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Intime Details aus Luthers Leben
Biografie: Der Reformator erzählte gerne Witze, dachte oft an Sex und kämpfte mit diversen Ängsten. Eine Historikerin beschreibt ihn als Menschen seiner Zeit und zeigt, wie er die Welt sah.
Luther-Landesausstellung Coburg       -  Der feiste Doktor: Lutherbild auf einem Farbglasfenster von 1911 in der Veste CoburgFoto: David Ebener, dpa
Foto: A3913/_David Ebener (dpa) | Der feiste Doktor: Lutherbild auf einem Farbglasfenster von 1911 in der Veste CoburgFoto: David Ebener, dpa
rmi
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:27 Uhr

Was wissen wir über einen Menschen im 16. Jahrhundert? Nicht viel, befand Lyndal Roper und reiste nach Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen, um staubbeladene Archive umzugraben und bisher unbekannte Texte von und über Martin Luther (1483 bis 1546) zu sichten. Die Historikerin aus Melbourne, die in England lebt, wurde fündig. Angst, Sorge, Elend und Unsicherheit waren Konstanten des menschlichen Daseins vor 500 Jahren. Luther war keine Ausnahme. Wie seinen Zeitgenossen graute ihm vor der Hölle. Deshalb befasste er sich so intensiv mit der Sünde und dem Teufel.

Das, was heute noch verdruckste Evangelikale umtreibt, war seinerzeit äußerst weit verbreitet. Gott war Richter. Von ihm ging alle Gewalt aus – in diesem Spannungsfeld lebten die Menschen. Die katholische Kirche nutzte das, um ihre Klientel zu manipulieren, etwa mit dem Ablasshandel, durch den man sich einen Weg in den Himmel erkaufen wollte. Das war Luthers Angriffspunkt.

Luther, der Wutbürger, der Rebell, der Intellektuelle, der Aufklärer – was wir derzeit in Dutzenden neuer Bücher zum Reformationsjubiläum lesen können, ist Lyndal Roper unwichtig. Die 60-Jährige hat einen ganz neuen Blick auf den Reformator, sie beschreibt ihn als einen Menschen seiner Zeit und wie er die Welt erfahren hat.

Besessen von seinem Körper

Luthers gesammelte Werke umfassen 120 Bände, davon elf mit Korrespondenz und sechs mit Tischreden. Aus ihnen und Archivfunden destilliert Roper das Individuum Luther. Seine Wandlungen und Rückschläge, seine ganz eigene Seelenlandschaft, vor allem seine Körperlichkeit. Luther war Geist, aber mehr noch Fleisch und Blut. Die Biografie ist eine Körpergeschichte.

Essen und Trinken sind Luther wichtig, Sex, Geselligkeit und Witzereißen auch. Seine Leiden sind Fäkalfantasien, Verstopfung und aufgekratzte Hämorrhoiden. Er ist besessen von seinem Körper und seinen leiblichen Notwendigkeiten. Als Mönch im Zölibat lehnt er fleischliche Wonnen ab. Mit 41 Jahren schwenkt er um, heiratet die entflohene Nonne Katharina von Bora. Das Brautpaar legt sich im Beisein aller Gäste ins Bett, dann wird es zugedeckt. Luther findet daran Gefallen, gerührt schreibt er einem Freund: „Im Bett, wenn man erwacht, sieht man ein paar Zöpfe neben sich liegen, die man vorher nicht sah.“ Mit der 15 Jahre Jüngeren hat er sechs Kinder.

Sexualität und Stuhlgang beschäftigen ihn Tag und Nacht. „Luthers außerordentliche Freimütigkeit“, so Roper, „seine aufrichtige Bereitschaft, alles zu riskieren, und seine Fähigkeit, Gottes Gnade als ein Geschenk anzunehmen, das er nicht verdiente, sind die anziehendsten Merkmale seiner Persönlichkeit.“

Sachlich und präzise aus Quellen wird sein Leben geschildert. Warum war Luther „der feiste Doktor“? 60 Prozent der in seinem Wittenberger Haus gefundenen Knochen stammten vom Schwein, nur zehn Prozent vom Rind. Warum trank er Unmengen an Bier? Warum war er ein derber Grobian („wer mir in weg kompt, muss sich leiden, denn ich sprech kein gut wort zu“)? Es sind die Kindertage, die Lyndal Roper als starke Prägung ausmacht. Luthers Vater war jähzornig, prügelte sich im Wirtshaus, wuchtete anderen den Krug auf den Schädel. Seine Frau duckte sich weg. Der Sohn als Erstgeborener sah das, ekelte und wunderte sich – und erfasste dabei die Erkenntnis, dass es immer ums Überleben ging.

Das erklärt einigermaßen, warum Luther so heftig gegen seine Feinde vorging. Er wollte stets den Teufel besiegen, deshalb auch die widersprüchlichen Äußerungen. Darin gab er sich frauenfeindlich, lobte aber den ehelichen Sex, der für Frau und Mann gleichermaßen lustvoll sein sollte („In der Woche zwier, schadet weder dir noch ihr“).

Roper ist viel näher an Luther dran als die meisten anderen Biografen.

Lyndal Roper: Der Mensch Martin Luther, S. Fischer, 730 Seiten; 28 Euro

 
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