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WÜRZBURG
„Luther wäre auch heute ein Rebell“
„Luther wäre auch heute ein Rebell“       -  _Luther als junger Mönch
Foto: Uwe Anspach, dpa
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 27.04.2023 03:40 Uhr

Romanbiografien sind die Spezialität von Asta Scheib. Die 1939 in Bergneustadt geborene Autorin hat sich auf diese Weise – zwischen Fakt und Fiktion – schon mit dem Maler Carl Spitzweg („Sonntag in meinem Herzen“), der Schriftstellerin Lena Christ („In den Gärten des Herzens“) oder dem Ehepaar Katharina von Bora und Martin Luther („Kinder des Ungehorsams“) beschäftigt. In ihrem aktuellen Buch „Sturm in den Himmel“ widmet sich die in München lebende Autorin der Kindheit und Jugend des Mannes, der vor 500 Jahren die Reformation einleitete. Am 10. Mai liest Asta Scheib beim „Literarischen Frühling“ in Würzburg (siehe Kasten).

Frage: Es ist schon der zweite Roman, den Sie über Luther und seine Zeit geschrieben haben. Das Thema scheint Sie zu faszinieren.

Asta Scheib: Ja, ich habe 1985 in meinem Roman „Kinder des Ungehorsams“ die Liebe Martin Luthers zu Katharina von Bora thematisiert. Und ich hatte nichts. Es gibt kaum Quellen. Es gibt keinen Nachlass. Aber ich wollte diesen Roman unbedingt schreiben. Also war ich gezwungen, intensiv die Briefe und Schriften Luthers zu lesen. Es hat mich fasziniert, welch große Bandbreite von Themen dieser Mann behandelt hat.

Und die Sprache! Luther konnte richtig wüst und fast unverschämt schimpfen – auch schriftlich. Doch wenn's um seine Frau oder seine Kinder ging, konnte er hinreißend sanft, fein und sensibel schreiben. Ich habe mich dann gefragt: Wie kam Luther dazu, diese doktrinäre, ja brutale mittelalterliche Welt aufbrechen zu wollen? Er muss doch auch ein ungewöhnliches Kind gewesen sein.

Über Luthers Kindheit war die Recherche sicher noch schwieriger.

Scheib: Selbst bei hoch angesehenen Sachbuch-Autoren findet man nur Eckdaten über das Wann und Wo. Aber was das Kind Martin Luther gedacht und gefühlt hat, konnte ich nirgends erfahren. Erst als ich gezielt in Luthers Schriften gesucht habe, wurde ich doch hin und wieder fündig. Zum Beispiel beklagt er sich an mehreren Stellen bitter, wie sehr ihn seine Eltern geschunden haben, wenn sie mit ihm unzufrieden waren.

Biografische Lücken haben Sie dann mit Fantasie gefüllt?

Scheib: Ich habe gelernt, dass bei intensiver Recherche manche Aspekte Gestalt annehmen. Zum Beispiel hat Luther mehrfach gesagt, dass man ihn für einen Mann hielte, der empfänglich für das weibliche Geschlecht sei. Also habe ich ihm das Mädchen Madlen an die Seite gestellt.

. . . die eine fiktive Figur ist . . .

Scheib: Die ist eine Fiktion, ja. Aber ich halte es da mit Goethe, der gesagt hat, Fiktion könne wahrer sein als die sogenannte Wahrheit. Literatur definiert sich über Fiktion. Ich bin ja keine Sachbuch-Autorin und will auch nie eine werden.

Also hängen Sie die Fiktion am historischen Gerüst auf.

Scheib: Manches ergibt sich ganz logisch. Etwa Berblin, die Kinderfrau der Luthers. Auch sie ist fiktiv, aber: Hans Luther – Martins Vater – hatte ja einen gewissen Status. Er war einer der vier Bürgermeister von Mansfeld. Eine Familie in so einer Stellung hatte selbstverständlich eine Kinderfrau. Oder eben Madlen, die Figur, in die sich Martin Luther verliebt. Ich habe mit Grauen gelesen, dass ein Waisenmädchen, um das sich niemand kümmerte, damals vogelfrei war. Wenn ein Mann so ein junges Mädchen vergewaltigte und es wurde schwanger, dann kam das Mädchen ins Gefängnis und nicht der Mann! Ich konnte das zuerst gar nicht glauben. Das war aber so. Und aus solchem Wissen ist Madlen entstanden.

Für das Zeitkolorit ist auch wichtig, dass damals Angst vor Teufel, Fegefeuer und Hexen die Menschen beherrschte.

Scheib: Ja, das war so. Martin Luthers Mutter war hexengläubig – nachweislich. Sie hat zum Beispiel ihre Nachbarin beschuldigt, eine Hexe zu sein. Für die Beschuldigte war das in jener Zeit lebensgefährlich! Die Eltern Luther haben auch versucht, ihre Kinder mittels des Teufels in Angst und Schrecken zu versetzen, damit man sie leichter führen konnte.

Die Eltern hatten selbst wohl auch Angst vor dem Teufel . . .

Scheib: Sicherlich. Das wurde in den Schulen und den Kirchen gepredigt – Schule und Kirche war damals ja eins, alles war fest in der Hand der katholischen Kirche. Kindern und auch den erwachsenen Gläubigen wurden ständig grausame Bilder des Teufels vor Augen geführt, um ihnen Angst zu machen. Ich kenne das sogar noch aus meiner Kindheit. In der Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin, haben die Pfarrer öfter gewechselt. Da war schon ab und zu einer darunter, der vom Höllenfeuer erzählt hat. Das ist also gar nicht so lange aus der Welt.

Sie haben in Ihrem Buch auch ein paar beeindruckende Beschreibungen von Teufelserscheinungen und vom Fegefeuer. Sind die Ihrer Fantasie entsprungen?

Scheib: Nein, die habe ich vorgefunden. Ich möchte ja – bei aller Fiktion – bei der Wahrheit bleiben, wenn möglich. Es gibt drastische Darstellungen von Lucas Cranach und anderen Künstlern, die damals gearbeitet haben. Das wollte ich meinen Lesern auch zumuten, sonst kann man sich nicht in die Zeit versetzen und dann kann man auch Luther nicht verstehen.

Für Luther war die Bibel ein Mittel, um die Welt zu verstehen. Wie sehen Sie denn die Bibel?

Scheib: Für Luther war die Bibel eine Erlösung, ein Stück Emanzipation. Er hat sein Leben lang gesagt, dass allein die Bibel uns den Weg zeigt. Mich fasziniert dieser unverbrüchliche Glaube des Menschen Martin Luther an Jesus Christus. Mich, die ich ja doch von Zweifeln manchmal sehr gepeinigt bin, hat sehr bewegt, dass Luther bei allem, was ihm passiert ist, auf Jesus Christus vertraut hat. Sein unmittelbarer Bezug zu Christus hat ihm, wie ich glaube, die Kraft gegeben, sich immer wieder aufzurichten. Wie ist dieser Mann bekämpft worden! Er wurde mit dem Tod bedroht, er war vogelfrei.

Er musste sich auf der Wartburg verstecken.

Scheib: Die Menschen jener Zeit wussten: Es ist ihr gutes Recht, den Luther umzubringen.

Was kann Luther als Mensch uns denn heute noch sagen?

Scheib: Ich bin sicher, dass Luther auch heute noch ein Rebell wäre. Er würde versuchen, an Dingen zu rütteln. Er würde, genau wie damals sagen: „Es muss sich etwas ändern in der Welt.“

Wichtig ist also sein Widerspruchsgeist?

Scheib: Ganz sicher. Ich habe auch über Luther als Kind und als Jugendlicher geschrieben, um junge Menschen dazu zu bringen, sich mit ihm zu beschäftigen. Das scheint zu klappen: Nach den vielen Jahren mit Lesereisen kenne ich mein Publikum. Es sind meist gebildete Menschen, so zwischen 40 und 70. Aber bei Lesungen aus „Sturm in den Himmel“ sind auch ganz junge. Und die sind interessiert, stellen Fragen.

Asta Scheib: Sturm in den Himmel – Die Liebe des jungen Luther. Hoffmann und Campe, 383 Seiten, 22 Euro

Literarischer Frühling

Der nächste Termin beim Literarischen Frühling der Stadtbücherei Würzburg ist am 5. April. Tilman Ramstedt liest aus seinem Roman „Morgen mehr“.

Weitere Lesungen beim „Literarischen Frühling“: Lukas Vogelsang („Heimaterde, eine Weltreise durch Deutschland“, 26. April); Zsuzsa Bánk („Schlafen werden wir später“, 3. Mai); Asta Scheib, „Sturm in den Himmel“, 10. Mai); Sharon Dodua Otoo („Die Dinge, die ich denke, während ich höflich lächle“, „Synchronicity“, 16. Mai).

Infos und Reservierung: Tel. (09 31) 37 24 44. www.stadtbuecherei-wuerzburg.de

Romanbiografien sind ihre Spezialität: Asta Scheib.
Foto: W. Fuchs-Mauder | Romanbiografien sind ihre Spezialität: Asta Scheib.
 
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