
Am Anfang hat Barbara Lohoff zwei Stunden gebraucht, um den Kimono korrekt anzulegen. Das traditionelle japanische Kleidungsstück besteht aus 20 Teilen, es gibt keine Knöpfe, Reißverschlüsse schon gar nicht, nur Schnüre. Überall müssen Stoffbahnen so fixiert werden, dass Achsen und Kanten waagrecht, senkrecht oder parallel verlaufen. Heute schafft es Lohoff zwar schneller, doch auf Tempo kommt es ohnehin nicht an. Es geht, wie so oft in der japanischen Kultur, um Sorgfalt und Harmonie. "Dazu braucht man Ruhe, Eile bringt da nichts."
Barbara Lohoff ist hauptberufliche Gästeführerin in Würzburg und eine von nur zweien, die Führungen in japanischer Sprache anbieten. Die Mineralogin hat acht Jahre in Japan gelebt, zunächst dort studiert und geforscht (über die Sedimente des Biwa-Sees) und anschließend in Würzburgs Partnerstadt Otsu gearbeitet. Sie hat gelernt, wie man die Teezeremonie abhält und darf sich Teemeisterin nennen. Im Teeraum des Siebold-Museums empfängt sie Gäste, die eine Japanreise planen, die sich für japanische Kultur interessieren – von Ikebana, also der Kunst der Blumenarrangierens, bis zum Bogenschießen – oder die einfach mal eine authentische Teezeremonie erleben wollen.
Ein Jahr brauchte sie allein, um flüssig lesen zu lernen
Barbara Lohoff hatte schon als Studentin in Deutschland Japanisch gelernt. Dachte sie, bis sie ein Forschungsstipendium für Japan erhielt: "Das Stipendium war für ein Jahr gedacht. Aber da bin ich ziemlich auf den Hosenboden gefallen, weil ich gedacht habe, ich kann Japanisch. Ich habe dann das ganze erste Jahr gebraucht, flüssig lesen zu lernen." Ganz zu schweigen vom Kulturschock. Viele Umgangsregeln sind unterschiedlich. So fühlen sich japanische Dozenten an der Uni für ihre – freilich erwachsenen – Studenten verantwortlich und verbieten schon mal private Aktivitäten.
"Auftauphase" nennt Barbara Lohoff die ersten Augenblicke, die sie mit einer neuen Reisegruppe verbringt. Die Minuten, in denen beide Seiten versuchen, die ersten Eindrücke in eine Einschätzung darüber umzumünzen, was nun bevorstehen könnte. Am liebsten eröffnet Barbara Lohoff diese Phase mit einer Frage an die Teilnehmer: Ob sie denn wissen, in welcher Stadt sie sich befinden?
Allein das Wort "Würzburg" auszusprechen, ist für Japaner nämlich ziemlich schwierig, das gemeinsame Probieren aber bricht schnell das Eis. Den Namen "Riemenschneider" können Japaner übrigens recht gut aussprechen. Wenn Barbara Lohoff dann noch erklärt, dass "Schneider" in Deutschland ein Name ist wie "Müller" und "Maier" – und wie "Tanaka" in Japan –, hat sie schon einen Kontakt hergestellt.

Auch wenn heute jeder Winkel der Welt per Internet zugänglich ist, bei der direkten Begegnung kann sich ein Gefühl der Fremde und des Fremden auf beiden Seiten immer noch einstellen. Das fängt mit Äußerlichkeiten an. Lange Nase und tiefliegende Augen – so sehen Japaner Europäer. Umgekehrt schätzen Europäer Japaner oft viel zu jung ein. "Man denkt, die sind 15, tatsächlich sind sie 55."
Oft werde das nach hiesigen Maßstäben starre Gesicht als Maske empfunden. 2Das stimmt vielleicht, aber man kann hinter die Maske schauen." In ihrer Zeit in Japan hat Barbara Lohoff – ihrerseits als Fremde – erlebt, wie Konflikte entstehen. "Wenn ich in Japan europäisch auftrete", sagt sie und deutet durchgedrücktes Kreuz, breite Schultern und ausgestellte Ellbogen an, "dann wirke ich auf Japaner ermüdend."
Kundige Ausländer nehmen sich in Japan bewusst zurück, hat sie beobachtet. Wer es nicht tut, tritt aus japanischer Sicht übertrieben selbstsicher auf. In Deutschland wiederum wird genau dieses Auftreten erwartet – sonst wird man nicht wahr- oder ernstgenommen. "Da wohnen jetzt zwei Seelen in meiner Brust", sagt die Führerin. Und zitiert den Schweizer Maler Camille Graeser (1892-1980), dessen Arbeiten im Kulturspeicher zu sehen sind: "Zwischen den Stühlen sitzen, ist unbequem, aber hält beweglich."
Wenn Barbara Lohoff etwa eine Gruppe Jugendlicher aus Nagasaki führt, wirkt es durchaus nicht, als nehme sie sich besonders zurück. Sie spricht lebhaft und mit den Händen, dirigiert das gute Dutzend Gäste eher energisch denn unterwürfig. Das passt durchaus zusammen, sagt sie: "Für die Japaner bin ich ja ein Unterhalter. Und Unterhaltung hat dort einen hohen Stellenwert. Aber: Sprachlich bleibe ich in einer Respekthaltung. Selbst bei den Jugendlichen benutze ich sehr höfliches Japanisch. Aber mit Humor und kleinen Brüchen."
Lohoff untermalt ihre Rede immer wieder mimisch und gestisch
Führungen, wie sie in Japan angeboten werden, würde sie nicht gerne machen: "Da trägt die Führerin Uniform und alle laufen brav hinter dem Stöckchen her. Das ist sowas von langweilig und steif." Sie habe verschiedene Funktionen gleichzeitig: Unterhalterin, Wissensvermittlerin, Diplomatin, "Brücke zwischen Deutschland und Japan". Schließlich ist sie auch dafür verantwortlich, dass sich alle Mitglieder ihrer Gruppen an die Regeln halten. Zum Beispiel an das Fotografierverbot in der Residenz.

Wer zu einer Führung von Barbara Lohoff in der Residenz stößt, der kann auch ohne Japanischkenntnisse einiges mitnehmen. Lohoff untermalt ihre Rede immer wieder mimisch und gestisch. Im großen Treppenhaus deutet sie zum Vergnügen der Jugendlichen kurz den majestätischen Schritt an, den die Länge der Stufen automatisch vorgibt. Auf halber Höhe der Treppe, als alle den Kopf im Nacken haben, um das Tiepolo-Fresko zu entschlüsseln, macht die Führerin auf die lässige Haltung des am unteren Bildrand dargestellten Balthasar Neumann aufmerksam und auf das Medaillon auf europäischer Seite, von dem aus der Fürstbischof gleichsam die Welt beherrscht. "Da wird absolutistisches Gedankengut sichtbar", sagt die Führerin. "Natürlich ist er nicht der Herrscher der Welt gewesen, das mache ich den Gästen schon klar. Aber er hat sich so gegeben. Ich stelle auch Bezüge zu Wien und zu Versailles her, um das zu verdeutlichen. Aber das ist immer eine Bauchsache – es darf nicht zu viel werden."
Der Status "Weltkulturerbe" hat für Gäste aus Fernost großes Gewicht
Den Ausdruck "Fürstbischof" gibt es im Japanischen natürlich nicht, Lohoff behilft sich mit Umschreibungen und Hinweisen auf vergleichbare japanische Persönlichkeiten, in diesem Falle lokale Fürsten. "Aber diese Vereinigung von weltlicher und religiöse Macht in einer Person, das ist aus japanischer Sicht etwas ausgesprochen Deutsches." Vieles bleibt denn auch rätselhaft. Oder zumindest missverständlich.
Die Vielzahl der Zeichen und Symbole zum Beispiel. Barbara Lohoff erzählt, wie sie einer Gruppe einmal das Schönborn-Wappen mit dem fränkischen Rechen erklärte. Eine Dame deutete daraufhin auf eine weiße Zickzack-Linie auf der Straße und sagte, der Bischof habe ja wirklich große Macht. "Ich habe mir das Lachen verkniffen und sie gelobt: ,Das haben Sie sehr gut erkannt, aber so weit reicht sein Einflussbereich doch nicht'".
Besonders der Status "Weltkulturerbe" hat für Gäste aus Fernost großes Gewicht. Die Residenz muss man gesehen haben. Zwei Dinge beeindrucken japanische Gäste immer besonders, wenn sie Würzburg besuchen: der Prunk der Residenz ("Der macht sprachlos") und dass sie nach so vielen Jahrhunderten überhaupt noch steht – im Erdbebenland Japan nicht selbstverständlich. Zum anderen ist es die Freiheit, mit der sich die Menschen in der Öffentlichkeit bewegen.
Wenn das Bier in der Teetasse bestellt wird
In Japan sind alle in ein System aus gesellschaftlichen Einheiten mit Verpflichtungen und Erwartungen eingebunden: Familie, Firma und Gesellschaft als Ganzes. Es gibt unzählige Regeln, was sich gehört und was nicht. Wenn Japaner durch Europa reisen, sind sie aus diesem System herausgenommen und testen mitunter die Grenzen aus. Ein wenig jedenfalls. Einmal bat eine japanische Reiseleiterin Barbara Lohoff in einem Lokal, ihr ein Bier zu bestellen – bitte getarnt in einer Teetasse.

Wer mehr über Barbara Lohoffs Beziehung zu Japan erfahren möchte, besucht sie am besten im Teezimmer im Siebold-Museum in der Würzburger Zellerau. Als sie in Japan lebte, übersetzt sie beim Aufbau des Würzburg-Hauses in der Partnerstadt Otsu - ein Geschenk der fränkischen Partnerstadt an die Metropole am Biwa-See. Dort lernte sie Mitsuo Narumiya aus der Bauverwaltung kennen. Narumiya war es, der dann das Teezimmer spendete - die originalen Einzelteile "im Wert eines Mercedes", so Lohoff – kamen in Containern an und wurden 2001 zusammengesetzt.
Seither ist das Teezimmer eine Art Kulturkapsel und ein authentischer Lernort, der allein durch seine selbsterklärende Vollkommenheit viel über japanisches Denken verrät. Barbara Lohoff deutet für das Foto die streng vorgegebenen Vorbereitungen einer Teezeremonie an. Alles ist hier genau abgezirkelt, die Proportionen, die Ausstattung, die Abfolge der Handgriffe. "Es geht um Harmonie, Reinheit, Respekt und Ruhe", erklärt sie. Eigenschaften oder Zustände, "die uns gut tun und heute immer mehr verlorengehen".
Diese Aspekte der japanischen Kultur sind Barbara Lohoff inzwischen zur zweiten Natur geworden. Auch der respektvolle Umgang als Grundhaltung könnte hier nicht schaden. Allerdings: "Japaner lassen zugunsten ihres Harmoniebedürfnisses manchmal die Wahrheit ein wenig schleifen."
Informationen zu Teezeremonien im Siebold-Museum gibt es unter https://siebold-museum.byseum.de/de/teehaus.