Heute wegen gestern geschlossen“ – das kleine Schild hängt schon länger an einem Ablagekasten auf dem Schreibtisch von Theaterleiter Christian Federolf-Kreppel. Das Schild ist jetzt kein Scherz mehr, sondern Realität. Das Schild fasst Corona ziemlich gut zusammen.
„Heute wegen gestern geschlossen“, das wäre ja fast schon ein Titel für einen Corona-Roman. Oder ein Theaterstück. Wobei „Heute trotz gestern geöffnet“ der Satz wäre, den nicht nur die Teams, die Künstler, die Musikliebhaber, die Theaterfans sehr, sehr gerne hören würden.
Letzter Abend mit Daniel Behle
Seit 14. März ist das Theater verwaist. Der Vorhang fiel mit einer Weltpremiere: Tenor Daniel Behle sorgte zusammen mit dem Alliage Quintett für einen unvergesslichen Abend. Nicht nur, weil das Programm „Behlcanto“ eine ungewöhnliche Mischung ist: Die schönsten Tenor-Stücke, die Hitparade sozusagen, begleitet von vier Saxofonen und einem Klavier. An diesem 14. März, vor elf Wochen also, war wohl jedem im Theater klar, dass Corona vieles verändern wird. Die Begrüßungen waren distanzierter als sonst. Manche, die Karten hatten, hatten wohl auch Angst, sich zu diesem Zeitpunkt noch unter Menschen zu begeben. Sie waren daheimgeblieben. Der Rest saß gut auf die Reihen verteilt im Zuschauerraum und freute sich auf etwas, von dem klar war, das es das länger nicht mehr geben würde: Ein Abend im Theater. Vorfreude auf Musik und Gefühle. Mit Rascheln und Husten. Mit Spannung und Erwartung. Mit der Energie, die von der Bühne kommt. Mit der Begeisterung, die vom Publikum zurückgeht. Kurz: Mit all dem, was ein Livestream im Internet, eine CD nicht geben können: Das Gefühl, Teil eines großen Ganzen zu sein. Alles hautnah mitzuerleben.
Oder wie Christian Federolf-Kreppel im Programm für die Spielzeit 2020/2021 schreibt: „Die Bühne ist die Quelle von alledem, was das Leben erstrebenswert und lebenswert macht.“ Kultur sei das Lebensmittel für eine Gesellschaft.
Das Theater war bei Behlcanto nicht voll. Aber: „Die Leute haben geklatscht wie 800“, erinnert sich Theaterchef Federolf-Kreppel an diesen, wie sich herausstellen sollte, letzten Abend der Saison 2019/2020 mit Daniel Behle. Dass das Theater dichtmachen würde. Niemals hätte er sich das vorstellen können, sagt Federolf-Kreppel. „Dass ein kleines Virus so etwas anrichten kann.“ Nach über 7500 Vorstellungen – mitten in der 53. Saison war erstmal Schluss.
In einem Spielplan stecken jahrelange Planungen, sagt Kreppel. Hinter manchen Ensembles war er seit Jahren her gewesen, um sie nach Schweinfurt zu holen, sie zu überzeugen, in der Wälzlagerstadt einen Tournee-Stopp einzulegen und hier aufzutreten. Bitter, dass sie dann wegen der Corona-Pandemie nicht auftreten konnten. Das Streichquartett Quatuor Ebene zum Beispiel, mit einem Beethoven-Programm. „Den Termin habe ich vor drei Jahren festgemacht“, erinnert sich Federolf-Kreppel.
Wahnsinnig gefreut hatte sich der Theaterleiter auch auf die Kibbutz Contemporary Dance Company aus Israel im Tanzabo, die ebenfalls ausgefallen ist. „Ich will diese Choreografie haben“, sagt er. Die Tänzer sollen unbedingt in Schweinfurt auftreten.
Es gibt zur Zeit zwar keine Vorstellungen, die laufende Spielzeit bis Ende Juni wurde abgesagt, es geht erst mit der neuen Spielzeit im September weiter. Aber trotzdem gibt es jede Menge Arbeit. Am Anfang der Corona-Krise halfen die Mitarbeiter der Kultureinrichtungen bei anderen Behörden mit, Katastrophenschutz, Gesundheitsamt. Ansonsten aber gibt es nicht weniger zu tun, sagt der Theaterchef. So sind Mitte Mai 5500 Briefe an Abonnenten und Kartenbezieher rausgegangen. Will der Kunde einen Gutschein, will er die Summe spenden oder ausgezahlt bekommen? Da steckt ziemlich viel Aufwand dahinter. Telefoniert hat Federolf-Kreppel in der letzen Zeit auch sehr viel mit Kollegen, mit Künstlern, mit Agenturen. Wie's weiter gehen wird, die Frage treibt auch andere um. „Wenn alte Hasen ratlos werden, macht mir das schon Sorge.“
Natürlich fragen immer wieder Leute, wann es denn weitergeht. Oder ob es schon Karten für Veranstaltungen in der neuen Saison gibt. „Man merkt bei den Menschen, es ist Bedarf da.“ Da steht auch schon Mitte Mai mal jemand draußen am Gehweg vor dem Fenster der Theaterkasse und erkundigt sich, wann der Vorverkauf für eine bestimmte Vorstellung beginnt.
Die neue Saison steht
Das Programm für die neue Saison steht, das Heft liegt bereits aus. „Ich weiß nicht, was im Oktober ist, aber wir haben ein Angebot da“, sagt Federolf-Kreppel. Hochkarätig, spannend, fordernd, überschreibt Federolf-Kreppel dieses Angebot. Viele Theaterfreunde haben die Truppe in der Roßbrunnstraße offenbar nicht vergessen. Sie erkundigen sich, wie es den Mitarbeitern geht. Es kommen aber auch rührende Briefe von Leuten, denen „ihr“ Theater fehlt. Aber auch die Mitarbeiter vermissen die Vorstellungen und alles, was dazugehört. „Für viele ist das schwer. Sie vermissen den Theaterdienst am Abend.“
Die schönen Gesten und Worte freuen den Theaterchef und Kulturamtsleiter, keine Frage. Nicht gefreut hat ihn allerdings, dass es ziemlich lange gedauert hat, bis sich die Politiker des Themas Corona-Auswirkungen auf die Kultur angenommen haben. „Es ist ziemlich erschreckend, dass Kultur am Anfang nicht erwähnt wurde“, sogar im Kulturland Österreich sei das der Fall gewesen, sagt der Wiener Federolf-Kreppel. Kommen die Menschen wieder? Oder werden sie als erstes bei Karten für Konzerte oder Theater sparen? Wer wird überleben? Wie kommen Privattheater, wie kommen einzelne Künstler aus der Krise? Was wird mit der Filmbranche, mit kleineren Kinos passieren? Alles Fragen, die Federolf-Kreppel umtreiben: „Es wird sehr, sehr schwer für Einzelkünstler.“
Dazu kommt der Gedanke, wie Abstandsregelungen eingehalten werden sollen, falls sie nächstes Jahr noch nötig sind, beim Ballett, zum Beispiel. Auch der Gedanke, dass aus Sicherheitsgründen vielleicht nur weitaus weniger Menschen im Saal sitzen dürfen, als es Plätze gibt, macht ihm Sorge: „Ein Theater braucht Auslastung.“ Qualität und Vielfalt erhalten: Das will Kreppel auch mit dem neuen Spielplan. Los geht es am 24. September mit der australischen Company 2 und „Le Coup“. Es gibt auch ein Wiedersehen mit guten Bekannten, wie dem Ukulele Orchestra of Great Britain, den Bamberger Symphonikern, den Hofern, den Detmoldern, den Dessauern. Und auch Daniel Behle wird wieder zu hören sein. Zur Zeit beschäftigt das Team aber noch ein Zukunftsprojekt: Die Theatersanierung. Dafür wird schon einiges im Haus untersucht und vermessen. 2022 soll das Projekt starten, bei laufendem Betrieb, drei Jahre dauern. „Die Sanierung muss sein, sonst werden wir dichtgemacht“, sagt Federolf-Kreppel. Am Aussehen des Hauses, das unter Denkmalschutz steht, wird sich nichts ändern. Lampen, Deckengestaltung, die Seitenwände bleiben, wie sie sind. Auch, um die einzigartige Akustik zu erhalten. Die schätzt übrigens Pianist Grigory Sokolov besonders. „Deswegen kommt er so gerne zu uns.“ Am 13. November 2020 ist sein Auftritt geplant. Was dann sein wird, welche Vorschriften für Publikum und Akteure gelten werden? Noch weiß das keiner. Aber Christian Federolf-Kreppel sagt mit Nachdruck: „Wir sind da!“
Hinweis: Das Gespräch fand am 14. Mai statt, spiegelt die Situation zu dieser Zeit.