen Kulturveranstaltung. Und wieder dauert es, bis klare Worte von der Kulturstaatsministerin kommen.

Ihr Schweigen übers Wochenende ist registriert worden, Frau Roth. Es sei die Frage aufgekommen, "was Claudia Roth eigentlich beruflich mache", schreibt etwa Susan Vahabzadeh in der Süddeutschen Zeitung. Der Bund fördert die Berlinale mit gut 12 Millionen Euro. Aber nicht nur deshalb wäre eine schnelle, unmissverständliche Wortmeldung durchaus angemessen gewesen.

Ben Russell (links) und Servan Decle (rechts) tragen bei der Abschlussgala im Berlinale-Palast Palästinensertücher auf der Bühne, nachdem sie zusammen mit Jay Jordan und Guillaume Cailleau für den Film 'Direct Action' den Encounters Preis gewonnen haben.
Foto: Monika Skolimowska, dpa | Ben Russell (links) und Servan Decle (rechts) tragen bei der Abschlussgala im Berlinale-Palast Palästinensertücher auf der Bühne, nachdem sie zusammen mit Jay Jordan und Guillaume Cailleau für den Film "Direct ...

Am Montag haben Sie die Auftritte bei der Bärenverleihung schließlich als "erschreckend einseitig und von einem tiefgehenden Israel-Hass geprägt" verurteilt. "Zu spät und zu wenig nachdrücklich", kritisiert Ludwig Spaenle, Antisemitismusbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung. Nun ist Spaenle CSU-Mitglied, und die Grünen, denen Sie ja angehören, sind derzeit eines der Lieblingsfeindbilder der CSU, aber in diesem Punkt liegt Spaenle nicht ganz falsch, finde ich.

Die Ankündigung der Aufarbeitung klingt eher nach politischem Reflex als nach echter Initiative

Auch Ihre Ankündigung, die Ereignisse würden aufgearbeitet, Frau Roth, klingt eher nach politischem Reflex als nach echter Initiative. Richtiger wäre es, sich endlich der Frage zu stellen, warum gerade Teile der Kulturszene sich so schwertun, Antisemitismus klar zu verurteilen. Dem Statement von Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, merkt man denn auch eine gewisse Verzweiflung an: "Hetze gegen Israel und Juden auf deutschen Kulturveranstaltungen ist eine erschreckende Regelmäßigkeit geworden."

Israels Botschafter Ron Prosor schrieb auf X: "Ihr Schweigen, sogenannte 'Kultur-Elite', ist ohrenbetäubend!" Nun ist Prosor sicher keine der gemäßigten Stimmen. So schießt seine Behauptung, die deutsche Kulturszene rolle den roten Teppich ausschließlich für Künstler aus, "die sich für Israels Delegitimierung einsetzen", weit über das Ziel hinaus. Aber eine gewisse Tendenz haben auch andere beobachtet. Ludwig Spaenle etwa spricht von einem "dramatischen Verlust von Sensibilität für Antisemitismus und Verantwortung gegen Judenhass in der bundesdeutschen Kulturpolitik".

Das Wort ergreifen, wo die Kunstfreiheit als Freibrief für Menschenfeindlichkeit herhalten muss

Eine Menge Stoff zur Aufarbeitung also. Wo wollen Sie da anfangen, Frau Roth? Nach dem Berlinale-Eklat wird nun nicht mehr nur Ihre späte Reaktion auf die antiisraelischen Einlassungen diskutiert, sondern auch, wann und wem Sie während des Festakts genau applaudiert haben und ob Sie nicht unter Protest hätten aufstehen müssen.

Ich halte das für müßig, aber vielleicht kann die Diskussion dazu beitragen, dem Amt der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, so Ihr voller Titel, neues Gewicht zu verleihen. Kultur ist in Deutschland Ländersache, deshalb kann die Bundesbeauftragte nur begrenzt Einfluss auf die tatsächlichen Verhältnisse nehmen. Aber sie kann humanistische Werte überall da einfordern, wo die Kunstfreiheit als Freibrief für Menschenfeindlichkeit herhalten muss.

Mit erwartungsvollen Grüßen

Mathias Wiedemann, Redakteur

Persönliche Post: der Samstagsbrief

Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.
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  • Martin Heberlein
    Herrn Wiedemann müsste eigentlich bewusst gewesen sein, dass sein Samstagsbrief vor allem das primitivste Grünen-Bashing befördert ("Die hat ja noch nicht einmal eine Berufsausbildung"). Zum Inhalt:
    Durch den von Deutschland verursachten Holocaust, die Vertreibung der Juden, die anschließende Ansiedlung eines Teils der Vertriebenen auf Palästinenser-Gebiet und die darauf folgende massenhafte Vertreibung von Palästinensern aus ihren Dörfern hat Deutschland nicht nur Verantwortung für das Leid der Juden, sondern letztlich auch für das Leid der Palästinenser. Insofern sollte eine Forderung nach einem freien Palästina doch eine moralische Selbstverständlichkeit sein, genauso wie eine Forderung nach einem sicheren Staat Israel. Dass das Pendel angesichts des Leides, das die REGIERUNG NETANJAHU - von niemand anderem spreche ich - im Gaza-Streifen anrichtet, eher zur Seite der Palästinenser (nicht der Hamas) neigt, darf eigentlich niemanden verwundern.
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  • Steffen Cyran
    Genau. Deutschland trägt für alles und jeden auf diesem Globus die Alleinverantwortung. Sogar für das Klima der Erde und das Weltall.

    Amen.
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  • Martin Deeg
    ..“Kultur ist …Ländersache, deshalb kann die Bundesbeauftragte nur begrenzt Einfluss auf die tatsächlichen Verhältnisse nehmen. Aber sie kann humanistische Werte überall da einfordern, wo die Kunstfreiheit als Freibrief für Menschenfeindlichkeit herhalten muss.“

    Bitte? Ich bezweifle, dass es „menschenfeindlich“ ist, wenn das menschenverachtende Vorgehen der israelischen Regierung mit Folge der Tötung von 30.000 Zivilisten kritisiert wird. Auch dann nicht, wenn nicht (! ) im gleichen Atemzug die „Ursache“, der Angriff der Hamas, benannt und gebrandmarkt wird (was ohnehin jedem bewusst und bekannt ist).

    Thomas Fischer, juristisch dazu:

    „Ein Kriegsverbrechen ist nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Gegner ebenfalls ein Kriegsverbrechen begangen hat. …Die 10.000 toten palästinensischen Kinder hatten garantiert ebenso wenig Verbrechen begangen wie die Opfer des Massakers vom 7. Oktober. Eine irgendwie aufrechenbare, gerechtfertigte »Rache« an ihnen kann es daher …nicht geben.“
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  • Stefan Wolz
    Also man kann ja wohl nicht alles für gut heißen und rechtfertigen, was Israel gerade so treibt!
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  • Steffen Cyran
    Frau Roth fügt sich hier nahtlos ein in die Reihe mit Habeck, Kühnert, Lauterbach, Lang und den anderen "Ungelernten": sie ist schlicht mit ihrer Aufgabe überfordert.
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  • Jutta Nöther
    Vielleicht wollte sie ja einfach nur mal nachdenken, bevor sie was sagt?
    Wäre so manch einem ihrer Kollegen (jeglicher Partei!) durchaus auch mal zu empfehlen ...
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  • Dietmar Eberth
    Sie haben die letzten überforderten Bundesverkehrsminister Scheuer, Dobrindt und Ramsauer vergessen.
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  • Lutz Saubert
    Antisemitismus kommt leider nicht nur von rechts sondern ist auch tief im linken (Kultur)milieu verwurzelt. Wer die Augen davor verschließt, tut der Demokratie keinen Gefallen. Frau Roth wirkt hier überfordert und lässt sich immer treiben. Leider hat sie zu den antisemitischen Ausfällen alarmiert.
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  • Lutz Saubert
    Das letzte Wort muss applaudiert heißen.
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  • Martin Deeg
    ...."Leider hat sie zu den antisemitischen Ausfällen alarmiert."

    Nein, Herr Saubert, das ist schlicht falsch! Etwas wird nicht deshalb wahr, weil man es wiederholt.

    Erstens setzt Ihre Aussage voraus, dass hier nicht nur israelkritische oder israelfeindliche Aussagen getätigt wurden - sondern klar "judenfeindliche", was nach objektiver Lesart nicht der Fall ist.

    Und zweitens hat Frau Roth auch mitgeteilt, wann sie "applaudiert" hat - und wann nicht.
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  • Martin Deeg
    Autokorrektur-Fehler kopiert - mein Fehler.
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  • Lutz Saubert
    "Und zweitens hat Frau Roth auch mitgeteilt, wann sie "applaudiert" hat - und wann nicht."
    Die Bilder sprechen eine andere Sprache.
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  • Martin Deeg
    Viel interessanter als die letztlich irrelevante Frage, wann Frau Roth „applaudiert“ hat, finde ich die kaltschnäuzige „Entlarvungswut“ , die z.T. schwer zu überbietende Selbstüberhöhung und Selbstüberhebung diverser „Kritiker“ hier, die offenbar vor nichts zurückschrecken, wenn es darum geht, jemandem verächtlich zu machen und regelrecht zu „verdammen“ und man auch vor offensichtlichem Missbrauch (!) des Antisemitisvorwurfs nicht zurückschreckt!
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  • Lutz Saubert
    Interessant, dass das Firmenchef immer eine Einbahnstraße ist. Kritik geht immer nur in eine Richtung.
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  • Lutz Saubert
    Wieder diese Autokorrektur. Ist natürlich kein Firmenchef sondern Verächtlichmachen.
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  • Martin Deeg
    (Dann habe ich richtig vermutet).

    Kritik sollte man immer sachlich begründen können.
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  • Lutz Saubert
    Gerade Sie lassen an keiner Aussage aus dem konservativen Lager ein gutes Haar. Sachliche Begründungen sind oft fehl am Platz. Hätte Markus Söder im Publikum gesessen und applaudiert, wäre Ihr Kommentar sicher anders ausgefallen, oder?
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  • Martin Deeg
    Da ich selbst u.a. (wert-)konservativ bin, geht Ihre projektive Spekulation mal wieder ins Leere.

    Markus Söder ist hingegen für mich vieles, aber sicher kein Konservativer. Wozu der „applaudiert“ oder nicht richtet sich üblicherweise nicht nach irgendeiner Überzeugung und ist deshalb irrelevant.
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  • Wolfgang Sobtzick
    Ich glaube kaum, dass Fr. Roth zu judenfeindlichen Äußerungen applaudiert hätte. Israelkritische Aussagen sind im Gegensatz zu judenfeindlichen nicht antisemitisch! Auch wenn dies von gewissen Seiten gerne vermischt wird...
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  • Martin Deeg
    Das Ziel scheint mittlerweile zu sein, dass bereits schlichte Aussagen wie „Free Palestine“ als antisemitisch eingeordnet werden, weil dies vorgeblich Israel das Existenzrecht absprechen soll…dann gibt es allerdings ein Problem.

    Wie sehr man aufpassen muss, dass so etwas nicht in inquisitorischen Fanatismus abrutscht - was ja vor allem den tatsächlichen Demokratiefeinden und Antisemiten nützt und der moralischen Selbsterhöhung diverser „Kritiker“ dient - zeigt dieses Forum exemplarisch.

    Wie diese Posse hier zum Teil völlig schamlos missbraucht wird, um die integre Demokratin Claudia Roth zu diffamieren und in eine Ecke zu stellen sagt wie so oft, viel über die jeweiligen Interessenlagen und Gemütslagen aus.
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