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Firma Riemenschneider: Des Würzburgers große Werke
In loser Folge stellen wir die bedeutenden Altäre des Würzburger Holzschnitzers und Steinbildhauers vor. Zum Auftakt – und zum Kennenlernen – geht es allerdings erst einmal um Leben und Werk des Meisters.
Eine Art Selbstporträt: Gelehrte lauschen dem lehrenden Jesusknaben. Tilman Riemenschneider hat sich in dieser Szene des Altars in der Creglinger Herrgottskirche selbst dargestellt. Er ist der mittlere der drei Männer rechts. Realistisch ist das Porträt wohl aber nicht.
Foto: Gerhard Meissner, Klaus Richter, dpa | Eine Art Selbstporträt: Gelehrte lauschen dem lehrenden Jesusknaben. Tilman Riemenschneider hat sich in dieser Szene des Altars in der Creglinger Herrgottskirche selbst dargestellt.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 11.11.2021 13:44 Uhr

Der Mann trägt die Tracht, wie sie um die Wende zum 16. Jahrhundert üblich war. Er ist der mittlere von drei Gelehrten, die dem Jesusknaben lauschen. Dargestellt ist die Szene rechts unten am Marienaltar der Creglinger Herrgottskirche, einem der großen Werke von Tilman Riemenschneider. Der hat sich in dem Gelehrten selbst porträtiert. Aber: So wie auf dem Relief, hat der Würzburger Bildhauer und -schnitzer wohl nicht wirklich ausgesehen . . .

Mandelförmige Augen, gerade Nase, kleiner Mund: Zu sehr ähnelt das sogenannte Selbstporträt anderen Riemenschneider-Figuren. Zu sehr entspricht es dem Stil, den der Meister pflegte. Dass Tilman Riemenschneider tatsächlich wie seine Figuren ausgesehen hat, ist unwahrscheinlich. Nach heutigem Verständnis realistische Porträts habe er nicht geschaffen, erklärt Dr. Claudia Lichte. Porträts mit individuellen Charakterzügen kamen erst in der Renaissance auf, an deren Schwelle Tilman Riemenschneider – geboren um 1460 in Heiligenstadt, gestorben 1531 in Würzburg – lebte und wirkte.

„Er war in der Tradition verwurzelt“, urteilt die Riemenschneider-Kennerin und Leiterin des Mainfränkischen Museums auf der Würzburger Festung Marienberg. Doch hebt er sich mit seiner „einzigartigen Gestaltungsweise“ von Zeitgenossen ab. „Riemenschneider erkennt man sofort“, sagt Lichte. Obwohl er einen Handwerksbetrieb leitete und beileibe nicht alles selbst schnitzte oder in Stein haute. „Über die Zahl seiner Gesellen wissen wir leider nichts“, sagt Lichte, doch war die „Firma Riemenschneider“ sicherlich eine der bedeutenden in Würzburg. Auch, wie die Arbeit genau verteilt war, bleibt wie so vieles rätselhaft. „Gab es da einen, der nur Ohren geschnitzt hat? Oder Nasen? Wie arbeitsteilig war der Prozess?“, fragt Lichte.

Riemenschneider legte Wert auf einen einheitlichen Stil der Arbeiten, die seine Werkstatt verließen. Einen Stil, den er geprägt hatte. Die Grundkonzeption – etwa eines Altares – besorgte wohl generell der Chef persönlich. Er hat wohl auch wichtige Arbeiten übernommen und Gesellen-Werk nachgebessert. „Alles, was die Werkstatt verließ, sollte Riemenschneider-Qualität haben“, so Claudia Lichte. Dafür stand der Meister gerade. Sture Serienfertigung, wie in anderen Werkstätten jener Zeit üblich, gab es aber nicht. Jedes Stück war bis zu einem gewissen Grad individuell – und entsprechend teuer.

Wo er sein Handwerk gelernt hat, ist nicht klar. Claudia Lichte vermutet, im Einklang mit dem Stand der Forschung, den Oberrhein und Ulm. Nach Würzburg kam der junge Mann erstmals gegen 1478, wohl auf Vermittlung seines Onkels. Er erhielt eine Stelle in Stift Haug. Als der Onkel starb, gab Tilman Riemenschneider 1479 diese Pfründe auf und begab sich auf Wanderschaft. 1483 kam er, fertig ausgebildet, zurück und trat in eine Werkstatt ein.

1485 ehelichte er die Goldschmiedwitwe Anna Schmidt, nach deren Tod er noch dreimal heiratete. 1485 erwarb Riemenschneider das Bürgerrecht. Er wurde Meister, wichtiges Mitglied der Zunft. Reich und einflussreich, brachte es der geschäftstüchtige Handwerker sogar bis zum Bürgermeister. Weil er eine Person des öffentlichen Lebens war, ist über seine Würzburger Lebensjahrzehnte viel bekannt.

Schwieriger wird es bei der Suche nach dem „eigenhändigen“ Riemenschneider. Kunsthistoriker sind da, wie Detektive, auf Indizien angewiesen. Signiert wurde damals generell nicht. Als Richtschnur, erklärt Lichte, dienen die frühen Werke. Die entstanden zu einer Zeit, als er noch nicht die große Werkstatt führte und also noch sehr viel selbst machen musste. „Riemenschneider arbeitete wie damals sonst keiner in Würzburg“, sagt Lichte. Doch im Lauf der Jahre, das lässt sich heute beobachten, „kamen Schwankungen. Zum Beispiel werden Gesichter flacher“. Mutmaßlich sind das dann jene Stellen, an denen Mitarbeiter am Werk waren.

Lichte teilt Riemenschneider-Arbeiten in drei Kategorien ein: eigenhändig, Riemenschneider und Werkstatt, Umkreis. Zu dem werden Werke von Bildhauern gezählt, die bei Riemenschneider ausgebildet wurden – und auch Nachahmer. „Riemenschneiders Stil machte Furore“, sagt Lichte. „Er wurde zum Vorbild.“ Das Mainfränkische Museum zeigt über 80 Werke aus allen Kategorien in der weltgrößten Riemenschneider-Sammlung.

Geheimnisvolle Ausstrahlung

Riemenschneiders Menschen scheinen in sich zu ruhen. Für heutige Betrachter haben sie eine geheimnisvoll-spirituelle Ausstrahlung. Vom „sanften Sentiment“ der Figuren spricht Claudia Lichte und findet: „Sie wirken wie ideale Gestalten aus einer anderen Welt.“ Doch der Meister wollte stets an die Realität anknüpfen. Er zeichnete Muskelstränge nach, arbeitete die Adern der Hände heraus. „Anatomisch korrekt ist das aber nicht“, sagt Lichte. Da war der Würzburger Meister ganz Kind der Spätgotik.

Nahezu gleichzeitig begann in Italien eine Revolution in der Kunst. Man betrieb dort auch anatomische Studien und setzte sie in Bildern und Skulpturen um. Künstlerisch scheinen zwischen Michelangelos David (entstanden 1501 bis 1504) und Riemenschneiders (zu) schmalhüftigem Adam Welten zu liegen. Doch trennen gerade einmal zehn Jahre die Skulpturen: Adam (und Eva) entstanden zwischen 1491 und 1493 für die Würzburger Marienkapelle.

Tilman Riemenschneider

Der Wirkungsbereich von Tilman Riemenschneider deckt sich weitgehend mit dem Einflussbereich des Würzburger Fürstbischofs. Dementsprechend finden sich seine Altäre überwiegend auf dem Gebiet des heutigen Unterfranken und im Tauberfränkischen. Der Allerheiligenaltar in Kleinschwarzenlohe, südlich von Nürnberg ist eine der wenigen Ausnahmen. Der Würzburger arbeitete da ungewöhnlich weit von seiner Heimat entfernt.

Die Altäre stehen zum Teil noch heute in den Kirchen, für die sie gemacht wurden. Der Zwölfbotenaltar aus der St. Kilianskirche in Bad Windsheim ist heute eines der herausragenden Stücke im Kurpfälzischen Museum Heidelberg. Einzelne Riemenschneider-Figuren sind praktisch über die ganze Welt verstreut.

 
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