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Eisenach
Martin Luther: Heiliger, Spalter, Judenfeind
Luther und die Deutschen: Welche Sicht auf den Reformator ist die richtige? Die Sonderausstellung auf der Wartburg nähert sich den vielen Bildern, die sich die Nachwelt von Martin Luther geschaffen hat.
Nationale Sonderausstellung 'Luther und die Deutschen'       -  Ein Ausstellungsraum auf der Wartburg. Im Vordergrund eine Luther-Büste von Eberhard Linke (1983). Luthers Playmobil-Figur (eingeklinktes Bild) wurde schon über eine halbe Million mal verkauft.
Foto: dpa, Playmobil/geobra Brandstätter Stiftung & Co. KG Zirndorf | Ein Ausstellungsraum auf der Wartburg. Im Vordergrund eine Luther-Büste von Eberhard Linke (1983). Luthers Playmobil-Figur (eingeklinktes Bild) wurde schon über eine halbe Million mal verkauft.
Hans Strauß
Hans Strauß
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:16 Uhr

Der Wurf mit dem Tintenfass gehört zu den beliebtesten Legenden um Martin Luther. Der Teufel soll den Reformator belästigt haben, als er in seiner Stube auf der Wartburg damit beschäftigt war, das Neue Testament ins Deutsche zu übertragen. Luther habe mit dem Tintenfass nach dem Teufel geworfen, um ihn zu verscheuchen. So sei ein blauer Tintenfleck auf der Wand hinter dem Ofen entstanden.

Besucher schwören, dass sie den Fleck gesehen haben

Eine schöne Geschichte, die der mitteilungsfreudige Luther selbst allerdings nie so berichtet hat. Wartburg-Besucher durften sich über die Jahrhunderte dennoch an einem Fleck erfreuen, der immer wieder nachgepinselt wurde, weil Luther-Verehrer gar zu gerne ein Stückchen von ihm abkratzten. Seit über 100 Jahren wird der Klecks aber nicht mehr nachgebessert. „Trotzdem schwören viele Besucher, sie hätten ihn in ihrer Jugend noch gesehen“, weiß Andreas Volkert, der Pressechef der Wartburg.

Zum 500. Jahrestag der Reformation, zur nationalen Sonderausstellung „Luther und die Deutschen“ ist der Fleck aber zurück. Augenzwinkernd freilich: Mittels eines Beamers wird er auf die Wand geworfen, wenn es zum Abschluss und Höhepunkt des Rundgangs in die Lutherstube geht. Für viele Christen aus der ganzen Welt erfüllt sich offenbar ein Lebenstraum, wenn sie den kargen Lebens- und Arbeitsraum des Reformators betreten. Dabei war er bis Anfang des 19. Jahrhunderts – in Kenntnis seiner Bedeutung – auch als Gefängniszelle genutzt worden.

Wie kam Luther auf die Burg? Im April 1521 hatte er sich auf dem Reichstag in Worms geweigert, seiner zunächst in den 95 Thesen niedergelegten Kritik an der Kirche abzuschwören. Daraufhin wurde er mit dem Kirchenbann belegt und schwebte in Lebensgefahr. Sein Landesherr und Mentor, der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise, ließ Luther auf dem Rückweg vom Reichstag bei einem fingierten Überfall entführen und auf die Wartburg hoch über Eisenach bringen.

Junker Jörg übersetzte in wenigen Wochen das Neue Testament

Dort lebte er inkognito als „Junker Jörg“ elf Monate lang. Er nutzte die Zeit und übersetzte in wenigen Wochen das Neue Testament. Nicht aus den kursierenden lateinischen Versionen, sondern aus dem griechischen Originaltext.

Luthers doppelte Leistung: Er machte es damit, wie zwölf Jahre später dann die ganze Bibel, erstmals einer breiten Bevölkerung zugänglich. Und er schuf, mittels seiner großen Begabung als Schreiber, die bis dahin nicht existente deutsche Schriftsprache.

350000 Besucher kommen jährlich auf die Wartburg

Vor allem ihr Stellenwert als Lutherstätte beschert der Wartburg jedes Jahr 350 000 Besucher. Dank der Sonderausstellung werden es heuer noch viele mehr werden. Wegen der beschränkten Platzverhältnisse auf der Burg musste die Dauersammlung ins Depot. Auf mehr als 1000 Quadratmetern werden nun rund 300 kostbare Exponate präsentiert, zwei Drittel davon als Leihgaben aus dem In- und Ausland: Gemälde, Druckwerke, Skulpturen, Grafiken und Alltagsgegenstände. Fast vier Jahre dauerte die Vorbereitung, die Kosten von 2,7 Millionen Euro teilen sich vor allem der Bund und das Land Thüringen.

Das Ergebnis ist sehenswert. Die Ausstellung beleuchtet den Reformator als nationale deutsche Symbol- und Projektionsfigur in 500 Jahren wechselvoller deutscher Geschichte, mit allen Widersprüchlichkeiten. Denn die Deutschen haben sich viele Bilder von Luther gemacht. Er war und ist Reformator, Kirchenspalter, Heiliger, Nationalheld, Bauern- und Judenfeind. Marc Höchner, der Kurator der Ausstellung, ist in seinem persönlichen Luther-Fazit so zurückhaltend, wie es sich für einen Historiker wohl geziemt. „Letztendlich ist das authentischste Lutherbild dasjenige des gelehrten Mönchs, der vor 500 Jahren ein aus seiner Sicht dringliches theologisches Problem zur Diskussion stellte und damit Entwicklungen auslöste, die die Welt verändert haben“, sagt der Schweizer.

Die Ausstellung spart nicht an starken Farben

Die Ausstellung widmet sich drei großen Themenbereichen: der Wartburg als deutschem Erinnerungsort, den kultur- und geistesgeschichtlichen Folgen von Luthers Lehre vom gnädigen Gott, und die Instrumentalisierung der Reformation, die sich unter anderem im Bauernkrieg und im 30-jährigen Krieg niederschlug.

Den Besucher empfängt auf einer Freifläche der Nachbau eines Reisewagens, wie er zu Luthers Zeit üblich war. Wer durch die knallblaue Eingangsschleuse – an starken Farben wird generell nicht gespart – ins Innere gelangt, steht zunächst vor dem Gemälde „Luthers Thesenanschlag“ von Ferdinand Pauwels (1872). Ob der Thesenanschlag stattgefunden hat, bezweifeln manche Historiker, aber er ist zumindest „ein mächtiger Mythos“ (Höchner). Luthers 95 Thesen sind in Heftform von 1517 zu sehen, ebenso wie eine Bann-Androhungsbulle Papst Leos X. von 1520 und Luthers persönliche Aufzeichnungen vom Reichstag in Worms.

Die Wartburg als Symbol für die Idee des Nationalstaats

Die Wartburg wurde im 19. Jahrhundert stark umgebaut und Symbol der Idee eines deutschen Nationalstaats, die vor allem von den sich dort 1817 erstmals treffenden Burschenschaften gefördert wurde. 200 Jahre Wartburgfest – noch eine Jubelmarke, aber dafür lässt der Luther-Hype keinen Raum. „Luther war nun weltlich, nicht konfessionell. Man schob ihm zu, die Einheit mit seiner einenden Bibelübersetzung vorweggenommen zu haben“, sagt Höchner. Die Vereinnahmung durch die Politik setzte sich fort, beispielsweise durch die Nationalsozialisten, die Luthers judenfeindliche Schriften für ihre Rassenlehre nutzten.

In der DDR wurde zunächst nicht Bauern-Kritiker Luther, sondern Thomas Müntzer als der wichtigere Reformator angesehen. Aber 1983 zum 500. Geburtstag war Luther plötzlich „Bestandteil des progressiven Erbes der DDR“ (Höchner).

Das Radio stellt ein Jahr lang jeden Tag ein neues Luther-Produkt vor

Das Angebot im Wartburg-Shop lässt leicht erahnen, warum die Luther-Kommerzialisierung viele Kritiker auf den Plan ruft. „Antenne Thüringen“ wird sein Vorhaben schaffen, ein Jahr lang täglich ein anderes Luther-Produkt zu präsentieren. Playmobils niedliche Luther-Figur wurde bereits über 500 000 Mal verkauft. Burghauptmann Günter Schuchardt neigt zu einer pragmatischen Sicht: Warum nicht, wenn es helfe, an das Thema heranzuführen.

Eine schöne Ergänzung zur Wartburg-Ausstellung bietet unten im Städtchen Eisenach das Lutherhaus, nicht nur wegen der Sonderschau „Luther aus katholischer Sicht“. Seit seinem Umbau 2015 wurde das Museum, in dem der Lateinschüler Luther gewohnt haben könnte, mehrfach preisgekrönt.

Tipps zur Wartburg-Ausstellung und zum Luther-Jahr

„Luther und die Deutschen“ auf der Wartburg ist eine von drei nationalen Sonderausstellungen, die sich jeweils bis 5. November mit 500 Jahren Reformation in ihren Facetten beschäftigen. Im Berliner Gropius-Bau zeigt das Deutsche Historische Museum „Der Luthereffekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt“. Es geht um Vielfalt und Wirkungsgeschichte, aber auch die Konfliktpotenziale des Protestantismus in der Welt.

Am 13. Mai wird in Wittenberg, dem Ort des Thesenanschlags vom 31. Oktober 1517, die Ausstellung „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“ eröffnet. 95 Exponate illustrieren den Werdegang des jungen Luther, 95 Persönlichkeiten wie Astrid Lindgren oder Martin Luther King schildern, wie Luther sie beeinflusst hat.

Die Reformation ist auch Thema der Bayerischen Landesausstellung in Coburg mit dem Titel „Ritter, Bauern, Lutheraner“. Sie wird am kommenden Dienstag, 9. Mai, eröffnet – ebenfalls an einem Schauplatz der Reformation: Von der sicheren Veste Coburg aus verfolgte Luther 1530 den Ausgang des Augsburger Reichstags, von dem er sich vergeblich eine Anerkennung des Protestantismus erhofft hatte.

Auf der Wartburg (täglich 8.30 bis 17.30 Uhr) sind die Sammlungen normalerweise nur in Führungen zu besichtigen. Bei der Sonderausstellung ist das anders. Im Eintrittspreis ist ein Audioguide inbegriffen.

Informationen im Internet: 3xhammer.de (zu den Ausstellungen in Eisenach, Wittenberg und Berlin), thueringen-entdecken.de (zum Reformationsjahr in Thüringen), lutherhaus-eisenach.com (mit Sonderausstellung „Luther aus katholischer Sicht“), bachhaus.de (Bachhaus Eisenach mit Sonderausstellung „Text: Luther & Musik: Bach“). hst

 
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