
Eigentlich eine übersichtliche Konstellation: hier die ungebildete Banausin, dort der weltläufige Intellektuelle. Sie hat auf dem Flohmarkt für drei Dollar eine vollgekleckste Leinwand gekauft und irgendjemand hat ihr eingeflüstert, das müsse doch ein Jackson Pollock sein und somit viele Millionen wert. Er ist der renommierte Experte, Jackson-Pollock-Kenner und selbst ernannter Fälscherschreck. Er soll sagen, ob das Bild echt ist oder nicht. Man könnte also von zwei denkbaren Entwicklungen ausgehen: Das Bild ist echt, es stellt sich heraus, dass spontane Intuition eben doch theoretischem Expertenwissen überlegen ist. Oder das Bild ist nicht echt, das Wunder fällt aus.
Doch ganz so einfach ist es nicht in Stephen Sachs' Stück, mit dem am Mittwoch das Torturmtheater Sommerhausen seine Spielzeit eröffnet hat. Titel: „Das Original“. Sachs, Jahrgang 1959, hat eine wahre Begebenheit zu einem gut 90-minütigen Pas de deux für eine Schauspielerin und einen Schauspieler verdichtet: die kürzlich gefeuerte Barfrau Maude Gutman (Dorina Pascu) und den Kunstgutachter Lionel Percy (Armin Hägele). Maude hat sich Geld gepumpt für den kostenpflichtigen Antrag bei einer exklusiven Stiftung auf Untersuchung des Bildes. Und tatsächlich schlägt eines Tages der Experte Lionel in ihrer schäbigen Bude auf.
Nur was echt ist, hat auch einen Wert
Wie ein zögerliches Präludium kreisen diese ersten Szenen das Thema allmählich ein. Aber was ist das Thema? Ist dies ein Kunstkrimi? Ein Psychodrama? Eine Situationskomödie? Ein Lehrstück? Eine Farce? Das Stück ist von allem etwas. Es geht um Echtheit. In jedem Sinne. Natürlich ist die Frage spannend, ob das Bild vielleicht doch echt ist und Maude somit steinreich. Aber sehr schnell wird klar: Hier geht es nur am Rande um Kunst und Kunstmarkt.
Implizit stellt Stephens eine einleuchtende These auf und sogleich infrage: Nur was aus Sicht eines wie auch immer zusammengestellten Kreises von Eingeweihten echt ist, ist auch etwas wert. Das gilt nicht nur für bekleckste Leinwände, sondern auch für Menschen. Lionel hält Maude („Wo sind meine Manieren? Am Arsch!“) für eine typische Vertreterin ihrer (Unter-)Schicht: Ungebildet, vulgär, schlampig, ohne Perspektive. Kein Einzelstück also, kein Original. Ihre Meinung, ihre Wünsche, letztlich ihre Existenz ist in seinen Augen ohne Wert. Sich selbst hält er für einzigartig. Bräsig zählt er die Stationen seiner Karriere auf. Maude kauft ihm nicht ab, dass er noch nie sich selbst gegoogelt haben will: „Ich hätte gedacht, Sie sind Ihr eigenes Lieblingswort.“
Alle Stadien der Annäherung und Entzweiung
Die beiden durchlaufen (fast) alle Stadien menschlicher Annäherung und Entzweiung. Maude changiert zwischen Bittstellerin, Rachegöttin, Hure und zurück. Lionel hingegen ähnelt in seiner bröckelnden Selbstgerechtigkeit immer mehr einer Festung, die Maude mit der Wucht ihres Witzes und ihrer Wut allmählich sturmreif schießt.
Er will das Bild als Fälschung erkannt haben, und Maude, die das nicht hinnehmen kann, bringt ihn in ihrer Penetranz so weit, dass er in einem nahezu ekstatischen Ausbruch weit mehr von sich preisgibt als ihm lieb sein kann. Die Tragik dabei: Indem Lionel schildert, was passiert, wenn er einem echten Pollock gegenübersteht, was ihn durchströmt, was ihn bewegt, was ihn ergreift, entlarvt er sich als grenzenlos vereinsamten Verlierer. Maude dazu nur, mit Blick auf ihr Bild: „Und, kribbelt was?“
Plausible, durchrhythmisierte Spannungskurve
Was oder wer also darf als echt gelten? Regisseur Oliver Zimmer (Ausstattung: Angelika Relin) hat die Handlung in eine Choreografie auf kleinstem Raum übersetzt, die den großen Ausbruch ebenso wie die kleinste Geste zu einer plausiblen, durchrhythmisierten Spannungskurve fügt. Dorina Pascu, die in der vergangenen Spielzeit im Ein-Frau-Stück „Donna Quichote im Kältetraining“ begeistert hatte, spielt mit anrührender, beängstigender und verblüffender Intensität eine Maude, die nur an der Oberfläche eine große Lüge lebt.
Armin Hägeles Lionel erlebt im Laufe des Stücks immer mehr Momente der Offenheit und sogar Verletzlichkeit, schließlich behält aber doch der Schnösel die Oberhand. Zum Schluss kann er sich gerade noch in seine Scheinwelt zurückretten, während Maude ganz unten und damit bei sich selbst angekommen ist. Sie ist das Original und er die Fälschung.
Bis 2. Juni. Spieltage Dienstag bis Freitag 20 Uhr, samstags 16.30 und 19 Uhr. Karten unter Tel. (0 93 33) 268 oder kartenbestellung@torturmtheater.de