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Würzburg
Mainfranken Theater: Packende "Physiker" in der Blauen Halle
Erste Saison-Premiere in Würzburg: Die Theaterfabrik Blaue Halle funktioniert bestens, das Dürrenmatt-Stück über die Verantwortung der Wissenschaft ist aktueller denn je.
Möbius (Florian Innerebner) kann sich mit einem simulierten Tobsuchtsanfall seiner Ex-Frau entziehen, Schwester Monika (Jojo Rösler) entkommt er jedoch nicht.
Foto: Thomas Obermeier | Möbius (Florian Innerebner) kann sich mit einem simulierten Tobsuchtsanfall seiner Ex-Frau entziehen, Schwester Monika (Jojo Rösler) entkommt er jedoch nicht.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 09.02.2024 12:49 Uhr

Die Blaue Halle ist nicht blau, sondern schwarz, jedenfalls von innen. Und sie funktioniert. Man kann die Interimsspielstätte des Mainfranken Theaters in der Würzburger Dürrbachau getrost einen Glücksgriff nennen. Die "Theaterfabrik" auf dem Gelände der Firma va-Q-tec ist einladend bis hin zu durchdachten Details wie dem blauen, pumpsfreundlichen Kunststoffbelag auf den Gitterstufen der Außentreppe. Oder den Glasscheiben, die Besuchern auf dem Weg zur Toilette einen Blick in die Maske erlauben. Blaues, zauberisches Licht empfängt das Publikum, Aufkleber weisen den Weg oder mahnen zur Einhaltung der Coronaregeln. Eines der Motive ist das längst ikonische Signet der Atemmaske: "Das wichtigste Requisit", steht darunter.

Zum Schluss triumphiert die Chefärztin (Johanna Meinhard), die sich Möbius' Formel längst unter den Nagel gerissen hat, mit einer schrillen Hymne an die Groteske.
Foto: Thomas Obermeier | Zum Schluss triumphiert die Chefärztin (Johanna Meinhard), die sich Möbius' Formel längst unter den Nagel gerissen hat, mit einer schrillen Hymne an die Groteske.

Die großzügige Halle selbst umfängt den Besucher dank der schwarzen Abhängung augenblicklich mit einem Gefühl wohligen Aus-der-Welt-Seins. Nur 129 von 500 Plätzen sind derzeit besetzbar, es fehlen die Sitzreihen mit den ungeraden Ordnungszahlen, was für maximale Beinfreiheit sorgt. Das, immerhin, ist ein angenehmer Nebeneffekt der ansonsten für das Kulturleben so verheerenden Pandemie.

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Vor allem: Die Akustik scheint ausgezeichnet zu sein. Jedenfalls sind alle Darstellenden in Friedrich Dürrenmatts "Die Physiker", der ersten Saisonpremiere am Freitag, bestens zu verstehen. Sina Barbra Gentsch (Bühne und Kostüme) hat für Tim Egloffs dezent modernisierte und auf 75 pausenlose Minuten verschlankte Inszenierung des 1962 uraufgeführten Stücks eine schräg stehende Front mit Sanatoriums-Zimmertüren in blassem Mintgrün geschaffen (Licht: Mariella von Vequel-Westernach), die die erhebliche Breite der Bühne voll ausnutzt.

Die Durchgeknallten sind nicht die Patienten, sondern die Vertreter der Außenwelt

Die Durchgeknallten in diesem Sanatorium sind nicht die Patienten, die vorgeblich wahnsinnigen Physiker Newton, Einstein und Möbius, sondern die Vertreter der Außenwelt. Cedric von Borries als Kommissar ist von Anfang an auf 180, Johanna Meinhard agiert als Chefärztin in ihren ersten Szenen so seltsam, dass der Zuschauer gar nicht anders kann, als sie zwielichtiger Motive zu verdächtigen. Alles atmet Dürrenmatts Vorgabe des Grotesken.

Die Physiker: Einstein (Georg Zeies), Möbius (Florian Innerebner) und Newton (Thomas Klenk). 
Foto: Thomas Obermeier | Die Physiker: Einstein (Georg Zeies), Möbius (Florian Innerebner) und Newton (Thomas Klenk). 

Möbius' Ex-Frau Lina (Christina Theresa Motsch) hat noch die dramaturgische Funktion, Möbius die Bühne zu bereiten. Den eigentlichen Wendepunkt aber bildet die wunderbar abgedrehte Szene, in der Jojo Rösler als Schwester Monika die Maske der züchtigen Fachkraft fallen lässt (im wörtlichen wie im übertragenen Sinne) und Möbius mit dem gruseligen Lebensplan trauter Zweisamkeit auf dem Dorf konfrontiert.

Die Diskussion über die Verantwortung der Forschung hat nichts Lehrbuchhaftes

Ab da ist alles Eskalation. Möbius (Florian Innerebner) will seine gefährliche Entdeckung der Weltformel mit allen Mitteln geheimhalten, denkt aber, Genie hin oder her, einen Schritt zu kurz. Einstein (Georg Zeies) und Newton (Thomas Klenk), die vorgeblichen Mitpatienten, sind in Wahrheit Geheimagenten, die ihrerseits hinter der Weltformel her sind. Sie beide denken gleich mehrere Schritte zu kurz.

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Innerebner, Zeies und Klenk bilden ein höchst charismatisches Trio. Ihre Diskussion über die Verantwortung der Forschung beziehungsweise der Gesellschaft im Umgang mit den Ergebnissen der Forschung hat nichts Lehrbuchhaftes. Die Parallelen zur Gegenwart sind offensichtlich, ebenso die unausweichliche Erkenntnis "Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden". So triumphiert zum Schluss die Chefärztin, die sich Möbius' Formel längst unter den Nagel gerissen hat, mit einer schrillen Hymne an die Groteske. Die alten weißen Männer sind abgemeldet.  

"Die Physiker", Komödie von Friedrich Dürrenmatt. Regie: Tim Egloff. 75 Minuten, keine Pause. Theaterfabrik Blaue Halle, Dürrbachau.
Bis Ende Oktober auf dem Spielplan, jeweils zwei Vorstellungen pro Tag. Parkplätze vor Ort.
Anfahrt: Kostenloser Bus-Shuttle-Service vom Bussteig A des Würzburger Busbahnhofs 60 und 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn. Im Anschluss an die Vorstellung Rückfahrt zum Busbahnhof.
Karten: Im Webshop bis eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn unter mainfrankentheater.de. Und an der Theaterkasse im Falkenhaus Würzburg am Oberen Markt, Tel. (0931) 3908-124, karten@mainfrankentheater.de

 
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