Die Hexen lassen Dr. Robert Meier nicht los. Seit seinem einzigartigen Dokumentenfund vor fünf Jahren im Wertheimer Staatsarchiv hat der Würzburger Historiker die gängigen Meinungen über das Ausmaß der Hexenverfolgungen in der Region völlig umgekrempelt – zuerst für die Zeit unter Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn, danach unter Echters Neffe Fürstbischof Philipp Adolf von Ehrenberg.
Seine Ergebnisse hat Meier, der seit 2017 als Dozent an der Archivschule Marburg tätig ist, in vielen Vorträgen in der Region vorgestellt. Seine Aufsätze dazu wurden in den Würzburger Diözesanblättern veröffentlicht – und nun im Buch "Hexenprozesse im Hochstift Würzburg" (Echter Verlag) vereint.
Ein Glücksfall war Auslöser dafür, dass aus dem Interesse Robert Meiers für das Thema Hexen beziehungsweise Hexenprozesse ein intensives Forschungsprojekt wurde. Ein Glücksfall, auf den wohl jeder Archivar und Historiker insgeheim hofft: Im Sommer 2014 entdeckte er Dokumente des Zentgerichts Remlingen. Sie lagerten viele Jahre unentdeckt in Archivkisten im Kloster Bronnbach, damals der Arbeitsplatz von Robert Meier. Dort ist seit 1978 das Wertheimer Staatsarchiv beheimatet.
Die Schriftstücke, die sich mit Ereignissen aus der Gemeinde Neubrunn (heute Landkreis Würzburg) befassen, ließen den Schluss zu, dass der Würzburger Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn (Regierungszeit 1573-1617) kein unerbittlicher Hexenverfolger war. Vielmehr würden sie belegen, dass der Verfolgungsdruck aus der Gemeinde kam. "Für einen besonderen Verfolgungseifer von Julius Echter gibt es keinerlei Hinweise", sagte Meier im Gespräch mit dieser Redaktion. Solch eine Aussage war neu – und sei damals in Fachkreisen durchaus auf Widerspruch gestoßen.
Dieser einzigartige Fund 2014 war der Auslöser für weitere Nachforschungen. Robert Meier beschäftigte sich anschließend intensiv mit Originalquellen im Staatsarchiv Würzburg in der Residenz – mit dem Ergebnis, dass er die Zahl der Hexenverbrennungen unter Philipp Adolf von Ehrenberg, von 1623 bis 1631 Fürstbischof, ebenfalls nach unten korrigiert.
"Unter ihm gab es sicher Hexenprozesse", räumt Robert Meier ein. Aber dass der Fürstbischof, wie ihm nachgesagt wird, die Hexen brutal ausgerottet hätte, könne so nicht im Raum stehen bleiben. "Die ersten vier Jahre unter seiner Regierungszeit gab es überhaupt keine Hinrichtungen", so Meier. Später habe Ehrenberg dann dem Druck aus der Bevölkerung nachgegeben und Hexenmandate, also Urteile über Hinrichtungen, erlassen.
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Wie kommt es dann, dass Ehrenberg wie sein Onkel als die Hexenbrenner schlechthin gelten? Daran hätten, so Meier, vor allem die Massenmedien ihrer Zeit beigetragen: die sogenannten Flugblätter. Sie verbreiteten Nachrichten, die zu ihrer Zeit und dann auch später als wahr angesehen wurden – und teilweise noch werden.
Was ist eine seriöse Quelle?
Robert Meier sieht sich jedoch nicht als Ehrenretter der katholischen Kirchenfürsten des Hochstifts Würzburg. Religiöse Motive leiten ihn bei seinen Forschungen nicht. Er hat vielmehr den Anspruch, schriftliche Zeugnisse dahingehend zu untersuchen, ob sie als seriöse Quellen angesehen werden können oder nicht.
Ein Grund dafür, dass damals Frauen der Zauberei beschuldigt wurden, sei unter anderen ein Wetterumschwung gewesen, so Meier. In die Regierungszeit Fürstbischof Ehrenbergs fällt der Dreißigjährige Krieg (1618-1648). In dieser Zeit verschlechterte sich das Klima innerhalb der "Kleinen Eiszeit" dramatisch. Die Sommer wurden ab Ende des 16. Jahrhunderts noch kühler. Die Folge waren Missernten und Hungersnöte. Die Menschen suchten in ihrer Not Schuldige, fanden sie vor allem in der weiblichen Bevölkerung und bezichtigten sie der Hexerei.
Den Höhepunkt der Hexenverfolgungen markiert eine Prozesswelle in den Jahren 1626 bis 1630, schreibt Meier in seinem Buch. Schriftliche Zeugnisse wie Flugblätter verbreiteten die Zahl von rund 900 Opfern unter Fürstbischof Ehrenberg. Der Historiker sieht diese Flugblätter keinesfalls als seriöse Quellen an. Er unterscheidet zwischen Literatur und Geschichte. Geschichte beschreibe das, was war, Literatur das, was gewesen sein könnte. Quellen seien wichtig für die Klärung: "Was war?" Aber auch Quellen hätten "unterschiedlichen Wert", schreibt Meier. Dies brauche in einer Zeit der "fake news", der gefälschten Nachrichten mit meist reißerischen Schlagzeilen, kaum erklärt werden.
Robert Meier korrigiert die Zahl der Opfer unter Ehrenberg nach unten: 450 statt 900
Die Flugblätter bewertet Meier als "reine Pressemeldungen". Seine Forschungen ergaben statt der behaupteten 900 die sichere Zahl von 350 Hinrichtungen unter Fürstbischof Ehrenberg. Er geht jedoch von einer Dunkelziffer von rund 100 Opfern aus, als insgesamt 450. "Für Würzburg sind die Quellen noch nie unter diesem Gesichtspunkt untersucht worden", betont Meier im Gespräch. Sein Ziel war herauszufinden, "was kann man wirklich plausibel sagen". Also: Was ist eine seriöse Quelle, was Propaganda? Sicher tauche die Zahl 900 auch in allen seriösen Aufsätzen zum Thema auf. Nach Meiers Auffassung muss sie aber in Frage gestellt werden. Deshalb macht er in Bezug auf Fürstbischof Ehrenberg einen "Vorschlag der Korrektur".
Literaturtipp: Robert Meier, Hexenprozesse im Hochstift Würzburg. Von Julius Echter (1573-1617) bis Philipp von Ehrenberg (1623-1631), Echter Verlag Würzburg, 299 Seiten, 19,90 Euro.