Mehr als 100 Bücher stammen aus ihrer Feder, jetzt ist sie im Alter von 91 Jahren gestorben: Gudrun Pausewang. Die Autorin, die international Erfolge feierte, wird immer die sein, die "Die Wolke" geschrieben hat. Die den fiktiven Super-GAU im unterfränkischen Kernkraftwerk Grafenrheinfeld (Lkr. Schweinfurt) derart dicht und atemlos, faktenreich und doch so unglaublich emotional schildert, dass die Bilder im Kopf stellenweise nur schwer zu ertragen sind. Kritiker erklären bis heute: "Das ist zu brutal! Das ist nichts für Kinder und Jugendliche!" Andere meinen: Mit ihrem Kampf gegen Atomkraft und der schonungslosen Offenbarung der Folgen nach einem Unfall habe sie Menschen auf der ganzen Welt die Augen geöffnet. Mehr als 1,5 Millionen Mal wurde das Buch verkauft und in 16 Sprachen übersetzt. 2006 wurde es fürs Kino verfilmt.
Im privaten Reich der Autorin
Im Jahr 2015 besuchte diese Redaktion Pausewang in ihrem langjährigen Zuhause im hessischen Schlitz, einer Kleinstadt nahe Fulda. "Ich bin der Ansicht, dass Kinder schon einiges an Wahrheit vertragen. Dass es nicht immer ein Happy End gibt", erklärte sie damals. "Und man sollte die Angst nicht so verteufeln!" Pausewang lebte zurückgezogen, bescheiden. Der Besuch einer Journalistin in ihrem privaten Reich, dem Haus, wo die meisten ihrer Bücher entstanden sind, war eine absolute Ausnahme. Der private Kontakt zu ihr deshalb auch wie ein Geschenk. Ein Termin, den man in Erinnerung behält. Weil es eine kostbare Begegnung war. Eine Begegnung mit einer klugen, einer emotionalen, aber auch sehr zurückhaltenden Frau. Beharrlichkeit und ein glasklarer Blick auf das, was wirklich zählt im menschlichen Miteinander, gehörten zu den Eigenschaften dieser außergewöhnlichen Autorin.
Unheimliche Vorahnung
Gudrun Pausewang stand nicht zufällig mit beiden Beinen fest im Leben. Geschenkt worden war ihr nie etwas. Pausewang stammte aus dem Sudetenland, ihr Vater fiel im Krieg als sie 15 Jahre alt war. Die junge Frau zog es hinaus in die Welt, lebte lange Zeit in Südamerika, beobachtete und analysierte das Leben der anderen. Und machte daraus Romane und Geschichten. Schon 1983 klärte die überzeugte Pazifistin und Atomkraftgegnerin in "Die letzten Kinder von Schewenborn" in fast unheimlicher Vorahnung auf die Katastrophe 1986 in Tschernobyl über die Folgen eines Super-GAU auf.
Der wunderbare Räuber Grapsch
Die kleine, rundliche Frau mit dem frechen Kurzhaarschnitt war kein Mensch, der sich gern im Mittelpunkt sah. Doch wenn es darum ging, etwas zu bewegen, dann war sie mittendrin. Dann kämpfte die bescheidene Frau wortgewaltig. So auch 2015 beim Fest anlässlich der Abschaltung des Kernkraftwerkes Grafenrheinfeld. 2018, an ihrem 90. Geburtstag, als Pausewang schon in der Nähe ihres Sohnes in der Nähe von Bamberg lebte, bekannte sie, dass sie bewusst keine Bücher mehr schreiben wolle. "Mein Erinnerungsvermögen nimmt ab. Ich traue mich nicht mehr." Dafür konnten nun die sechs Enkelkinder so richtig aus dem Vollen schöpfen: Nicht umsonst hatte ihre Oma den wunderbaren "Räuber Grapsch" erfunden. Oder die "Seejungfrau aus der Sardinenbüchse".
Handschriftliches Interview
Die Auszeichnungen für Gudrun Pausewang reichen vom "Buxtehuder Bulle" 1977 über das Bundesverdienstkreuz 1999 sowie den Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur in Volkach (Lkr. Kitzingen) 2009 bis hin zum Deutschen Jugendliteraturpreis für ihr Lebenswerk 2017.
Pausewang gab Generationen von Schülern als Grundschullehrerin Lebenswissen mit auf den Weg. Pragmatisch war sie auch. Als nach einem schriftlichen Interview mit dieser Redaktion ihr Drucker kaputtging, schrieb sie kurzerhand handschriftlich die Antworten auf – und schickte sie per Post. Die Begleitkarte mit ihren netten Worten bekommt jetzt einen besonderen Platz in der Redaktion. Im Herzen hat Gudrun Pausewang bei ihren Lesern längst schon einen.