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DINKELSBÜHL
Summerbreeze: Rock zwischen Pflicht und Kür
Summer Breeze: Beim zweitgrößten deutschen Heavy-Metal-Festival treffen Legenden wie Udo Dirkschneider auf wirtschaftlich ums Überleben kämpfende Bands wie Feuerschwanz.
Auch eine, die es mit ihrer Band geschafft hat in die erweiterte Heavy-Metal-Spitze: Arch-Enemy-Sängerin Alissa White-Gluz.
Foto: Fabian Gebert | Auch eine, die es mit ihrer Band geschafft hat in die erweiterte Heavy-Metal-Spitze: Arch-Enemy-Sängerin Alissa White-Gluz.
Michi Bauer
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:42 Uhr

Metal Heart! Wenn in einem das metallische Herz schlägt, dann in Udo Dirkschneider. Und das seit 66 Jahren. Der Wuppertaler mit der Reibeisenstimme hat 1971 Accept, die hinter den Scorpions zweiterfolgreichste deutsche Heavy-Metal-Band, gegründet, nach seinem ersten Ausstieg 1987 U.D.O. Nun steht er beim Summer-Breeze-Festival in Dinkelsbühl auf der Bühne – und 40 000 Fans, von denen die meisten seine Enkel sein könnten, feiern Dirkschneider ab, als hätte er aktuell mindestens drei Titel gleichzeitig in den Charts.

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Dirkschneider heißt sein Tournee-Projekt, hinter dem sich U.D.O. verbirgt, auf 300 Shows in drei Jahren aber ausschließlich Accept-Hits bietet. So auch auf dem Summer Breeze, dem zweigrößten Metal-Festival hierzulande. „Das wird heute eine Hitparade, Party pur“, weiß der Rock-Veteran schon drei Stunden vor seinem Auftritt. Lässig sitzt Udo Dirkschneider im Artist-Bereich hinter der gewaltigen Bühne, über so etwas wie Lampenfieber kann er nur müde lächeln. Alles Routine? Nicht ganz, ein bisschen Spontanität hat er sich bewahrt. „Authentizität ist ganz wichtig, du musst für die Fans glaubwürdig sein.“

Musiker als Teilzeit-Job

Machen müsste er den Job nicht mehr, sagt Dirkschneider. Er spielt zwar längst nicht in der Metallica- oder Iron-Maiden-Liga, lebt aber recht gut von den Tantiemen aus der Accept-Zeit, als in den Achtzigern Alben wie „Balls to the Wall“ über zwei Millionen Mal verkauft worden sind. Und auch zu den Anfangszeiten mit U.D.O. „wurde mit Plattenverkäufen noch gut verdient“. Da diente die Tour noch der Werbung für eine neue Scheibe, heute, im Download-Zeitalter, liefert Letztere frisches Material für die Tour – und nur noch mit der und dem Fan-Artikel-Verkauf wird Geld verdient. „Bei den meisten Bands müssen die Musiker nebenher noch arbeiten“, nennt Dirkschneider das Dilemma des künstlerischen Teilzeit-Jobs. „Da geht dann der Jahresurlaub für die Tour drauf. Und unter dem dann intensiveren restlichen Arbeitsjahr leidet wiederum die Kreativität.“

Hitze, Regen, alles dabei beim Summer Breeze in Dinkelsbühl
Foto: Fabian Gebert | Hitze, Regen, alles dabei beim Summer Breeze in Dinkelsbühl

Viele deutsche Metal-Bands könnten sich, so Dirkschneider, Vollprofitum nicht gönnen. Womöglich er selbst auch nicht, hätte er nicht in den für das Genre goldenen Achtzigern solch großen Erfolg gerade auch als Komponist der größten Accept-Hits wie „Princess of the Dawn“, „Balls to the Wall“ oder „Fast as a Shark“ gehabt. Ein Rezept glaubt er dennoch ausmachen zu können. „Solides Handwerk abliefern. Gute Songs schreiben und immer an sich glauben. Nur wenn du wahre Persönlichkeit rüberbringst, nehmen dir die Fans Rockmusik ab.“ Kritisch beäugt er die Entwicklung in der Szene: „Ich vermisse bei vielen jungen Bands das Charakteristische, ein Konzept.“ Powerwolf zum Beispiel hätten eines und sind binnen weniger Jahre in die nationale Metal-Bel-Etage geklettert. In Dinkelsbühl stehen sie am zweiten der vier Tage als Headliner auf der Bühne. Ihr Kennzeichen: Schminke, sakrale Show und Mitgröl-Refrains. „Nur schneller, höher, weiter spielen, reißt auf Dauer nicht mit. Ich brauche keine Songs von mindestens sieben Minuten, in denen 5000 Mal das Tempo gewechselt wird.“

Kraftvoll und eingängig – an seinem Erfolgskonzept hat Udo Dirkschneider auch nichts geändert, als in den Neunzigern der Grunge den klassischen Metal ins Abseits stellte. Seine Rechnung ging auf: Viele Bands, die auf den Zug mit aufgesprungen waren, kamen danach nicht mehr ins alte Fahrwasser – anders Dirkschneider, ebenso wie seine Ex-Band Accept, mit der er seit dem zweiten Ausstieg 2005 in Zwist lebt. Die großen Hallen sind's nicht mehr. Bei Festivals wie in Wacken stehen über 50 000 Fans vor der Bühne, der Alltag sind aber Clubs mit 500 bis 2000 Besuchern. „Mag ich fast lieber, das ist schwitziger, Face to Face“, sagt der 66-Jährige, der sich diese kleineren Einnahmequellen eben leisten kann.

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CD-Verkauf wirft zu wenig ab

Etwas anders sieht das bei den Erlanger Mittelalter-Rockern von Feuerschwanz aus. Auch sie bespielen auf dem Summer Breeze die Hauptbühne, jedoch nachmittags. Auch all die Künstler, die da an der Reihe sind, nehmen nicht mehr als ein Taschengeld mit. „Bei uns kann keiner ausschließlich von der Band leben“, macht sich der für den Gesang zuständige Hauptmann Feuerschwanz nichts vor. „Und vermutlich wird das auch so bleiben.“ Das Modell „50 Prozent Arbeit und 50 Prozent Musik“ sei in der Branche üblich. Sein Kollege und Gitarrist Hans der Aufrechte fügt trotz einer Top-Fünf-Platzierung mit der letzten CD „Sex is Muss“ an: „Das Bild des großen Rockstars kannst du vergessen. Zu den 50 Prozent Musik gehören noch nicht einmal nur die Auftritt- und Plattenausnahmen, sondern auch Social Media oder Booking. Trotz des ganzen Aufwands bleibt vom CD-Verkauf für eine sechsköpfige Band einfach zuwenig hängen.“

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Das Geldverdienen mit den Konzertreisen sei aber, so der Hauptmann, eine Gratwanderung. Man müsse aufpassen, sich nicht zu überspielen; tauche man auf jedem Festival auf, werde man zu schnell langweilig für die Fans. Sein Plan gleicht eher einer Wirtschaftsbilanz: „Unser Ziel sind natürlich höhere Gagen. Deswegen wollen wir unsere Shows aufwendiger machen, quasi investieren, um bessere Slots und damit auch höheren Ertrag bei Festivals zu bekommen.“ Ihr neues Album „Methämmer“ soll das musikalisch unterstützen mit mehr Hang zum Mainstream.

Udo Dirkschneider kann sich diesen Weg schenken, auch auf der 2018er Scheibe „Steelfactory“ bleibt er seinem Stil treu – er hat die Pflicht hinter sich, tanzt jetzt Kür.

Eine deutsche Heavy-Metal-Legende: Udo Dirkschneider
Foto: Fabian Gebert | Eine deutsche Heavy-Metal-Legende: Udo Dirkschneider
 
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