
Was soll das überhaupt für ein Stück sein? Ein Mann steht auf der Bühne und erzählt, wie er gerade ein Stück spielt. Oder wie ein anderer gerade ein Stück spielt. Schließlich spricht er in der Dritten Person von dem Mann auf der Bühne, der er selbst ist. Ist er jetzt also Darsteller, Kommentator oder Privatperson? Oder alle drei? Besser gefragt: Wann ist er welche dieser drei Figuren?
Der gut 70-minütige, bestens coronageeignete Ein-Mann-Monolog "Event" des amerikanischen Dramatikers und Regisseurs John Clancy ist vorgeblich ein Stück über das Theaterspielen, in Wahrheit natürlich, wie jedes gute Theaterstück, ein Stück über das Leben und über unsere Zeit. Am Donnerstag hatte es im Sommerhäuser Torturmtheater Premiere mit Armin Hägele als "Ein Mann". Regie führt Oliver Zimmer.
Es ist ein höchst unterhaltsames Wechselspiel voller Fallen und falscher Fährten. Und das mit Ansage: "Alles ist probiert, verbessert und abgesegnet", sagt der Mann immer wieder. Sogar der Hänger. Sogar der Wutanfall, weil der Techniker da oben hinter den Scheinwerfern partout nicht auf seine Zurufe antworten will. Darf er gar nicht. Es ist nicht seine Rolle. Er würde sogar gekündigt werden, würde er plötzlich sein systemisch verordnetes Schweigen brechen. Und doch versucht ihn der Mann da unten auf der Bühne immer wieder aus der Reserve zu locken.
Ein kunstvoll gewobenes Netz aus vielen Handlungsfäden, das keine Handlung hat
Gelegentlich wendet sich der Mann vertraulich an den Saal. "Sie hoffen, unterhalten zu werden. Diese Hoffnung gerät gerade ins Wanken", sagt er verschwörerisch. Ist das Koketterie? Oder lehnt sich da gerade eine Figur gegen ihren Auftrag auf? Leidet der Privatmann unter den auswendig gelernten Worten, die der Schauspieler aufsagen muss, möglichst in der richtigen Reihenfolge und ohne welche auszulassen?
Allmählich wird klar: Dies ist ein außerordentlich kunstvoll gewobenes Netz aus vielen Handlungsfäden, die zusammen ein Gesamtwerk ergeben, das vollkommen ohne Handlung auskommt, sieht man von ein paar Running Gags ab.

Oder doch nicht? Denn irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem es keine Rolle mehr spielt, wer da gerade spricht. Weil die Sätze zutiefst wahr sind. Weil sie uns alle treffen, die wir einander nicht mehr begegnen, sondern über allerlei Gerätschaften "in Verbindung" bleiben. Die wir "eingelötet" sind, "jeder in seine eigene Kapsel". Die wir schon außer uns geraten, wenn wir an der Supermarktkasse die langsamste Schlange erwischen.
Armin Hägele ist ein brillanter Grenzgänger zwischen Komplizenschaft und Auflehnung
Und dann lässt der Autor ganz die Maske fallen: "Es ist, als würden wir alle Theater spielen. Wir wissen, es ist künstlich, aber wir sagen pflichtgemäß die Worte auf, die man von uns erwartet." Das ist es also: Die Männer auf der Bühne, das sind wir, weit weg von unserem Heimatplaneten: "Uns sind, tief im Innern, in irgendeiner Form die Ankertaue gerissen."
Armin Hägele ist ein brillanter Grenzgänger zwischen Komplizenschaft, Auflehnung, Resignation und plötzlicher Verwundbarkeit. Dieses Theater im Theater im Theater, diese große dramaturgische Matrjoschka-Konstruktion, dieses immer neue Aufbauen falscher, sozusagen virtueller Kulissen meistert er mit Bravour. Hägele ist – nein: Der Mann ist sympathisch, gelegentlich ein bisschen selbstmitleidig, öfter aber selbstironisch, ein bisschen cholerisch und ansonsten ziemlich scharfsinnig. Aber wie gesagt: Alles probiert, verbessert, abgesegnet. Und vom Premierenpublikum mit sehr langem Applaus für gut befunden.
Das Stück läuft von 24. November bis 18. Dezember. Spieltage: Di.-Fr. 20 Uhr, Sa. 16.30 und 19 Uhr. Karten: kartenbestellung@torturmtheater.de oder Tel. (09333) 268