Die Stretchlimousine fährt vor, die Türen gehen auf, fünf wilde Jungs springen heraus, die Gesichter hinter Sonnenbrillen versteckt. Kreischende Mädchen flankieren den Weg zum Hintereingang der riesigen Halle. Drinnen spielt die Vorgruppe, deren Musik leise in die Künstler-Lounge dringt. Die fünf Jungs lümmeln in weißen Ledersesseln, bereiten sich mit Schampus auf ihren Auftritt vor. Auf dem Silbertablett liegen Hummer-Häppchen . . . stopp! Ausgeträumt. Der Lärm draußen in der Gasse, irgendwo in Madrid, weckt die fünf Jungs auf. Die weißen Ledersessel sind Stockbetten. Keine Stretch-Limo, keine Groupies, kein Schampus. Na, ja, wenigstens ein paar Sonnenbrillen liegen auf dem klapprigen Tisch des Hostel-Zimmers herum. Willkommen auf Tour! Die Heavy-Metal-Band Sasquatch spielt einige Konzerte in Spanien – nicht unbedingt eine Lustreise für die Nachwuchsband aus Würzburg.
Billige Mehrbett-Absteigen mit Klimaanlagen, die nur hundertprozentige oder gar keine Kühlung kennen. „Da haben wir wenig geschlafen“, verrät Gitarrist Simon, der auch Mädchen für alles ist. „Traditionell kommen die Partyhengste unter uns mit ganz wenig Schlaf aus.“ Doch die Party fällt relativ schmal aus. Wo die Stars nach Auftritten vor 20 000 Zuschauern gerne noch die Nacht zum Tag machen, reicht's für die Nachwuchsriege zu ein paar Bierchen mit ein paar spanischen Fans an den Theken der Rock-Clubs „Hangar“ oder „Utopia“, wo hinter graffitiverzierten Stahltüren backstage kein Hochglanz-Mobiliar auf die Unterfranken wartet.
Warum nehmen fünf junge Musiker solche Strapazen auf sich, strecken auch noch Geld vor, ohne zu wissen, was hängen bleibt? Das wissen sie selbst nicht. Dazu geht alles zu schnell. Im Januar schreibt eine Booking-Agentur Simon an, der Manager, selbst Novize im Geschäft, hat die Würzburger auf Facebook entdeckt. „Wir waren für die so etwas wie Versuchskaninchen“, sagt der Online-Journalist. Der Feuer und Flamme ist für die Idee, sofort loslegt mit der Planung. Sprachkenntnisse – so vorhanden – aufbessern, den Proberaum zum zweiten Zuhause machen und schauen, wie das ganze Instrumentarium auf die Iberische Halbinsel kommt.
„Wir dürfen ja nicht das Maximalgewicht für Sperrgepäck überschreiten“, erklärt Simon, warum Verstärker, Boxen und das Schlagzeug – also alles, was schwer ist – daheim bleiben müssen. „Das ist alles Neuland für uns.“
Die Spanier sind leichter zu motivieren, leichter zum Durchdrehen zu bringen.
Heiko, Sänger bei Sasquatch
Und doch geht's auf die Reise. Quer durch die Provinz, das ist der Plan des Managers. „Wir haben aber gesagt, dass es Madrid und Barcelona sein sollte.“ Wird es auch, Saragossa kommt noch dazu. Doch auch in riesigen Städten gibt es winzige Clubs. Im Schnitt bespielen Sasquatch die 100-Zuschauer-Buden vor 60 Fans. Sänger Heiko stört es nicht: „Die Spanier haben eine andere Mentalität, sind leichter zum Durchdrehen zu bringen.“ Da passiert es schon mal, dass die Fans den Architektur-Studenten auf Schultern durch den Saal tragen – mitten im Auftritt, während er singt.
Singt. Nun, eher grunzt. Oder, wie es im Fachjargon heißt: growlt. Eine kehlige, extrem tiefe Stimme eben. Die Texte versteht dabei zwar kaum einer, aber es geht auch vielmehr darum, die Aggressivität der Musik zu transportieren. Darauf kommt es an beim Death Metal. Tiefer gestimmte Gitarren, brachiale Riffs, derbe Lyrik und eben diese Mörderstimme. „Mit der Brutalität dieser Musik lässt sich Wut gut kanalisieren“, versucht sich Simon in einer Erklärung. „Sie ist das perfekte Ventil, um seinem Unmut über das, was sich tagtäglich in der Welt abspielt, Luft zu machen. Wir sagen, was uns nicht passt. Aber wir gehen nicht auf die Straße und schlagen jemanden zusammen, im Gegenteil.“ Die fünf Würzburger Jungs sind nämlich nur auf der Bühne wild.
Sie fallen kaum auf im spanischen Großstadt-Dschungel. Vielleicht auch, weil ihre Bandshirts im Gegensatz zum genreüblichen Schwarz strahlend weiß sind. Und doch sind die fünf Tage weitab vom touristischen Standardprogramm. „Eher ein Roadtrip“, sagt Bassist Markus. „Wir müssen vor Ort alle Unterkünfte selbst managen und fahren mit einem Leihwagen durch die Gegend.“
Für den Projektmanager ist die erste Auslands-Minitournee mit Sasquatch „ein Abenteuer“. Gitarrist Michael nickt, für ihn wird schon die Ankunft noch abenteuerlicher als für die Kollegen. „Am Flughafen in Spanien war meine Gitarre weg. Ich musste mir dann eine bei einer anderen Band ausleihen“, erweist sich der Online-Shop-Betreiber als Meister der Improvisation. In der Vorbereitungsphase überlässt er indes nichts dem Zufall: „Ein kurzer Spanisch-Crashkurs in Sachen Alkohol-Beschaffung musste sein. Schließlich will man ja nicht auf dem Trockenen sitzen.“ Cerveza – ein Wort kann da erstaunlich hilfreich sein. Die Würzburger Jungs wissen eine zünftige Party zu feiern. Der bekennende Single Simon bestreitet auch nicht die Existenz von Groupies („es gibt schon welche“).
Hotelzimmer freilich zerlegen die Schwermetaller keine. „Wenn das Rockstar-Allüren sind, verzichte ich gerne darauf, Rockstar zu sein“, will Drummer Philipp von Exzessen nichts wissen. Der Erzieher wirkt tiefenentspannt. In Spanien können ihn weder extreme Temperaturgefälle von 40 (tagsüber) auf 16 Grad (nächtens dank Klimaanlage) aus der Ruhe bringen, noch das Abschleppen des Mietwagens mitten in Barcelona: „Eine unnötige Ausgabe, aber Geld sehe ich nur als Mittel zum Zweck. In einem Jahr werden wir über solche Sachen lachen.“ Die Würzburger müssen ihr Gefährt kostspielig „freikaufen“ – da fällt am Abend das Mahl eine Nummer spartanischer aus. Dabei legen die Jungs Wert auf ordentliche Verpflegung. Sind die Unterkünfte noch so abenteuerlich, landestypische Kost wie Paella ziehen sie amerikanischem Fast Food vor. Und am freien Tag wird gar im feinen Restaurant gespeist.
Da lümmeln sie sich ins Polster und fühlen sich für einen Moment als Rockstar. Der eine hat ein Hütchen auf, die meisten tragen dunkle Brillen. Kein Wunder, dass die Mädels am Nebentisch gucken. Die Würzburger philosophieren über ihre Anfänge. Heiko lacht heute, wenn er dran denkt, dass er vor neun Jahren noch Hip-Hop-Hörer war: „Ein Kumpel zeigte mir auf einem Festival die Band Kataklysm. Dieser Tag hat mein Leben verändert.“ Markus verrät, dass er die eigene Musikrichtung privat gar nicht auflegt: „Ich höre eher Mudvayne oder Gojira. Grundsätzlich eher Progressive Extreme Metal.“ Na, ja, für Nicht-Metaller dürfte das alles „Gschrubb“ sein. Da mögen's Philipp („progressiver Rock der Marke Dream Theater oder Opeth“) und Michael („alles von Oldies über Mittelalter bis Black Metal“) melodiöser. Philipp könnte sich als Einziger vorstellen, dass Sasquatch zumindest partiell den Growl- gegen Klargesang eintauschen: „Es hat seinen Reiz und auch seine Notwendigkeit. Vielleicht bei neuen Songs.“
Gerne würden Sasquatch solche Touren öfter machen. Überhaupt öfter, auch zu Hause in Deutschland, spielen. „So viel, wie es der Jahresurlaub zulässt“, weiß Heiko um die begrenzte Zeit, so lange die Band Hobby bleibt. „Ein teures Hobby“, ergänzt Michael. „Wenn es gut läuft, geht das null auf null aus.“ Die Fünf sind keine Träumer, dass mit Death Metal nur wenige Bands halbwegs über die Runden kommen, haben sie begriffen. „Ist halt keine radiotaugliche Musik“, so Philipp.
- YouTube-Kanal der Band
Und wenn eines Tages doch ein Manager vor der Tür steht und ein großes Ding daraus machen will – wenn sich die Jungs beispielsweise markante Outfits zulegen sollen? Kollektives Kopfschütteln, wenngleich Simon schon dezent darüber nachdenkt sein langes Bart-Zöpfchen am Kinn abzuschneiden. Oder die Musik deutlich glätten? Michael („lassen uns nicht weich waschen wie Volbeat oder Nickelback“) und Philipp („bin zu stur, um etwas anzunehmen, was ich vorgelegt bekomme“) protestieren. Notfalls erfolg-, aber immer kompromisslos. Davon darf sich am 17. Oktober die Wiener Metalgemeinde beim einzigen Österreich-Gig überzeugen. Eine Woche später sagen Sasquatch dann wieder einmal im Würzburger B-Hof den Freunden zu Hause Hallo.