
Der Countdown läuft, am Samstag wird das Kernkraftwerk in Grafenrheinfeld (Lkr. Schweinfurt) endgültig vom Netz genommen. Für die Jugendbuchautorin Gudrun Pausewang hat das eine besondere Bedeutung: Mit ihrem 1987 erschienenen Roman „Die Wolke“, der von einer fiktiven Atomkatastrophe in Grafenrheinfeld erzählt, erlangte sie weltweit Beachtung.
Gudrun Pausewang: Natürlich Erleichterung. Aber mit der Abschaltung eines einzigen Atomkraftwerkes ist es ja nicht getan. Auch nicht mit der Abschaltung aller deutschen Atomkraftwerke. Die Atomindustrie ist ein globales Problem. Erst wenn alle Atomkraftwerke auf der Erde abgeschaltet sein sollten, hat mein Buch seinen Auftrag erfüllt. Denkbar ist auch, dass die Menschheit verschwindet, aber die atomare Verstrahlung bleibt. Denn wie es scheint, liegt denen, die die Atomindustrie betreiben, mehr am Profit als an einer gesundheitlichen Sicherheit.
Pausewang: Nein. Denn von der Katastrophe in Tschernobyl waren wir selber betroffen, weil sich die Folgen bis Mitteleuropa auswirkten. Fukushima war zu weit weg, um uns gefährlich werden zu können. Aber die Reaktorkatastrophe hat wieder einmal gezeigt, wie die Atomindustrie nicht nur vom Können der Betreiber, sondern auch vom Verhalten der Natur abhängig ist. Ein Erd- oder Seebeben – und schon kann eine Katastrophe ausgelöst werden!
Pausewang: Die Jugendlichen haben diese Bücher in unzähligen Schulen als Klassenlektüre gelesen, begleitet von den zuständigen Lehrern. Noch heute wird mir von vielen inzwischen etwa 35 bis 45-Jährigen erzählt, dass sie damals bei der Lektüre geweint hätten. Aber sie erzählen auch, dass viele von ihnen aufgrund dieser Lektüre einen ganz anderen Beruf ergriffen hätten. Ich hoffe, dass möglichst viele Menschen zu der Einsicht kommen, dass sie mithelfen wollen, dass das, was in den Romanen fiktiv geschieht, nie Wirklichkeit wird.
Pausewang: Man sollte die jungen Menschen, die in die Welt hineinwachsen, darauf vorbereiten, dass die Welt nicht heil und nicht gerecht ist. Dass es nicht immer ein Happy End geben wird. Und man sollte die Angst nicht so verteufeln. Hätte uns die Natur nicht die Fähigkeit mitgegeben, Angst empfinden zu können, gäbe es uns Menschen schon längst nicht mehr. Angst dient als Warnung.
Pausewang: Vor den Spätfolgen atomarer Verstrahlung, die noch in Tausenden von Jahren nach atomaren Katastrophen missgebildete Kinder zur Welt kommen lassen können: Menschen, die keine Schuld an ihrem Zustand tragen und sich gegen das, was ihnen angetan wird, nicht wehren können.
Pausewang: Ich hoffe es. Aber wenn, wird sie wohl erst dann gelingen, wenn die Menschheit den überwiegenden Teil ihrer Nachkommenschaft den Folgen der atomaren Verstrahlung bereits ausgesetzt hat. Dann werden – hoffentlich – unsere Nachkommen auf die Barrikaden steigen.
Pausewang: Widerstand ist nicht bequem. Die meisten Menschen heute suchen den einfachen Weg. Viele hoffen auch einfach, dass in ihrem Umfeld schon alles gut gehen wird. Natürlich hätte die Katastrophe in Fukushima auch außerhalb Deutschlands zu viel stärkeren Reaktionen führen müssen. Dass ein Supergau mit Kernschmelze so schnell wieder in der Versenkung verschwindet, hat mich überrascht.
Pausewang: Ich schreibe ja nicht nur Bücher gegen Atomkraftnutzung oder Krieg! Und nicht nur ernste Bücher! Aber wir leben in keiner Zeit, in der es selbstverständlich wäre, sich für Alte, Kranke, Arme und Flüchtlinge zu engagieren. Außerdem bin ich sehr alt geworden. Da geht alles langsamer. Und wir leben in einer Zeit, in der die uralte Absicht, dem Nachwuchs ein besseres Leben zu wünschen, als man selbst hatte, offensichtlich verschwunden ist.
Gudrun Pausewang
Die Schriftstellerin Gudrun Pausewang (87) wurde 1928 in Wichstadtl/Ostböhmen geboren. Nach Aufenthalten in Südamerika als Lehrerin kehrte sie 1972 endgültig zurück nach Deutschland und lebt seitdem im hessischen Städtchen Schlitz. Anfang der 1970er Jahre beginnt Pausewang mit dem Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern, schreibt später aber auch viele Erwachsenenbücher. Zu den bekanntesten ihrer 100 Werke gehören die vier Bände des „Räuber Grapsch“ und „Die letzten Kinder von Schewenborn“. Der Durchbruch gelang ihr 1987 mit „Die Wolke“. Der Roman beschreibt einen GAU in Grafenrheinfeld. Das Buch wurde zwei Millionen Mal verkauft und in 15 Sprachen übersetzt. Text: Mel