Martin Stadtfeld ist groß. Wie groß genau, darüber findet sich im ansonsten grundsätzlich indiskreten Netz keine Information. So groß jedenfalls, dass er unwillkürlich den Kopf einzieht, wenn er unter der mächtigen Orgel hindurch muss, um auf die Bühne des Saals der Würzburger Musikhochschule zu gelangen. Und so groß, dass er, wenn er sich hinter den Flügel faltet, einen extrem niedrigen Klavierhocker braucht. Ein klein bisschen erinnert das an Schroeder aus den "Peanuts" und auch ein wenig an Glenn Gould, der quasi mit der Tastatur auf Augenhöhe spielte.
Eine weitere Gemeinsamkeit: Für Stadtfeld wie für Gould ist Johann Sebastian Bach das Zentrum des musikalischen Universums. Freilich kommen beide – im Abstand von gut 60 Jahren – zu vollkommen unterschiedlichen Ergebnissen. Während Glenn Gould (1932-1982) den Klang des Flügels zugunsten von Struktur und Durchhörbarkeit bewusst reduzierte, nutzt Martin Stadtfeld das moderne Instrument in all seinen dynamischen und klanglichen Facetten.
Schon nach wenigen Minuten stellt sich kollektives Verstehen ein
Wie facettenreich man Bach spielen kann, zeigte Martin Stadtfeld am Montag im Rahmen der Würzburger Bachtage mit einem reinen Bachprogramm – zwei Tage, bevor wieder einmal neue Corona-Regeln gelten, die sehr wahrscheinlich wieder einmal eine Welle der Konzertabsagen auslösen werden. An diesem Montagabend aber wurde noch gespielt.
Das Konzert ist recht gut verkauft, die Menschen sind offensichtlich nicht gekommen, obwohl nur Bach gespielt wird, sondern eben deshalb. Denn schon nach wenigen Minuten stellt sich dieses kollektive Verstehen ein, das eben nur bei Live-Konzerten möglich ist. Und das man spüren kann.
Etwa, wenn der Saal nach dem ersten Werk still bleibt, und der Pianist das zweite so nahtlos anfügen kann, dass Kontraste und Gemeinsamkeiten der Stücke viel stärker erlebbar werden. Oder wenn der Saal, abweichend von jedem Protokoll, schon nach einem ersten Satz applaudiert, weil die Freude einfach raus muss.
Stadtfeld lässt die Unterschiede geschehen, sie sind in der Musik angelegt
Martin Stadtfeld spielt eine Partita (Nr. 1 B-Dur), eine Englische Suite (Nr. 3 g-Moll) und eine Französische Ouvertüre – drei mehrsätzige Werke in höchst unterschiedlichen Stilen, im deutschen, englischen und französischen Stil eben. Was bedeutet, dass – stark vereinfacht – auf die empfindsame Partita eine hemdsärmelige Suite und schließlich eine überreich verzierte Ouvertüre folgt.
Martin Stadtfeld lässt diese Unterschiede eher geschehen, als dass er sie explizit herausarbeitet. Sie sind in den Werken angelegt. Die Fanfaren manchen Präludiums, die fahlen Klänge mancher Sarabande, die Verschrobenheit mancher Gavotte, der motorische Swing der schnellen Sätze. Und schließlich der spielerische Überschwang im Italienischen Konzert, dessen Kopfsatz den spontanen Applaus provoziert.
Das alles ist pianistisch brillant sowieso, vor allem aber von berückender Natürlichkeit, dargeboten mit dem Selbstbewusstsein langer Erfahrung. Und so ist es mit Sicherheit nicht die Aussicht auf den nächsten Kultur-Lockdown, die das hingerissene Publikum animiert, sich erst nach drei Zugaben zufriedenzugeben.
Wichtige Information zu den Bachtagen: Da das Weihnachtsoratorium am 27. November in der Johanniskirche mit über 310 verkauften Karten die erlaubte Auslastung von 25 Prozent übersteigt, wird es zweimal gespielt: Um 16 und um 19 Uhr. Es gilt die 2G-Plus-Regel. Um 19 Uhr werden nur 220 Zuhörer eingelassen, alle Karten sind aber auch für 16 Uhr gültig. Für diesen Termin sollten dann auch noch einige Karten an der Abend- bzw. Nachmittagskasse zur Verfügung stehen (Falkenhaus oder Pfarramt St. Johannis). Besucherinnen und Besucher können mitteilen, wann sie am Samstag in welche Aufführung gehen wollen: pfarramt.stjohannis.wue@elkb.de oder (0931) 322846.