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Würzburg
Samstagsbrief: Herr Schuster, Ihr Ärger über diese ewigen judenfeindlichen Klischees ist verständlich
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, kritisiert die Documenta scharf. Unser Autor meint, der Disput legt einen zutiefst unfairen Mechanismus offen.
'Kunstfreiheit endet dort, wo Menschenfeindlichkeit beginnt.' Josef Schuster  übt harte Kritik an der Documenta.
Foto: Christian Charisius, dpa | "Kunstfreiheit endet dort, wo Menschenfeindlichkeit beginnt." Josef Schuster  übt harte Kritik an der Documenta.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:10 Uhr

Sehr geehrter Herr Schuster, ich kann Ihren Ärger sehr gut verstehen. Und ich könnte auch sehr gut verstehen, wenn sich in diesen Ärger Wut, Verzweiflung und Erschöpfung mischen würden. Was dieser Tage auf der Documenta in Kassel passiert, muss in Ihnen als Vorsitzendem des Zentralrats der Juden in Deutschland ein Gefühl der Vergeblichkeit und des Rückschlags auslösen.

Nach all den Jahrzehnten der Aufklärung, des Dialogs, der Warnungen und der Kritik, nach all den Initiativen, jüdisches Leben und jüdische Kultur zu erklären, nach all der harten Arbeit, alte und neue Vorurteile zu widerlegen, feiern nun ausgerechnet auf der weltweit wichtigsten Ausstellung für zeitgenössische Kunst judenfeindliche Klischees grausige Urständ. Wäre man zynisch, würde man sagen, das liegt im allgemeinen Trend, aber ein Trost ist das natürlich nicht. Im Gegenteil.

Dass die Bildsprache antisemitisch ist, leugnet niemand

Das krasseste Documenta-Beispiel unter einigen: Auf einem riesigen – inzwischen abgehängten – Wimmelbild des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit dem Titel "People's Justice" (Volksgerechtigkeit) ist ein Soldat mit Schweinegesicht, Davidstern und der Aufschrift "Mossad" auf dem Helm zu sehen. An anderer Stelle des Bildes eine Figur mit Raffzähnen, blutunterlaufenen Augen, Hakennase, Schläfenlocken, Kippa und einem Hut mit "SS"-Runen.

Auf dem Wimmelbild des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit dem Titel 'People's Justice'  ist ein Soldat mit Schweinegesicht, Davidstern und der Aufschrift 'Mossad' auf dem Helm abgebildet.
Foto: Uwe Zucchi, dpa | Auf dem Wimmelbild des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit dem Titel "People's Justice"  ist ein Soldat mit Schweinegesicht, Davidstern und der Aufschrift "Mossad" auf dem Helm abgebildet.

Immerhin: Dass diese Bildsprache antisemitisch ist, leugnet niemand. Das machen auch Hinweise auf die Kunstfreiheit ("Eine freie Welt muss das ertragen", so der – inzwischen zurückgetretene – Vorsitzende des Fördervereins Documenta-Forum) oder den historischen Kontext nicht besser. Das Bild ist 20 Jahre alt und bezieht sich auf die Suharto-Diktatur in Indonesien 1967 bis 1998. Die Künstlergruppe leugnet jede antisemitische Absicht und fühlt sich missverstanden: "Das Werk wird nun zu einem Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs." Fragt sich nur, welche Art von Dialog das hätte werden sollen.

Inzwischen hat sich das indonesische Kuratoren-Kollektiv Ruangrupa, das für die Werkauswahl zuständig war, entschuldigt: "Wir haben alle darin versagt, in dem Werk die antisemitischen Figuren zu entdecken", heißt es auf der Homepage der Documenta.

Antisemitisches Klischee: Ausschnitt des umstrittenen Großgemäldes des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf dem Kasseler Friedrichsplatz.
Foto: Uwe Zucchi, dpa | Antisemitisches Klischee: Ausschnitt des umstrittenen Großgemäldes des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf dem Kasseler Friedrichsplatz.

Monatelang hatte es Warnungen vor antisemitischen Tendenzen bei Ruangrupa gegeben. Auch anderen an der Documenta beteiligten Künstlern und Aktivisten wurde Nähe zur antiisraelischen Boykott-Bewegung BDS nachgesagt, die der Bundestag 2019 als antisemitisch verurteilt hat.

Jetzt sind (fast) alle entsetzt, aber niemand hat es kommen sehen

Jetzt sind (fast) alle entsetzt, aber niemand hat es kommen sehen. Die Generaldirektorin der Documenta, Sabine Schormann, merkt an, es sei nicht ihre Aufgabe, Kunst zu kontrollieren oder gar zu zensieren. Kulturstaatsministerin Claudia Roth, Vertreterin des wichtigen Geldgebers Bund, hatte noch vor zwei Wochen gesagt: "Ich werde nicht als Kulturpolizistin den Daumen heben oder senken."  Alles richtig, vom Ergebnis her aber doch falsch.

Elke Buhr, Chefredakteurin des Kunstmagazins "Monopol", nannte gar die Eröffnungsrede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen "Skandal", weil dieser kritisiert hatte, dass auf der Ausstellung keine jüdischen Künstlerinnen und Künstler aus Israel vertreten seien. "Ein Boykott Israels kommt einer Existenzverweigerung Israels gleich", hatte der Präsident gesagt. "Nirgendwo auf der Documenta wird das Existenzrecht Israels in Frage gestellt", kommentierte Buhr noch am Eröffnungstag.

Abgenommen: An diesem Gerüst hing das umstrittene Großbanner 'People's Justice', das wegen antisemitischer Elemente in die Kritik geraten war.
Foto: Uwe Zucchi, dpa | Abgenommen: An diesem Gerüst hing das umstrittene Großbanner "People's Justice", das wegen antisemitischer Elemente in die Kritik geraten war.

Das muss Ihnen doch wie Hohn vorkommen, lieber Herr Schuster. Sie hatten zu den Warnern gehört, was Ihnen unter anderem den indirekten Vorwurf des Rassismus eingebracht hatte. Weil ein Großteil der eingeladenen Künstlerkollektive aus dem sogenannten "globalen Süden" stammen. Sie, Herr Schuster, erwiderten: "Es spielt jedoch keine Rolle, woher Künstler stammen, die Antisemitismus verbreiten. Kunstfreiheit endet dort, wo Menschenfeindlichkeit beginnt. Auf der Documenta wurde diese rote Linie überschritten."

Manche sehen in der Debatte eher eine Art Sport

Das sehen nicht alle so: "Es gibt ja wenig, was man in Deutschland so sehr liebt wie eine gepflegte Antisemitismusdebatte", schreibt Tobias Rapp im "Spiegel", als ginge es um eine Art Sport. Noch unfairer aber ist folgender Effekt: Der Präsident des Zentralrats der Juden muss natürlich judenfeindliche Kunst kritisieren und steht damit in den Augen mancher wieder mal als Vertreter einer Minderheit da, die nur darauf warte, verletzt aufzuheulen.

Das ist das vielleicht Ärgerlichste an dem ganzen Fall: Dass die Kritik an antisemitischen Klischees dazu missbraucht wird, antisemitische Klischees zu bedienen. Wie gesagt, sehr geehrter Herr Schuster, sollten Sie ein Gefühl der Vergeblichkeit und Erschöpfung empfinden, ich könnte es wirklich verstehen. Ich bin dennoch zutiefst davon überzeugt, dass Ihre Arbeit nicht vergeblich ist.

Mit besorgten Grüßen

Mathias Wiedemann, Redakteur

Persönliche Post: der "Samstags brief"

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  • stefan.wolz@web.de
    Warum ist das hier in Deutschland so ein Thema? Wird das in Indonesien auch so medial ausgeschlachtet? Oder ist das jetzt unser Fehler weil die documenta in D veranstaltet wird?
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  • steffen.cyran@freenet.de
    Irgendwo ist es schon richtig, auch der Kunst Grenzen zu setzen, wenn sie beleidigend oder diskriminierend wird.

    Mich erstaunt aber, welch unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden. So darf ein H. Böhmermann ungestraft Erdogan einen Ziegenficker etc. nennen, das wird im Rahmen der "künstlerischen Freiheit" durchgewunken.
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  • kej0018@aol.com
    Bereits vor Eröffnung der Documenta war die Kontroverse bekannt, würde aber nur weitgehend akademisch diskutiert, man warf im Kulturbereich maximal mit Wattebällchen. Nun zu behaupten, man bzw. frau hätte nichts geahnt, geschweige denn gewusst grenzt an Lächerlichkeit. Freiheit hat da ihre Grenzen, wo andere verletzt werden, das gilt auch für die künstlerische Freiheit.
    Eine Auseinandersetzung über das politische Geschehen in Israel ist legitim, in allen Bereichen, somit natürlich auch in der Kunst. Aber Antisemitismus, in Klischees vom raffgierigen Juden gepackt, kritisiert nicht gesellschaftliche Zustände in einem Land, das eine schwierige innenpolitische Situation zu bewältigen hat. Das zeugt nur von Unverständnis und platterer Dummheit.

    Die Documenta sollte sich für derart billiger Polemik zu schade sein, vielleicht muß man das Konzept für die Zukunft überarbeiten..
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  • U4564@gmx-ist-cool.de
    Herr Scholz täte gut daran, bei Frau Roth den Damen zu senken
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  • fredee
    Dazu Barrie Kosky, der international renommierte Intendant der Komischen Oper in Berlin (aus der SZ ):

    *Wird in Deutschland zu viel oder zu ­wenig über Antisemitismus gesprochen?*
    Antisemitismus ist kein jüdisches, sondern ein deutsches Problem, das mal vorneweg. Und ehrlich gesagt beschäftige ich mich als Künstler kaum damit, aber mache mir Sorgen, weil sich die Deutschen in eine gefährliche Sackgasse manövriert haben.
    *Inwiefern?*
    Einerseits tun sie sich aufgrund ihrer Geschichte schwer, Israel zu kritisieren, andererseits wittern die Antisemitismusbeauftragten inzwischen überall Antisemitismus. Ich finde das gefährlich, vor allem wenn Journalisten oder Politiker sich nicht mehr trauen, dagegen zu argumentieren. Denken Sie an die Antisemitismus-Debatte rund um die Documenta, wo ich zu hundert Prozent auf der Seite des Kuratoren-Teams stehe. Oder die Liste mit vermeintlich antisemitischen Straßennamen in Berlin. Niemand hat was davon, wenn wir den Richard-Wagner-Platz umbenennen.
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  • FischersFritz
    Bei aller Kritik an den “Documenta“-Verantwortlichen sollte man aber doch eines nicht vergessen:

    Antisemitismus zu zensieren, beseitigt ihn nicht. Zensur sorgt lediglich dafür, dass etwas nicht mehr in das Licht der Öffentlichkeit gerät. Auch ohne die „Documenta“ wären die Bilder noch existent, die Intentionen und das Gedankengut noch genauso vorhanden.

    Es mag ein sehr, sehr schwacher Trost in diesem Fall sein, dass die auf der „Documenta“ gezeigte „Kunst“ mit antisemitischen Elementen eine öffentliche Debatte darüber doch erst ermöglicht.

    Und das, werte Herren Wiedemann und Schuster, halte ich für ein wichtiges Instrument im Kampf gegen den Antisemitismus.

    Die öffentliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen und Erscheinungen hilft, die Menschen und ihre Aufmerksamkeit gegenüber Antisemitismus zu sensibilisieren.

    Und wie gerade das aktuelle "Documenta"-Beispiel zeigt, ist das außerordentlich wichtig. Man hat es nicht erkannt!

    Zensur kann das nicht leisten …
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  • MedDeeg@web.de
    Mit der Lebenswirklichkeit der Menschen hat diese ganze Posse nichts zu tun, ein um sich selbst kreisendes mediales System beschäftigt sich mit sich selbst.

    Man muss zu einer solchen Posse auch keine "Haltung" haben und schon gar kein "Entsetzen" vorgaukeln, wie es die sonst selbst jedes Klischee ausschlachtende BILD jetzt tut, indem sie in "Höcke-Terminologie" (Thomas Fischer) von einer "Kunstausstellung der Schande" faselt....maximale Heuchelei.
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