Es war ein spannender Abend, der auf ein außerordentlich hohes Publikumsinteresse stieß: Rund 170 Zuhörerinnen und Zuhörer ließen sich in der Stadthalle von Dr. Robert Meier über neue Forschungsergebnisse zur Rolle des Fürstbischofs Julius Echter in der Hexenverfolgung informieren. Der Vortrag war Bestandteil des diesjährigen Kulturprogramms zum Luther-Echter-Jahr, das seinen Höhepunkt im Wandeltheater „Du musst dran glauben“ finden wird.
In mehreren Veröffentlichungen hat Robert Meier, Dozent an der Universität Würzburg, in der jüngeren Vergangenheit bereits nachgewiesen, dass Julius Echter keineswegs der berüchtigte Hexenverbrenner war, als der er auch heute noch gelegentlich dargestellt wird. Durch akribische Überprüfung von Archivalien konnte Meier belegen, dass viele Behauptungen in der wissenschaftlichen Literatur zur Rolle Echters bei den Hexenprozessen schlichtweg falsch oder schlampig recherchiert wurden. Weil nachfolgende Autoren die unpräzisen Behauptungen dann zigfach abgeschrieben haben, hat sich das Ganze in der Literatur nachhaltig verfestigt – richtiger geworden sind sie dadurch nicht.
In der Literatur wurden bislang die ersten Hexenprozesse in der langen Regierungszeit Echters (von 1573 bis 1617), die zu Hinrichtungen auf dem Scheiterhaufen führten, dem Jahr 1590 zugeordnet. Dabei werden auch vier Fälle aufgeführt, die in der NS-Zeit in Heinrich Himmlers „Hexenkartothek“ nach Gerolzhofen verortet werden. Robert Meier kann nun nachweisen, dass der Bearbeiter der „Hexenkartothek“ bei seiner Recherche in den komplexen Hexenakten einen handwerklichen Fehler gemacht hat. Diese Prozesse fanden nämlich nicht in Gerolzhofen statt, sondern in Freudenberg. Und Freudenberg gehörte damals zur Grafschaft Wertheim und somit nicht zum Hochstift Würzburg.
Ähnlich verhält es sich mit weiteren Hexenprozessen aus dem Jahr 1590, die sogar in Veröffentlichungen des Professors Dr. Dr. Friedrich Merzbacher, renommierter Kirchenrechtslehrer und Rechtshistoriker an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, der Verantwortung Fürstbischofs Echter zugeordnet werden. Robert Meier hat nun allerdings bei intensivem Aktenstudium festgestellt, dass die betreffenden Hinrichtungen im Gerichtsbezirk (Zent) Grünsfeld stattfanden. Grünsfeld war damals aber nicht Würzburgerisch, sondern gehörte den Landgrafen von Leuchtenberg.
Keine Verbrennung in der Residenzstadt
Neu ist: Die erste belegbare Hinrichtung einer angeblichen Hexe im Zuständigkeitsbereich Echters fand tatsächlich erst anno 1600 statt – im 28. Jahr von Echters Episkopat. Dieser lange Zeitraum ohne Opfer von Hexenprozessen auf Würzburger Gebiet ist umso bemerkenswerter, als ab 1590 aus den Nachbarterritorien schon zahlreiche Hinrichtungen wegen Hexerei dokumentiert sind – mit zum Teil bereits dreistelligen Opferzahlen.
Bei seiner Tätigkeit als Archivar am Staatsarchiv Wertheim war Robert Meier auf wissenschaftlich bislang noch nicht ausgewertete Hexen-Akten aus der Zent Remlingen gestoßen. Aus diesen Briefwechseln und Schriftstücken ist eindeutig erkennbar, dass die Initiative zu den Prozessen jeweils von unten, aus der Bevölkerung der Dörfer kam. „Es gab damals lange Kälteperioden, den Menschen ging es schlecht.“ Praktisch nach jeder späten Frostnacht hätte die Bevölkerung gleich vermeintlich dafür Schuldige vors Gericht gezerrt. Viele medizinische oder meteorologische Vorgänge habe man sich damals nicht erklären können, so Meier. „Wenn man aber vermeintlich Schuldige hat, dann versteht man es.“
Die Würzburger Juristen in Echters weltlicher Regierung unterbanden die Prozesse zwar nicht vollständig, grenzten sie aber ein und pochten auf das strikte Einhalten der damals gültigen Rechtsvorschriften. „Es gab keine von oben initiierte oder gesteuerte Hexenverfolgung“, sagt Meier. Der Verfolgungsimpuls sei nicht von Würzburg ausgegangen. Echter sei zwar von der Existenz von Hexen selbst überzeugt gewesen, trotzdem hätten er und die rund 30 Hofräte seiner Regierung stets auf der Bremse gestanden. In vielen Fällen habe man die Beschuldigungen als bloße üble Nachfrage enttarnt – und das Verfahren eingestellt. Schlimmstenfalls wurde eine Verbannung aus dem Hochstift ausgesprochen.
Es sei bezeichnend, dass es während der gesamten Regierungszeit Echters keine einzige Hexenverbrennung in seiner Residenzstadt Würzburg gab. Auch in vielen der insgesamt 35 Gerichtsbezirke des Fürstbistums hätten zu Echters Zeiten überhaupt keine Hinrichtungen von Drudern und Hexen stattgefunden.
Einzig und alleine in der Cent Gerolzhofen war alles anders. Ganz anders.
Dort starben gegen Ende von Echters Regierungszeit rund 140 Frauen und Männer auf dem Scheiterhaufen. Die Vorgänge in der Cent Gerolzhofen seien eklatant eskaliert, betonte Meier. Zentrale Person war der Zentgraf Valentin Hausherr, Richter am für die Hexen zuständigen Zentgericht Gerolzhofen. Es sei der Regierung Echter lange Zeit nicht gelungen, diesem „perversen Sadisten“ das Handwerk zu legen, sagte Robert Meier. Den Grund dafür sieht der Forscher in der schon damals veralteten Rechtsstruktur, deren Mängel Zentgraf Hausherr geschickt auszunutzen wusste.
In Schallfeld begann es
Die Hexenverfolgung im Gerolzhöfer Gerichtsbezirk nahm ihren Anfang in Schallfeld, als dort ein Nachbarschaftsstreit aus dem Ruder lief. Die Kunigunde Weingartsmann hat am Gründonnerstag 1615 im Gottesdienst die empfangene Hostie wieder ausgespuckt und soll sie später im Kuhstall der verhassten Nachbarn vergraben haben, um damit einen Schadenszauber am Vieh auszulösen. Die Kühe hätten danach tatsächlich nur noch Blut gegeben. Die betroffene Familie alarmiert die Obrigkeit, der zuständige Zentgraf Hausherr kommt nach Schallfeld und führt erste Vernehmungen durch. Er verzichtet aber auf eine Verhaftung der Frau Weingartsmann – auch weil diese sich im Gegenzug mit zwei Eimer Wein dafür erkenntlich zeigte.
Auf einen entsprechenden Bericht des Zentgrafen Hausherr antwortet die Würzburger Regierung mit dem Befehl, die Frau zu verhaften und in Gerolzhofen zu verhören. Dies geschieht. Hintergrund dieser Aktion ist der schwere Vorwurf des Hostienfrevels. In der katholischen Kirche werde die gewandelte Hostie als Leib des Herrn selbst angesehen, erklärt Meier. Es habe damals die große Furcht gegeben, der Teufel persönlich lasse sich von den Hexen geweihte Hostien besorgen.
Unter der Folter nennt die Schallfelderin den Namen einer weiteren Frau aus dem Dorf, die ihre Lehrmeisterin gewesen sein soll. Diese wird sofort verhaftet und peinlich verhört – sie nennt drei weitere Frauennamen. Die Lawine ist losgetreten und verlässt die Dorfgrenzen Schallfelds. Bei den nächsten Verhören werden dann schon 20 Personen genannt, die in Gerolzhofen wohnen. Die Hexenverfolgung ist in der Stadt angekommen – und schwappt dann weiter in Richtung Zeilitzheim und Sulzheim.
Doch nicht nur durch die Folter kommen die Ermittler an neue Namen potenzieller Zauberer und Hexen. Die Denunziation feiert fröhliche Urständ. Unliebsame Nachbarn, ja sogar störende Ehepartner oder Familienangehörige werden durch eine entsprechende Anzeige, die so genannte Besagung, ans Messer geliefert. Wer einmal in das Räderwerk der Hexenverfolgung gerät, hat sehr schlechte Karten, hier wieder heil herauszukommen.
Zentrichter Valentin Hausherr steht im Mittelpunkt. Im Gegensatz zu anderen Hexenverfolgungen sei es auffallend, so Robert Meier, dass innerhalb der Zent Gerolzhofen am Anfang nur Frauen unter den Opfern waren. Während anderswo 70 bis 80 Prozent der Beschuldigten Frauen, der Rest Männer waren, seien es in Gerolzhofen 100 Prozent Frauen gewesen. „Und alle in einem Alter so um die 40 Jahre.“ Eventuell, so mutmaßt Meier, habe Hausherr am Anfang eingehende Beschuldigungen gegen Männer einfach nicht verfolgt oder fallengelassen. Offenbar interessierte sich Hausherr nur für Frauen in einem bestimmten Alter.
Üble Fantasien
Eine weitere Besonderheit aus Gerolzhofen: Hausherr hatte sich für die von ihm durchgezogenen Folterverhöre einen persönlichen Fragenkatalog zusammengestellt. Viele seiner Suggestivfragen haben einen sexuellen Inhalt. Auch dies ist eine Gerolzhöfer Besonderheit. In aller Ausführlichkeit lässt er sich von seinen schmerzgeplagten Opfern Details aus der angeblichen Buhlschaft – dem Geschlechtsverkehr zwischen Teufel und Hexe – berichten. Mit seinen Fragen lässt er sich von den Frauen auch seine eigenen, üblen Fantasien bestätigen, wonach beispielsweise die älteren Hexen beim Hexentanz leuchten mussten, indem sie sich bückten und man ihnen eine brennende Kerze in den Hintern steckte.
Hausherr ist auch derjenige, der ohne Genehmigung aus Würzburg seine Opfer gleich im schwersten Grad foltert. „Auch dies ist eine Besonderheit in der Zent Gerolzhofen.“ Während in anderen Gerichtsbezirken ein Scharfrichter für die peinlichen Verhöre aus Würzburg angefordert worden sei, habe man dies in Gerolzhofen selbst getan. In einigen Akten gibt es Hinweise darauf, dass der hiesige Wasenmeister oder „Hundsschläger“ (also der für gefallene Tiere zuständige Abdecker) diesen Job erledigt hat.
Die Regierung bekommt diese Missstände zumindest ansatzweise mit, denn es gibt schriftliche Anweisungen an Hausherr, nicht zu viel zu foltern.
Aber erst am 7. Juli 1617 – also schon in der Regierungszeit von Echters Nachfolger Bischof Johann Gottfried von Aschhausen – wird Hausherr verhaftet und nach Würzburg geschafft, wo er sich schließlich am 28. November 1617 im Kerker mit dem Strick das Leben nimmt.
„Es bleibt ein Rätsel, warum man ihn so lange gewähren ließ“, sagt Robert Meier. „Die in Würzburg müssen ihm geglaubt haben.“ Ursache dürfte nach Ansicht Meiers das damalige Rechtssystem gewesen sein. Der Zentgraf und seine Schöffen im Zentgericht mussten sich zwar jedes Todesurteil erst in Würzburg absegnen lassen. Würzburg war aber bei der juristischen Bewertung der Fälle absolut abhängig von den Informationen, wie sie aus Gerolzhofen geliefert wurden. Wie Hausherr zu den belastenden Aussagen und Geständnissen gekommen war, das konnte in Würzburg niemand nachprüfen. Es zählten nur die vorgelegten Protokolle. „Das Geständnis war damals die Mutter des Beweisverfahrens“, betont Robert Meier. Und in den Protokollen gab es Geständnisse zuhauf. „Würzburg tat sich deshalb schwer, ein vorliegendes Geständnis zu ignorieren.“
Es deutet einiges darauf hin, dass Echters Regierungsmannschaft immer wieder mal Zweifel an dem hatte, was da aus Gerolzhofen an Aussage-Protokollen nach Würzburg geliefert wurde. Mehrmals, wenn die Aussagen nicht schlüssig waren, schickte man sogar eigene Fragelisten in die Steigerwaldstadt zurück, die den Verdächtigen dann nochmals vorgehalten werden sollten.
Nach der Beschwerde eines Gerolzhöfer Stadtrates, dessen Ehefrau von Hausherr als mutmaßliche Hexe verhaftet und übelst zugerichtet worden war, wurde Ende 1616 gar der bischöfliche Kommissar Vitus Zyrrer herausgeschickt. Zyrrer nahm Untersuchungen auf, stellte zwar eine ganze Liste von Unzulänglichkeiten fest, konnte letztlich aber dem Hausherr nichts nachweisen, was zu dessen Absetzung hätte führen können. Auch danach werden regelmäßig weitere Juristen zu Valentin Hausherr entsandt, die an den Verhören und Prozessen teilnehmen. Doch auch diese Dienstaufsicht kann der Zentgraf noch monatelang irgendwie umgehen – und weiterhin unschuldige Menschen ins Verderben reißen.
Der Zentgraf wird reich
Das Vermögen der Hingerichteten wird dafür hergenommen, die nicht unerheblichen Kosten des Verfahrens zu decken: Es haben sich lange Rechnungslisten erhalten mit Ausgaben für die Verpflegung der Delinquenten und das Brennholz während der Haft, für den aus Würzburg anreisenden Scharfrichter und seine Gesellen, für das Holz und Stroh der Scheiterhaufen und für die Kosten, die dem Zentgericht während des Prozesses entstanden sind. Wichtig: „Es fließt damals kein Geld nach Würzburg“, hat Robert Meier festgestellt. Alles verbleibt vor Ort. Die Zent Gerolzhofen hatte eine eigene Rechnungsführung, ein Großteil des Geldes wird der Zentgraf wohl in die eigene Tasche gesteckt haben.
Durch sein Treiben gelangt Valentin Hausherr zu beachtlichem Reichtum. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung im Jahr 1618 besitzt Valentin Hausherr, der aus dem hessischen Hilders stammt, als Wertanlage die große, verpachtete Wasenmühle außerhalb der Stadt in Richtung Hörnau – und drei große Bürgerhäuser im vorderen Bereich der heutigen Salzstraße.
Nach dem Selbstmord Hausherrs leben seine Witwe und seine Kinder weiterhin in Gerolzhofen. Von möglichen Anfeindungen aus der Bevölkerung ist nichts überliefert. Ganz im Gegenteil: Ein Sohn des Zentgrafen, der Adam Hausherr, wird später sogar der Gerolzhöfer Stadtschreiber.