Möglicherweise der Traum jedes Auktionators: Da spaziert ein Mann mit einem Karton unterm Arm in den Laden und möchte einige Heiligenfiguren versteigert haben. Die Sammlung ist seit ein paar Generationen in der Familie, die Kinder haben kein Interesse, die Schätze sollen nicht irgendwann in einer Wohnungsauflösung landen. Der Auktionator sichtet das Konvolut, findet durchaus Qualitätvolles, plötzlich aber hat er zwei Stücke in der Hand, die ihn innehalten lassen...
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So oder so ähnlich ist das Clemens Kempf widerfahren, der in der Würzburger Semmelstraße das Auktionshaus Kempf betreibt. Zwei- bis dreimal im Jahr lädt er zu Auktionen, wobei bewusst vielerlei Objekte unter den Hammer kommen, Hochpreisiges ebenso wie Fundstücke für das kleine Budget. Designermöbel, Silber, Grafik, Gemälde, Porzellan, Schmuck, Uhren und eben auch Skulpturen. Clemens Kempf ist also Allrounder, sein Haus ist nicht auf Skulpturen oder gar Gotik spezialisiert. Aber zwei derart charakteristische Stücke, wie sie der Kunde im Karton brachte, übersieht er nicht – die könnten von Riemenschneider sein, dachte er sofort.
Riemenschneider ist ein weites Feld
Aber Riemenschneider ist ein weites Feld, die Fachwelt unterscheidet Figuren von seiner Hand, Riemenschneider-Werkstatt und Riemenschneider-Schule. Und es gibt unzählige Nachahmer. Claudia Lichte, stellvertretende Direktorin des Museums für Franken und Riemenschneider-Expertin, skizziert die Aspekte, die Kunsthistoriker abklopfen, wenn sie es mit solchen Arbeiten zu tun bekommen. Die erste Einteilung: „Soll das Mittelalter sein oder ist das tatsächlich Mittelalter?“
Riemenschneider und seine Zeitgenossen gerieten zwar ein paar hundert Jahre in Vergessenheit und wurden nicht kopiert, doch im 19. Jahrhundert kam die Wende. Die Wiederentdeckung von Riemenschneiders Grabstein im Jahr 1822 markiert den Beginn eines regelrechten Booms. „Viele haben dann in diesem Stil geschnitzt“, sagt Claudia Lichte. „Das passte auch gut zur Neugotik.“
Eingespannt wie ein Grillhähnchen
Ein Kriterium dafür, dass eine Figur aus dem Mittelalter stammen könnte, sind die Spuren der Bearbeitung. Die Schnitzer spannten ihre Werkstücke in die Werkbank ein. Lichte: „Das muss man sich vorstellen, wie ein Grillhähnchen.“ Und das hinterließ Spuren an Kopf- und Fußteil der Figuren. Außerdem kann man an der Oberfläche erkennen, ob eine Figur gefasst – also bemalt war – oder nicht.
Eine gelungene Zuordnung ins Mittelalter macht es aber nicht unbedingt leichter: Riemenschneider und seine Werkstatt waren erfolgreich, ihre Werke gefragt. Das heißt: „Sie haben auf Masse gearbeitet, das war eine Art Vorläufer von Serienproduktion. Die Werke sind alle nicht signiert. Hinzu kommt, dass wandernde Gesellen, die namentlich nicht bekannt sind, zeitweise in den Werkstätten tätig waren, so die Kunsthistorikerin, „es gibt also eine Riesenmenge von Objekten, und dieses Feld ist noch weitgehend unentwirrt.“
Heiligenfiguren sind für die Jugend heute nicht mehr attraktiv
Heiligenfiguren haben sich in vielen Familien lange Zeit großer Beliebtheit erfreut. Dass nun immer öfter ganze Konvolute auftauchen, erklärt sich für Claudia Lichte ganz einfach: „Eine ganze Sammlergeneration stirbt allmählich, für junge Leute sind solche Figuren nicht mehr attraktiv. Wir müssen damit rechnen, dass wieder mehr davon auf dem Markt erscheinen.“
Auktionator Clemens Kempf holte sich, wie immer in solchen Fällen, eine fachmännische Einschätzung von außerhalb. Er packte die beiden Figuren ein und brachte sie zu Hartmut Krohm nach Berlin. Krohm, Jahrgang 1940, ist Honorarprofessor für Kunstgeschichte an der TU Berlin und war bis 2005 stellvertretender Leiter der Skulpturensammlung im Berliner Bode-Museum, das einige bedeutende Riemenschneider besitzt, unter anderem die vier Evangelisten, ein Relief und einen Schmerzensmann, die einst zum Flügelaltar in St. Maria Magdalena in Münnerstadt gehörten.
Der Experte bestätigt den Verdacht
Zwei Tage lang begutachtete Krohm den Schmerzensmann und das Holzrelief mit der Darstellung einer der Frauen am leeren Grab Christi und kam zu dem Schluss: Riemenschneider-Werkstatt. Im Schmerzensmann sieht er deutliche Parallelen zu einer Figur am Heiligblut-Retabel in der St. Jakobskirche in Rothenburg ob der Tauber, dessen Skulpturenschmuck Tilman Riemenschneider in den Jahren 1501 bis Anfang 1505 vollendete.
Auch das Relief verrate „in der betont abstrahierenden Auffassung, was die Stofflichkeit des Gewandes und die Draperie betrifft“ eine Nähe zu den Retabeln Riemenschneiders aus dem ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. Krohm: „Besonders hervorzuheben ist die zarte Modellierung des Gesichtes und die Bildung der feingliedrigen Finger.“ Fazit: „Die offenkundigen Qualitätsmerkmale sprechen dafür, dass die Schnitzarbeit um 1505 in der Werkstatt des Würzburger Bildhauers, von einem Gesellen ausgeführt, entstanden ist.“ Auch Claudia Lichte hat sich die Figuren angesehen und folgt Krohms Einschätzung in weiten Teilen, sagt sie. „Ich sehe das ganz ähnlich.“
Gotik-Sammler aus Belgien in England
Die beiden Fundstücke, die aus naheliegenden Gründen noch in keinem Werkverzeichnis des Würzburger Bildhauers (um 1460-1531) auftauchen, sind nun also die Starstücke der nächsten Versteigerung im Hause Kempf am 14. April – der Schmerzensmann mit einem Einstiegspreis von 10 000 Euro, das Relieffragment mit einem Einstiegspreis von 14 000 Euro.
Bei welcher Summe der Zuschlag erfolgen wird, ist vollkommen offen, aber Auktionator Clemens Kempf ist sicher, dass das Interesse groß sein wird. „Es gibt Sammler vor allem in Belgien und in England, die sind auf Gotik spezialisiert. Aber es wäre natürlich schön, wenn die Figuren in der Region bleiben könnten“, sagt er. Kempf hat schon vorab konkrete Angebote von Interessenten erhalten, die die Figuren am liebsten gleich mitnehmen würden. Vergeblich: „Die Stücke müssen versteigert werden“, sagt der Auktionator.
Bieter werden per Internet weltweit dabei sein
Der Laden, in dem die Auktion stattfindet, fasst vielleicht 40 Personen, mitbieten können und werden aber via Internet und Telefon Interessenten in der ganzen Welt. Deshalb auch sei es heutzutage nicht mehr wichtig, bei welchem Haus ein Kunde seine Objekte einliefere, sagt Kempf. Denn wer seine Angebote in den Fachzeitschriften vor allem aber auf Online-Plattformen wie Lot-Tissimo oder The Saleroom platziert, der kann sich weltweiter Aufmerksamkeit sicher sein. Vorausgesetzt, diese Angebote taugen etwas. Deshalb mache es auch keinen Unterschied, ob der Kunde bei ihm oder bei Sotheby's anliefere, sagt der Auktionator.
„Die Qualität bringt die Preise“, sagt Clemens Kempf, und nennt ein Beispiel: Ein Porträt von Max Ernst des bedeutenden Fotografen Frederick Sommer (1905-1999), gefunden auf einem Würzburger Dachboden, brachte bei Kempf 27 000 Euro, ein weiterer Originalabzug des gleichen Motivs ging bei Sotheby's für 30 000 Dollar über den Tisch. Einziger Unterschied, für den Käufer aber relevant: „Sotheby's nimmt 35 Prozent Aufgeld, wir nur 21 Prozent.“
Der Verkäufer möchte anonym bleiben
Der Einlieferer der beiden Figuren möchte – wie das durchaus üblich ist – anonym bleiben. Auch ob bekannt wird, wer der Käufer sein wird, ist ungewiss. Privatleute jedenfalls sind selten scharf darauf, dass allgemein bekannt wird, welche Schätze sie zu Hause stehen ober hängen haben.
Anders verhielte es sich, würde ein öffentliches Haus die Figuren ersteigern, das Museum für Franken etwa, das mit rund 80 Skulpturen, Reliefs und anderen Arbeiten die weltweit größte Riemenschneider-Sammlung beherbergt. Erich Schneider, Direktor des Museums, beantwortet die Frage, ob zwei Stücke, wie sie nun angeboten werden, für sein Haus interessant sein könnten, mit einem großen „Ja, aber...“
Das Museum für Franken besitzt die größte Riemenschneider-Sammlung
Das Museum für Franken besitze Riemenschneider-Arbeiten aus allen Kategorien, sehr starke, wie etwa die Acholshäuser Madonna oder Adam und Eva, und auch weniger starke. Es könne deshalb Riemenschneider in allen wichtigen Facetten darstellen. „Was hingegen komplett fehlt, sind Vergleichsmöglichkeiten“, sagt Schneider, „also Arbeiten von Zeitgenossen wie etwa Veit Stoß oder Adam Kraft. Wir können Riemenschneider derzeit nicht im Kontext seiner Zeit – also Bildhauerei um 1500 – zeigen.“
Etwaige Ergänzungen der Sammlung würde das Museum also eher in anderer Richtung versuchen: „Riemenschneider bleibt natürlich unser Markenkern, aber genau das könnten wir am besten im Vergleich mit anderen herausarbeiten. Wir sind ja das Museum für Franken und nicht nur für Würzburg oder Unterfranken, insofern sollten wir auch den Horizont etwas weiter stecken.“
Deshalb: Ein weiterer Riemenschneider komme nur infrage, wenn es um eine „absolute Toparbeit“ gehe, eventuell auch eine, die ihre originale Fassung bewahrt habe. „Aber da wären wir dann in Konkurrenz mit Dubai oder New York“, sagt Schneider. „Ein guter Riemenschneider kostet Millionen. Andererseits: ein guter Veit Stoß auch.“
Die Auktion findet am Samstag, 14. April, ab 10 Uhr im Auktionshaus Kempf in der Semmelstraße 42 in Würzburg statt. Vorbesichtigung ist am Samstag, 7., und Sonntag, 8. April, 10 bis 16 Uhr und Montag, 9., und Dienstag, 10. April, 14 bis 19 Uhr. Katalog und Gutachten sind online einsehbar unter www.auktionshaus-kempf.de Die beiden Figuren kommen demnach voraussichtlich ab 12.29 Uhr zum Aufruf.