Wenn Markus Grimm am 14. Juli im Sommerhäuser Rathaus auftritt, tut er dies in einer besonderen Funktion: Er stellt sich den Bürgern als ihr Stadtschreiber vor. Im Mitteilungsblatt hat der Autor, Schauspieler und Theologe zur Auftaktveranstaltung eingeladen und beschrieben, wie er sein neues Amt versteht: „Der Stadtschreiber vereint in sich den Chronisten seiner Heimat und den Schriftsteller mit dem Kulturreferenten.“
Dass der in Würzburg lebende 51-Jährige „mit Sommerhausen in Tuchfühlung kam“, wie er es beschreibt, lag an der „Geschichte vom Schulmeister und seinem Sohn“. Nachdem Grimm diese für Sommerhausen neu aufgelegt und inszeniert hatte, kam ihm die Idee, sich für einen der dortigen Türme zu bewerben. Dabei stand für ihn fest: „Falls ich einen Turm bekomme, will ich nicht nur schön drin wohnen, sondern mich auch im Ort einbringen.“ Und so legte Grimm seiner Bewerbung die Vision einer Tätigkeit als Stadtschreiber bei – mit Erfolg.
Das Miltenberger Haus ist vorübergehend "Stadtschreiber-Stützpunkt"
„Es ist Tradition, dass die Türme mit Künstlern besetzt werden“, sagt Sommerhausens Bürgermeister Fritz Steinmann. Als der Flurersturm frei wurde – ein alter, eckiger Wehrturm, in dem zuvor die Künstlerin Eva Grossberg gelebt hatte – bekam Grimm den Zuschlag. „Auch der Gemeinderat steht voll hinter dem Projekt“, so Steinmann. Dass Grimm seinen Turm noch nicht beziehen kann, liegt daran, dass dieser komplett saniert werden muss. Vorerst nutzt er das Miltenberger Haus neben dem Rathaus als „Stadtschreiber-Stützpunkt“.
„Das Kunst- und Kulturimage von Sommerhausen muss neu gegriffen werden“, sagt Grimm, „der Ort zehrt noch von seiner Substanz, das geht aber nicht ewig so weiter.“ Er will „Kultur von Sommerhausen für Sommerhausen“. Die Bürger bräuchten Orte, wo sie sich treffen und selbst kulturell tätig sein können.
Vieles im klassischen Kulturbetrieb gehe in Richtung Konsum. „Was nichts kostet, ist nichts wert – so sind wir gepolt.“ Doch wenn man bei Veranstaltungen stets darauf achten müsse, dass man die Kosten über die Eintrittspreise wieder einnimmt, leide darunter auf lange Sicht die Kultur. Auch schließe man so weite Teile der Bevölkerung aus: Familien, Jugendliche, sozial Schwache. Grimm möchte – als Ergänzung zum kommerziellen Kulturbetrieb – Konzepte entwickeln, bei denen Menschen selbst aktiv werden.
Finanzieren könnte sich das Ganze durch Patenschaften, Sponsoring oder einen Förderverein. Der 51-Jährige hat „Pilothaftes“ im Sinn und setzt auf solidarische Modelle: „Die Idee der landwirtschaftlichen Verbrauchergemeinschaft würde ich gern für den Kulturbereich erfinden.“ Er arbeite freiberuflich für die Gemeinde. „Das erste halbe Jahr wird das Budget von Sommerhausen zur Verfügung gestellt“, sagt Bürgermeister Steinmann. Für die längerfristige Finanzierung sei man mit verschiedenen Institutionen im Gespräch, darunter Landratsamt und Bezirk.
Der Zeitpunkt, etwas in Sommerhausen neu zu gestalten, scheint günstig: Grimm spürt vor Ort „Bewegung“, Steinmann spricht von „gemeinschaftlicher Aufbruchstimmung". Einer der Gründe könnte sein, dass Sommerhausen eine wachsende Gemeinde mit vielen Neubürgern sei. "Besonders der Bedarf, etwas für Familien zu tun und sie zu entlasten, ist da“, sagt Steinmann.
Treffpunkte für Einheimische und Dazugezogene
„Die Menschen, die herziehen, haben zum Teil andere Bedürfnisse als die Einheimischen“, sagt die Sommerhäuserin Ingrid Bergmann. Familien, die keine Großeltern vor Ort hätten und keinem Verein beitreten wollten, wünschten sich Angebote für Kinder und Jugendliche sowie Anschluss. „Es ist an der Zeit, dass sich die Bevölkerung mischt – und dass man Orte der Begegnung schafft.“ Ein solcher Ort könnte die Bücherei sein, die seit vielen Jahren von drei Ehrenamtlichen betrieben wird. Zusammen mit einer Handvoll Mitstreiterinnen setzt sich Bergmann für Themen rund um die Bücherei ein. Mit dem Stadtschreiber haben sich die Frauen bereits vernetzt; ihr gemeinsames Anliegen ist es, Literatur durch Projekte und Angebote an alle Generationen zu bringen.
Für den Stadtschreiber ist der Kontakt mit den Bürgern wichtig: Welche Bedürfnisse gibt es im Ort bzw. welches Potenzial ist schon da? „Aus den Themen, die an mich herangetragen werden, entwickle ich ein Programm“, sagt Grimm. Sein Ziel: „Jeden an einem Zipfel erwischen, wo er, wenn er will, mitkommen kann.“ Als „Mittler zwischen Gemeinderat und Bürgern“ sieht Steinmann den Stadtschreiber. Dadurch, dass Sommerhausen 2018 in die Städtebauförderung aufgenommen wurde und zahlreiche Liegenschaften kaufen konnte, sei es nun möglich, etwas zu verändern und zu gestalten. Eine Idee ist, das Miltenberger Haus in ein „Haus der Kultur“ zu verwandeln. Auch für die räumlich sehr beengte Bücherei – sie ist aktuell in einer alten Backstube neben dem Rathaus untergebracht – gibt es Pläne. Sie soll in einen Pavillon neben der Schule umziehen und laut Steinmann „modern, hell und luftig“ werden.
Auch bei Markus Grimm steht die Weiterentwicklung der Bücherei auf der Aufgabenliste – neben vielen weiteren Ideen und Projekten, für die Mitstreiter benötigt werden. „Es gibt einen harten Kern an Leuten, die kulturell interessiert sind und sich ehrenamtlich einbringen.“ Für das erste großes Projekt des Stadtschreibers steht bereits der Termin: Am 26. und 27. Oktober finden die "1. Sommerhäuser Literaturtage" statt, das Thema ist "Heimat". Die Bürger können sich beteiligen und sind aufgerufen, selbst etwas zu schreiben. Für Jugendliche hat Grimm das Projekt „Zeig‘ Deine Heimat“ ins Leben gerufen, bei dem Beiträge jeder Art zum Thema Heimat entstehen sollen, wie zum Beispiel Geschichten, Fotos, Filme.
In seinem neuen Amt sieht Markus Grimm nichts weniger als eine „Lebensaufgabe“, in der alles zusammenfließt, was er bisher gemacht hat. „Nur etwas Dauerhaftes ergibt Sinn.“ – „Es bewegt sich was in Sommerhausen“, sagt Ingrid Bergmann. „Und das ist gut.“