Ein doppelbödiges Zitat, hier ist es vollkommen ernst und ironiefrei gemeint: "Eine Sternstunde! Dankbar und glücklich müssen wir sein, dass wir dabei sein durften." Die Figur Dr. Schönfärber sagt das in der Kultserie "Monaco Franze", nach einer, glaubt man dem Kritiker der "Süddeutschen Zeitung", skandalös schlechten Aufführung der "Walküre".
An diesem Freitagabend im Theater der Stadt Schweinfurt hört man diesen Satz mit leichten Variationen oft. Der letzte Abend vor der coronabedingten Schließung bis mindestens 19. April. Das letzte Mal an der Garderobe die Marke gereicht bekommen, das letzte Mal einen Snack für die Pause bestellen, das letzte Mal mit anderen Besuchern Vorfreude austauschen, das letzte Mal gespannt den Zuschauerraum betreten. Und hinterher das letzte Mal hinaustreten in die Nacht und den Abend nachwirken lassen.
"Heute waren nur die Enthusiasten da, deshalb ist der Funke so übergesprungen", sagt ein Besucher, und auch das denken wohl die meisten derer, die sich hergetraut haben. Sehr schwer zu sagen, wie viele es sind, verkauft waren über 500 Karten, gekommen sind erheblich weniger. Sorgsam und lobenswert verteilt bevölkern sie die Sitzreihen. Viele, so scheint es, blicken sich nochmal ausgiebig um, genießen die zeitlose Eleganz der Architektur, nehmen Abschied.
Es ist nicht Trotz und sicher auch nicht Fahrlässigkeit, was die Enthusiasten hergeführt hat
Kurioserweise wirken sie in diesem großen Raum weder verloren noch isoliert. Im Gegenteil, bis ganz nach hinten unter die Empore entsteht eindeutig so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl. Es ist nicht Trotz und sicher auch nicht Fahrlässigkeit, was diese Enthusiasten hergeführt hat, wohl eher das Bedürfnis, sich selbst und einander noch einmal dessen zu versichern, was wichtig ist. Es ist die Liebe zur Musik, zur Kunst, zum Theater.
Und Theater bekommen sie an diesem – vorerst – letzten Abend. Besser gesagt: große Oper. Daniel Behle, der unglaublich vielseitige Tenor, dessen Schaffen sich an den großen Häusern eher zwischen Mozart, Strauss und Wagner bewegt (unter anderem als David von Barrie Koskys "Meistersingern" in Bayreuth), also im weitesten Sinne im deutschen Fach, macht sich selbst und seinem Publikum das Geschenk einer Belcanto-Hitparade. Verzeihung: einer Behlcanto-Hitparade.
Und weil es ihm zu langweilig gewesen wäre, all die Hammer-Arien des italienischen Repertoires von "Una furtiva lagrima" über "Ah, mes amis", "La Donna è mobile", "E lucevan le stelle" bis hin zu "Nessun dorma" mit Orchester zu singen, weil er also die Schlager des Genres, die man sonst bestenfalls auf Greatest-Hits-CDs versammelt am Stück hören kann, mal ganz anders präsentieren wollte, hat er das Programm in eigens von Stefan Malzew angefertigten Arrangements mit dem Alliage Quintett einstudiert.
Vier Saxofone, ein Klavier – dazu der leichte, helle Tenor Daniel Behles, dem man seine Mozart-Kompetenz so deutlich anhört. Der aber jederzeit so aufdrehen kann, dass das Attribut "leicht" ganz neue Bedeutung bekommt. Denn es scheint, als reiche Behles stimmliche Komfortzone bis weit in den Bereich der Spitzentöne, also bis zum H in "La Donna è mobile" ebenso wie zum C in "Ah, mes amis".
Zum ersten Mal muss das Schweinfurter Theater nach 54 Jahren und 7500 Vorstellungen schließen
Zwischen den Arien-Blocks spielen die Alliages Bekanntes wie die "Barbier"-Ouvertüre oder Schostakowitschs Walzer aus der Jazz Suite Nr. 2. Erholungsmomente für den Sänger wie fürs Publikum, das sich an hellwachem, pointiertem und vitalem Musizieren erfreut, bevor es auf der Bühne wieder romantisch, dramatisch oder heldisch wird.
Der eher dunkle Gesamtklang, den Sopran- (Daniel Gauthier), Alt- (Miguel Vallés Mateu) , Tenor- (Simon Hanrath) und Baritonsaxofon (Sebastian Pottmeier) produzieren, begünstigt zwar die Helligkeit der Stimme, ist andererseits aber auch ziemlich dicht. Interessanterweise bricht (oder lockert) das vergleichsweise leise Klavier (Jang Eun Bae) diesen Schalldruck immer wieder.
Großartig funktioniert die Verzahnung im Quartett "Bella figlia dell'amore" aus "Rigoletto", zu dem es eigentlich noch einen Sopran, einen Mezzo und einen Bariton bräuchte. "Ein Experiment", sagt Behle. Es gelingt. Nur einmal, in "Che gelida manina", fehlt das gleichsam körperlose Schweben von Streicherklang. Aber das macht nichts, Behles Präsenz, seine Energie, seine Souveränität und seine unglaublich natürliche und bewegliche Stimme überstrahlen alles.
Hinterher wird auch Theaterleiter Christian Federolf-Kreppel ähnliche Worte wie Dr. Schönfärber finden. Und darauf hinweisen, dass es das erste Mal ist, dass das Schweinfurter Theater nach 54 Jahren und 7500 Vorstellungen schließen muss. Eine Zäsur, wie es sie in Friedenszeiten noch nie gab. Das Publikum jedenfalls ist gut gerüstet für das Moratorium. Schließlich hat Daniel Behle zum Schluss das "Vincerò!" (Ich werde siegen) in "Nessun dorma" so siegesgewiss in den Saal geschmettert, dass danach wohl kaum jemand ungestärkt hinaustritt in die Nacht.