Auf dem Keyboard in der Ecke des Tonstudios steht ein Notenheft: Chopin, Nocturnes. "Einer meiner Lieblingskomponisten", sagt Nikita Kamprad, selbst Komponist und Musiker. Er schreibt, produziert, spielt eine extreme Form von Metal: Black Metal. Metal verbinden die meisten Menschen mit Bands wie Metallica oder Iron Maiden. Black Metal ist eine der spektakulärsten und kontroversesten Spielarten des Genres – und hat doch damit nahezu nichts zu tun. Der Würzburger Nikita Kamprad ist Sänger, Gitarrist und Kopf der in der Szene hoch gehandelten Band Der Weg einer Freiheit. Das Klavier hatten ihm einst seine Eltern aufgezwängt, später hat es ihm ermöglicht, "die Theorie der Musik zu verstehen".
Chopin hat den 33-Jährigen inspiriert zum Titel des jüngsten Werks: "Noktvrn". K statt C und V statt U – das sei kantiger, passe besser zu den so filigranen wie harschen Klängen seiner Musik. Und das V stehe als römische Zahl obendrein für das bis dato fünfte Album der 2009 gegründeten Band mit dem nicht alltäglichen Namen: "Der symbolisiert meine Art und Weise, Freiheit zu finden. Andere finden sie beim Malen, Sport oder Kochen, ich in der Musik."
Die Welt zwischen Schlaf und Erwachen als Albumthema
Kamprad hat sich Gitarre und Bass ebenso wie das Komponieren selbst beigebracht. "Ich schnappe mir eine Gitarre, fange über Tage und Wochen eine bestimmte Stimmung ein, baue darauf auf. Ich lasse es intuitiv passieren." Erst dann gibt er den Songs in seinem Kreativzentrum, einem Tonstudio in Würzburg, am Computer die Struktur.
"Noktvrn" hat seinen Ursprung in einer Nacht, in der Kamprad in den frühen Morgenstunden im Halbschlaf Struktur für einen Song einfiel. Als er aufwachte, schrieb er das Geträumte auf. Und dachte: "Wäre diese gedankliche Welt zwischen Schlaf und Erwachen nicht ein Albumthema?" Er schrieb die Texte seiner Nachstücke bewusst nachts – in Einsamkeit, ohne Menschenkontakt.
Ist das dann noch Heavy Metal? "Nein!" Was dann? Die Gitarren auf der Platte klingen hart, aggressiv, nah am Krach. Meilenweit entfernt von dem, was der Volksmund Heavy Metal nennt. Das Genre hat ohnehin unzählige Unterarten: brutalen Death, schnellen Thrash, langsamen Doom, melodietrunkenen Power, vertrackten Progressive, düsteren Dark oder schwülstigen Symphonic Metal, jugendlichen Metalcore oder scheinbar atonalen Grind. Und, und, und. . .
Satanismus-Verdacht und Nazi-Erlebnisse in Osteuropa
Kamprad schmunzelt, hat aber eine Erklärung für den Genre-Wust: "Die Stempel sollen dem Konsumenten helfen, sich in der Flut der Neuerscheinungen zurechtzufinden." Seine Musik nennt die Plattenfirma Avantgarde, er selbst nennt sie Black Metal. Von Satanismus oder gar rechtsextremen Tendenzen, wie sie mit dem Genre gelegentlich in Verbindung gebracht werden, will er aber nichts wissen: "Um Gottes Willen, damit haben wir überhaupt nichts zu tun. "
Er ordnet er seine Band eher dem linken Spektrum zu, obwohl sie nicht politisch agiert. Und berichtet von absurden Begegnungen in Osteuropa, wo "sich offenbar das Gerücht hält, es gehöre in Deutschland zum guten Ton, Nazi zu sein. In Russland wollte ein 'Fan' ein Foto mit uns machen, auf dem wir den Hitlergruß zeigen sollten". Das Etikett Black Metal abzulegen, wäre Kamprad dennoch zu simpel: "Wir nutzen lieber jede Gelegenheit zu klaren Statements dagegen."
Schreigesang unterstreicht die Intensität der Gefühle
Für ihn hat das Extreme seiner Musik nichts mit Brutalität zu tun, "sondern mit Intensität von Gefühlen. Ich wünsche mir, dass meine Musik die Menschen berührt". Deswegen seien seine Texte sehr persönlich, obwohl (nicht nur) akustisch schwer zu verstehen: "Für mich ist Schreigesang ein musikalisches Mittel, um die Intensität der Musik zu unterstreichen." Eine Kunstform ähnlich der abstrakten Kunst.
Es ist eine schwer zugängliche Musik, hinter der gewaltigen Gitarrenwand detailliert, ausgefuchst. "Dazu passt keine plumpe Alltagssprache, ich versuche lieber, interessante Synonyme zu finden."
Nikita Kamprad ist nach seinem Abitur am Würzburger Siebold-Gymnasium ohne Berufsausbildung direkt in die musikalische Selbstständigkeit gewechselt. Aus dem Soloprojekt, dem sich 2011 zunächst Schlagzeuger Tobias Schuler anschloss, ist eine Band geworden. 2017 sind Gitarrist Nicolas Rausch und Bassist Nicolas Ziska hinzugekommen. Zwar schreibt Kamprad immer noch jeden Song alleine, doch werden die anderen Drei in den kompletten Aufnahmeprozess involviert.
Er nimmt Demos auf, verschickt sie an die Kollegen, die zu Hause üben können. Erst im Studio wird dann besprochen, was man besser machen kann. Mehr Teamwork sei nicht drin: Die Bandmitglieder stammen nicht alle aus der Region, haben einen Hauptberuf – Kamprad als freiberuflicher Musikproduzent, Schuler als freischaffender Musiklehrer und die beiden Nicolas in der IT-Branche. "Da können wir uns nicht regelmäßig treffen. Andererseits machen uns unsere Berufe auch kommerziell freier. Wir müssen nicht jede Tour, jedes Festival spielen."
Durch die Pandemie seien sie gut gekommen. "Die Auswirkungen auf die Kulturlandschaft wird man erst merken, wenn es mit Konzerten wieder umfänglich losgeht." Viele Mitarbeiter der Veranstaltungsbranche hätten sich in Studiengänge oder andere Berufe geflüchtet – und kämen nicht postwendend wieder zurück.
Das Konzert der Würzburger Black-Metal-Band "Der Weg einer Freiheit" wurde vom ursprünglichen Termin 17. November auf Freitag, 26. November, 20 Uhr (Einlass 19 Uhr) verlegt. Veranstaltungsort bleibt die Posthalle in Würzburg. Tickets gibt es online unter posthalle.reservix.de