
"Ihr wart im Theater? Die spielen wieder? Wie war's?" Solche Fragen sind dieser Tage nicht ungewöhnlich. Und sie beziehen sich erst in zweiter Linie auf den künstlerischen Wert einer Aufführung. Freunde (richtige und die auf Facebook), Nachbarn, Verwandte sind neugierig. Überlegen vielleicht, ob sie sich die Show selbst auch anschauen und wollen wissen, wie das so ist, wenn man unter Corona-Bedingungen ins Theater geht. In Schweinfurt wie in vielen anderen Städten waren solche Fragen ein halbes Jahr nicht zu hören: Zwangspause.
Am 13. März gingen die Lichter aus im Theater
Am 13. März, nach einem wundervollen Abend mit Tenor Daniel Behle, waren im Theater der Stadt die Lichter ausgegangen. Erst am 23. September, 28 Wochen später, sind sie wieder angegangen. Mit der faszinierenden One-Man-Show "Leo" von Tobias Wegner. In der Zwischenzeit hat sich die Welt verändert. Das Leben ist ein anderes geworden. Aber eines ist geblieben: Die Magie einer Theatervorstellung. Die Freude, etwas zu live erleben. Das tiefe Bedürfnis nach Abwechslung, nach Staunen, nach Unterhaltung, nach Überraschung.
Wie also fühlt es sich nach vielen Open-Air-Erlebnissen im Sommer an, nun einen Abend im Saal unter Corona-Bedingungen zu erleben? Maske tragen, bis man sitzt, das ist längst Alltag. Es gibt keine Abendkasse. Das ist ungewohnt. Auch keine Garderobe. Auch ungewohnt. Der kurze Plausch mit den netten Frauen, die die Jacken aufhängen und die Marken ausgeben, gehört sonst irgendwie dazu.

Ein Abend im Theater ist heute spürbar anders als früher. Erst unter Pandemie-Bedingungen fällt quasi im Rückblick auf, wie schön es eigentlich immer ist, im Foyer Bekannte zu begrüßen, sich in der Pause zu debattierenden Grüppchen zusammenzufinden. Vollkommen tabu. Oder in der Bar etwas zu trinken und in Ruhe das Programmheft zu lesen. Die Bar ist erstmal weiterhin zu. Das Haus macht erst eine halbe Stunde vor der Vorstellung auf, die wenigen Besucher der ersten Vorstellung huschen fast ein wenig verstohlen zu ihren Plätzen.
Es ist mit Händen zu greifen: Die Begegnungen fehlen, das Leben, das Stimmengewirr vor der Vorstellung, in der Pause, beim Heimgehen. Das Gefühl wirkt um so absurder, wenn man durch den Park ins Theater geht: Gruppen junger Leute stehen und sitzen fröhlich zusammen. Corona scheint da draußen kein Thema zu sein.
Maximal 200 Zuschauer sind erlaubt
Die Corona-Härte schlägt offenbar nur drinnen im Theater zu. 200 Zuschauer erlauben die Regeln, 100 sind zur Wiedereröffnung gekommen. "Ich freue mich über jeden von Ihnen", sagt Theaterchef Christian Federolf-Kreppel. So leer hat er sein Haus wohl noch nie gesehen, wenn er auf der Bühne steht und das Publikum begrüßt. Was außerdem auffällt: Die Sitze, die freibleiben müssen, sind nicht nur gekennzeichnet, sondern abmontiert. Dass verhindert, dass Theaterbesucher das tun, was sie sonst immer tun: Aufrutschen zu vermeintlich besseren Plätzen, sobald das Licht ausgeht.
"Wir sind für Sie und die Künstler da", sagt ein sichtlich bewegter Christian Federolf-Kreppel. Dafür gibt es Applaus. Wer hier im Publikum sitzt, freut sich, dass endlich wieder Leben im Theater ist, dass es endlich wieder etwas hautnah zu erleben gibt. Auch wenn ein Hauch von Traurigkeit in der Luft liegt. Und Sehnsucht nach Normalität.

"Sagen Sie weiter, dass wir spielen", bittet der Theaterleiter. Das werden die Zuschauer gerne machen. Denn was Tobias Wegner mit seiner Show "Leo" zeigt, ist sensationell. Ein Koffer, ein Hut, eine Glühbirne, ein Stück Kreide: Damit lässt Wegner Welten entstehen. Zwei, um genau zu sein. Die Bühne ist in zwei identische Räume geteilt. Was Wegner im Raum rechts tut, wird auf eine Leinwand links projiziert – allerdings um 90 Grad gedreht. In der einen Welt dreht der Körperkünstler etwa am Boden liegend Pirouetten. In der anderen tanzt er dank gedrehter Projektion aufrecht - das wirkt verblüffend natürlich. Es gibt zwei Leos gleichzeitig.
Das ist schnell, witzig, atemberaubend. Und ganz schön verwirrend. Irgendwie verliert man den Blick für die Realität. Ist der links kopfüber von der Decke hängende Leo jetzt der richtige? Oder der rechts an der Wand lehnende? Verkehrte Welt - mit etwas Fantasie könnte man sie durchaus als Corona-Parabel deuten.
Wie macht der Mann das? Das fragt man sich permanent in diesen pausenlosen, extrem kurzweiligen 60 Minuten. Wie denkt man sich Bewegungen aus, die in der um 90 Grad gekippten Gegenwelt komplett anders aussehen, und dennoch natürlich wirken? Wie kann er das alles so mühelos aussehen lassen? Wie kriegt er es hin, im Liegen eine Zimmereinrichtung mit Kreide an die Wand zu malen, die natürlich erst in der gekippten Version korrekt dasteht? Eine Meisterleistung, akrobatisch, tänzerisch wie künstlerisch.
Ach ja, es fehlt ja noch die Antwort auf die Frage: Ihr wart im Theater? Wie war's? Die Antwort: Anders, als sonst. Aber wundervoll!
Weitere Vorstellung: Das Programm "Leo" ist nochmal heute, 24. September, 19.30 Uhr, im Theater der Stadt Schweinfurt zu erleben. Es gibt noch Karten, die Theaterkasse ist bis 18 Uhr geöffnet: Tel. (09721) 514955
