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WÜRZBURG
Rätsel Riemenschneider
Unbekanntes Werk: Der berühmte Bildhauer und Bildschnitzer Tilman Riemenschneider sorgt noch immer für Überraschungen. Im Museum am Dom in Würzburg ist eine Grablegung zu sehen.
Unbekanntes Riemenschneider-Werk: Nahaufnahme der Figurengruppe der „Grablegung“. Die Ausführung sei „meisterlich“, sagt Kunstreferent Jürgen Lenssen.
Foto: Thomas Obermeier | Unbekanntes Riemenschneider-Werk: Nahaufnahme der Figurengruppe der „Grablegung“. Die Ausführung sei „meisterlich“, sagt Kunstreferent Jürgen Lenssen.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:43 Uhr

Für manche ist die Zahl 13 eine Unglückszahl. Für Jürgen Lenssen nicht. Der Kunstreferent der Diözese Würzburg freut sich: „Es ist der 13. Riemenschneider im Museum am Dom.“ Und es ist ein völlig unbekanntes Werk des berühmten Bildschnitzers und Bildhauers: die „Grablegung“, geschnitzt um 1510 aus Lindenholz. Tilman Riemenschneider (1460 bis 1531) war nach dieser Datierung 50 Jahre alt, als er wohl zusammen mit einem begabten Gesellen dieses Werk schuf.

In seiner Werkstatt in der Würzburger Franziskanergasse sind mehrere Beweinungsgruppen entstanden. Mal zeigen sie die Personengruppe um den toten Jesus – Maria und Maria Magdalena, seine Jünger und Joseph von Arimathia – direkt neben dem Kreuz. Bei dem Werk im Museum am Dom wird Jesus gerade in einen Sarkophag gelegt. Ansonsten ist der Aufbau zwischen beiden Sujets ähnlich: Jesus befindet sich im Zentrum, umringt von den Trauernden.

Im vergangenen Jahr öffnete Wolfgang Schneider an seinem Arbeitsplatz im Kunstreferat eine E-Mail mit überraschendem Inhalt. Die Familie Post aus Wülfershausen (Landkreis Rhön-Grabfeld) bot dem Museum am Dom die Figurengruppe als Leihgabe an, erzählt Schneider. „Sie wollte für sie einen angemessenen Platz.“ Der Sicherheitsaspekt dürfte auch eine Rolle gespielt haben.

Lenssen spricht von "meisterlich"

Ein erster Blick auf die Fotos genügte dem Kunstexperten der Diözese. „Es war klar, dass die Arbeit qualitätvoll ist.“ Nicht alles, was Riemenschneiders Werkstatt je verlassen hat, reicht da heran. Jürgen Lenssen spricht von „meisterlich“ und zeigt auf „wunderschöne Details“ wie die feine Ausarbeitung der Hände oder Marias Griff ins Haar von Jesus.

Wolfgang Schneider machte sich also auf den Weg in den kleinen Ort an der Saale und begutachtete im Zuhause der Familie Post das kostbare Stück, das etwa so groß wie ein Din A 2-Blatt ist. Nun ist es in der Ausstellung „Gegenstück. Spannungsbogen Kunst“ im Museum am Dom zu sehen.

Nur wenig sei über die „Grablegung“ bislang bekannt, erzählt Schneider: „Sie ist ein Erbstück und befindet sich schon lange in Familienbesitz.“ Wer wann die Figurengruppe erworben hat – und von wem – darüber gebe es keine Aufzeichnungen. Der stellvertretende Kunstreferent sieht die Figurengruppe als Teil eines Altars – der Predella, also des Sockels, der das Altarretabel trägt.

Vermutungen über die Herkunft

„Im Grabfeld haben wir keinen nachweisbaren Riemenschneiderbestand. Die ,Grablegung‘ ist wohl durch Einheirat in die Familie oder durch Zuzug in die Region gekommen“, vermutet Kunstreferent Jürgen Lenssen, der sich am 11. Mai – seinem 70. Geburtstag – in den Ruhestand verabschiedet. Er informiert: „Bei Justus Bier ist das Werk nicht erwähnt.“ Der renommierte jüdische Kunsthistoriker aus Nürnberg, der 1937 in die USA emigrieren musste, hat in vier Bänden ab 1925 Riemenschneiders Kunst und alle bekannten Arbeiten umfassend beschrieben. Seinen wissenschaftlichen Nachlass zu Riemenschneider vermachte Justus Bier dem Mainfränkischen Museum – insgesamt 155 Mappen.

Immer wieder entdeckte der deutsch-amerikanische Forscher unbekannte Arbeiten. Etwa im Jahr 1957. Damals äußerte Justus Bier bei einem Rundgang durch Ochsenfurt, dass der sogenannte Bürgermeisterkopf am Rathausturm von dem fränkischen Künstler – der ja eigentlich kein Franke war – sein könnte. „Es spricht vieles dafür, dass der Kopf aus der Werkstatt Riemenschneiders ist“, sagte Claudia Lichte, Leiterin des Museums für Franken – Staatliches Museum für Kunst und Kulturgeschichte in der Festung Marienberg in Würzburg, im Vorfeld der großen Riemenschneider-Doppelausstellung im Jahr 2004 im Mainfränkischen Museum sowie im Museum am Dom. Die Holzplastik war deshalb Teil der großen und viel beachteten Schau. Eine Frage stellt sich jedoch: Warum hat die Familie Post aus Wülfershausen sich nicht bereits damals gemeldet? „Die Eigentümer wollten es bislang nicht groß verkünden“, so Lenssen.

Frankens bedeutendster Bildschnitzer und Bildhauer soll 1460 im thüringischen Heiligenstadt geboren worden sein. Ab 1483 ist er in Würzburg greifbar. 1485 erhielt er das Meisterrecht und gründete seine Werkstatt in der Franziskanergasse, später wurde er Mitglied im Rat der Stadt. Er war ein angesehener und geschätzter Künstler. 1520/21 lenkte er als Bürgermeister die Geschicke der Stadt. Ab 1525 sank sein Ansehen jedoch zusehends, weil er im Bauernkrieg mit den Aufständischen sympathisierte. Er kam sogar ins Gefängnis. 1531 starb er, wurde im Friedhof beim Dom bestattet – und für lange Zeit vergessen. Erst 1822 erinnerte man sich wieder an ihn, als bei der Auflösung des Friedhofs sein Grabstein wieder zum Vorschein kam.

"Ein interessantes Stück"

Jürgen Lenssen sieht beim „13. Riemenschneider“ im Museum am Dom Ähnlichkeiten mit den beiden Beweinungsgruppen in Hessenthal (datiert um 1510) und Großostheim (um 1490). Demnächst soll die Wülfershäuser Grablegung genauer untersucht werden. Reste einer Fassung sind noch zu erkennen. „Ursprünglich war wohl keine geplant“, meint Lenssen. Eine Farbschicht hätte das fein ausgearbeitete Schnitzwerk nur übertüncht. Zudem gibt es Arbeiten Riemenschneiders, die auf Materialsichtigkeit angelegt waren.

Wolfgang Schneider nennt zum Beispiel das Heiligblut-Retabel in der Stadtkirche Sankt Jakob in Rothenburg ob der Tauber und den Marienaltar in der Herrgottskirche in Creglingen.

Für Claudia Lichte ist die „Grablegung“ „ein interessantes Stück“. Sie will nun im Nachlass von Justus Bier nachschauen, ob es dort Hinweise auf dieses Werk gibt. Er hat ja nicht alles in seinem vierbändigen Werk aufgelistet. Deshalb kann es auch in Zukunft noch freudige Überraschungen über Entdeckungen unbekannter Riemenschneider-Arbeiten geben.

Vielleicht schon bald. Denn von 21. bis 24. Juni treffen sich nach Angaben von Claudia Lichte Wissenschaftler aus aller Welt zur Tagung „Riemenschneider in situ“ in Rothenburg ob der Tauber. Dort und in Creglingen werden sie die großen Altäre „in situ“, also am Ort studieren, ebenso die Grabmäler im Würzburger Dom sowie die Figuren an der Marienkapelle und die berühmte Beweinungsgruppe in der ehemaligen Klosterkirche in Maidbronn. Gerade dieses Retabel aus Stein steht im Fokus der Forscher, weil noch vieles ungeklärt ist, so Lichte. „Es gibt bei Riemenschneider mehr Frage- als Ausrufezeichen“, beschreibt Jürgen Lenssen das Rätsel Riemenschneider.

Ausstellung „Gegenstück – Spannungsbogen Kunst“, bis 7. Mai im Museum am Dom. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10–17 Uhr.

Die „Grablegung“ aus Wülfershausen ist aktuell im Museum am Dom zu sehen.
Foto: Thomas Obermeier | Die „Grablegung“ aus Wülfershausen ist aktuell im Museum am Dom zu sehen.
Die Figuren sind bis ins Detail sehr fein ausgearbeitet, wie der Griff ins Haar des toten Jesus.
Foto: Thomas Obermeier | Die Figuren sind bis ins Detail sehr fein ausgearbeitet, wie der Griff ins Haar des toten Jesus.
 
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