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Sommerhausen
Torturmtheater: Interessiert sich das Leben überhaupt für unsere Entscheidungen?
Das Stück "Atmen" von Duncan Macmillan führt gnadenlos vor Augen, wie flüchtig das Leben ist. Interessanterweise wirkt das gar nicht so pessimistisch, sondern eher tröstlich.
Sie aktiv, neugierig und auch mal unfair, er linkisch und ein wenig egoistisch: Mira Huber und Steffen Recks auf der Bühne des Torturmtheaters.
Foto: Thomas Obermeier | Sie aktiv, neugierig und auch mal unfair, er linkisch und ein wenig egoistisch: Mira Huber und Steffen Recks auf der Bühne des Torturmtheaters.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 12.09.2022 15:34 Uhr
  • Was ist das für ein Stück? "Atmen" von Duncan Macmillan im Sommerhäuser Torturmtheater ist ein Zwei-Personen-Drama über nichts weniger als die Frage, wie man ein gutes Leben führt. Ein Schlagabtausch zwischen zwei Menschen – aufreibend, witzig, tragisch und entlarvend.
  • Was passiert in dem Stück? Ein junges Paar streitet, versöhnt sich, hat Sex, trennt sich, kommt wieder zusammen, bekommt ein Kind, wird gemeinsam älter. Ein Leben im Schnelldurchlauf mit Zwischenstopps an bedeutenden wie an banalen Haltepunkten.
  • Was bleibt? Einmal mehr die allzu flüchtige Einsicht, wie wertvoll das Hier und Jetzt ist. Wie hinfällig viele Probleme – etwa ein verpasstes Meeting – erscheinen, wenn man das große Bild vor Augen hat. Aber wer kann das schon? Der britische Autor Duncan Macmillan, Jahrgang 1980, zeigt, wie schnell so ein Leben vorbei sein kann, und wie bedeutend es dennoch ist. 

Ein junges Paar in der Schlange bei Ikea. Sie vorne, unübersehbar genervt. Er dahinter, Ratlosigkeit im Gesicht. Wie sich herausstellt, hat er die Baby-Frage gestellt – ausgerechnet hier und jetzt. Er würde gerne darüber reden, das Für und Wider abwägen. Sie ist erstmal komplett überfordert, regt sich auf. Er rät, sie solle sich nicht aufregen, was bekanntlich die Dinge nie besser macht.

Immerhin: Die beiden einigen sich darauf, die Schlange zu verlassen und ein Gespräch zu versuchen. Das dann aber doch wieder so läuft wie offenbar alle Gespräche zwischen diesem und möglicherweise auch vielen anderen Paaren: Man fällt sich ins Wort, redet aneinander vorbei, drückt gegenseitig die Knöpfe, die wehtun. Später wird er sie einmal fragen: "Sind das die Hormone, oder bist du jetzt einfach gemein?"

70 in jeder Hinsicht pausenlose Minuten

Regisseur Ercan Karacayli hat das Zwei-Personen-Stück "Atmen" des britischen Autors Duncan Macmillan im Torturmtheater in Sommerhausen (Lkr. Würzburg) zu knapp 70 in jeder Hinsicht pausenlosen Minuten verdichtet. Angelika Relin hat dafür ein kleines Baugerüst und drei multifunktionale Metallboxen auf die winzige Foyer-Bühne gestellt, die erstaunlich effektive Szenenwechsel und schnelle Schnitte zulassen. 

Ein Baugerüst und drei Metallboxen lassen erstaunlich schnelle Schnitte und Szenenwechsel zu.
Foto: Thomas Obermeier | Ein Baugerüst und drei Metallboxen lassen erstaunlich schnelle Schnitte und Szenenwechsel zu.

Mira Huber und Steffen Recks spielen mit großer Geistesgegenwart das junge Paar, in dem schon früh die Rollen verteilt sind: Sie aktiv, neugierig, emotional, hin und wieder unfair; er ein wenig träge, linkisch, lernbereit, aber letztlich doch eher egoistisch. Diesen Parforceritt würdigt das Publikum zum Schluss mit langem, begeistertem Beifall.

Parabel auf das unerbittliche Voranschreiten der Zeit

Was beginnt wie eines dieser Paar-Kammerspiele in der Tradition von "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" entpuppt sich als Parabel auf das unerbittliche Voranschreiten der Zeit. Anders gesagt: Macmillan steckt die Figuren (Namen gibt es keine) in einen gnadenlosen Zeitraffer.

Zwar hat unter all den Lebensentscheidungen, die zu treffen sind, die Baby-Frage das größte Gewicht – bis hin zur Schlusspointe, dass dieses (ehemalige) Baby eines Tages das Heim für seine Mutter aussuchen wird. Aber letztlich sind all die Fehler, Gemeinheiten, Hoffnungen, Glücksmomente, Lüste, Schmerzen, Enttäuschungen und Verletzungen doch nur so etwas wie Büsche oder Bäume, betrachtet aus einem immer schneller dahinrasenden Zug heraus. So wie eben auch die Lebenszeit beim Älterwerden immer schneller verrinnt. 

Ist das pessimistisch? Vermutlich. Aber irgendwie auch tröstlich. Wir können immer wieder nur versuchen, die bestmögliche Version von uns selbst zu sein. Und dann passiert sowieso das, was das Leben für uns bereithält.

Das Stück läuft bis 28. Oktober und von 23. November bis 19. Dezember. Spieltage: Di.-Fr. 20 Uhr, Sa. 16.30 und 19 Uhr. Karten: kartenbestellung@torturmtheater.de oder Tel. (09333) 268

 
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