Bernd Sibler, Bayerns Minister für Wissenschaft und Kunst, ist auch Vorsitzender der deutschen Kulturminister-Konferenz (KMK). Die KMK hat zusammen mit Bundeskulturminister Monika Grütters (CDU), ein Eckpunktepapier für die Wiederöffnung von Theatern und Kinos in Deutschland erarbeitet. In Bayern dürfen die Theater am 15. Juni wieder öffnen – unter den strengsten Auflagen der Republik. Im Gespräch erklärt der 49-jährige CSU-Politiker, warum das so ist. Und warum es Probleme bei den Hilfsprogrammen für Künstler gab. Für die Laienmusik hat Sibler gute Nachrichten.
Die Kulturszene fühlt sich bei den Öffnungen als Schlusslicht. Baumärkte durften vor den Museen aufmachen, jetzt die Freibäder vor den Theatern. Können Sie das nachvollziehen?
Bernd Sibler: Das kann ich sogar sehr gut nachvollziehen. Wir haben aber natürlich unterschiedliche Bedingungen, Vergleiche sind schwierig, die Fragen der Öffnungen immer komplex. Wir stimmen uns eng mit den Gesundheitsbehörden ab. Ich versichere Ihnen: Die Tage Mitte März waren keine schönen für mich als Kunstminister – Einrichtungen zumachen, immer im Wissen, dass daran viele Existenzen hängen. Viele Menschen spüren inzwischen, dass etwas fehlt. Deshalb habe ich mich natürlich dafür eingesetzt, dass wir auch im Kulturbereich schnell wieder zu Lockerungen kommen – allerdings immer mit Blick auf das Infektionsgeschehen. Ich bin überzeugt, dass Kunst und Kultur eine Brücke zurück in ein normaleres Leben bilden können. Deshalb haben wir Mitte Mai mit den Museen begonnen, mit den Bibliotheken, mit den Archiven. Wir haben hier Erfahrungen mit Hygienekonzepten und Herausforderungen wie der Besucherlenkung sammeln können. Das hilft uns jetzt.
Wo sind die problematischen Bereiche?
Sibler: Schwieriger ist es sicherlich im Theater- und Musikbereich. Stichwort Aerosole. Einen neuen Infektionsausbruch wie nach dem Gottesdienst in der Baptisten-Kirche in Frankfurt, wo viele Menschen auf engem Raum beisammen waren, wo gesungen wurde, möchte ich in unseren Kulturstätten nicht erleben. Deshalb bin ich zunächst einmal froh, dass wir mit Veranstaltungen mit 50 Personen in Innenräumen und 100 im Außenbereich beginnen können. Ich kann mir weitere Schritte vorstellen und werbe auch dafür. Es ist definitiv Zeit für einen Neustart für Kunst und Kultur. Aber immer mit den entsprechenden Hygienekonzepten und unter Beobachtung des epidemiologischen Geschehens. Ich habe zum Beispiel mit Jens-Daniel Herzog, Intendant des Staatstheaters Nürnberg, gesprochen. Er sagt, Theater lebt von Verdichtung. Und genau das macht es schwierig.
Es gibt Kritik an der Zahl 50: Warum so klein, warum unabhängig von der Größe des Raums? Das beanstandet auch das "Forum Musik Festivals", in dem unter anderem Mozartfest und Kissinger Sommer Mitglieder sind, in einem Offenen Brief an die Staatsregierung.
Sibler: Die Vorgabe zum Schutz der Bevölkerung war, mit kleinen Zahlen zu beginnen. Mir ist bewusst, dass man damit nur sehr schwer wirtschaftlich arbeiten kann. Aber so können wir in der ersten Phase neue Routinen entwickeln, Erfahrungen sammeln. Ich hoffe sehr darauf, bald weitere Schritte gehen zu können. Man muss sehen, dass wir hier in Bayern aufgrund der Grenznähe eine besondere Lage haben, wir haben leider bundesweit die meisten Covid-19-Erkrankungen. Das ist den Menschen auch bewusst. Laut Umfragen gehen vielen Menschen die Lockerungen daher eher zu schnell. Wir können nicht so tun, als wäre dieses Virus nicht mehr da. Der Super-Gau wäre, wenn bei einer Kulturveranstaltung plötzlich 50 Leute infiziert sind. Daher müssen wir beides in Einklang bringen: den Schutz der Bevölkerung und den Wunsch nach einem Neustart für Kunst und Kultur.
Die Kritik an den Hilfsprogrammen für die Kultur hält an. Hauptargument: Es würden zu viele Antragsteller durch die Raster fallen und leer ausgehen. Wie ist der Stand?
Sibler: Es gibt sehr viele unterschiedliche Lebenssituationen und Konsequenzen aus der Krise, die wir natürlich versuchen abzubilden. Wir haben eine ganze Reihe von Programmen aufgelegt, allein unser Kultur-Rettungsschirm umfasst über 200 Millionen Euro. Das erste kam im Bereich des Wirtschaftsministeriums schon Mitte März: Solo-Selbständige mit Betriebsstätte, kleinere und mittlere Unternehmen, da waren auch Kunst und Kultur ausdrücklich berücksichtigt. Mit dem zweiten Programm fördern wir Projektträger und Institutionen. So planen wir selbstverständlich, dem Mozartfest die beantragten 250 000 Euro Förderung auszuzahlen. Das an die Situation angepasste Programm gefällt mir übrigens gut, viele tolle Ideen und eine hohe Flexibilität. Bei diesen Hilfen geht es darum, Strukturen zu erhalten. Wie bei unserem Kulturfonds Bayern mit noch einmal 5,3 Millionen Fördervolumen für kulturelle Projekte, wo wir mit den Anbietern flexible Lösungen finden, auch wenn deren Veranstaltungen coronabedingt nicht wie geplant stattfinden können.
Mit sieht es mit den Gagen der Gastsolisten für ausgefallene Vorstellen aus?
Sibler: Für die staatlichen Einrichtungen und geförderten Stätten haben wir für Verträge, die vor Corona geschlossen worden, Gagenregelungen nach dem Vorbild des Bundes getroffen, von denen auch die freiberuflichen Gastkünstler profitieren. Zum 1. Juli kommt zudem eine Förderung für kulturelle Spielstätten, insgesamt etwa 30 Millionen, dazu nochmal zwölf Millionen für die Kinos, für die das Digitalministerin und Kollegin Judith Gerlach zuständig ist. Auch für die Laienmusik planen wir Hilfen. Mit rund zehn Millionen Euro wollen wir Musikvereinen unter die Arme greifen. Und dann haben wir als größtes Programm unseres Kultur-Rettungsschirmes das Künstlerhilfsprogramm mit 140 Millionen für die Solo-Selbständigen, die in der Regel ohne eigene Betriebsstätte arbeiten. Das ist übrigens mit Blick auf ihre besondere Erwerbssituation eine bundesweit einmalige Förderung für Künstlerinnen und Künstler.
Warum gab es die Probleme?
Sibler: Wir hatten uns bei der Frage der Antragsberechtigung am Anfang an der Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse orientiert, die ja für freischaffende Künstler eingerichtet ist. Wir haben ein verlässliches Kriterium gesucht, das eine aufwändige Einzelfallprüfung unnötig macht. Die Kritik, dass sich viele gar nicht in der KSK versichern können, haben wir aufgenommen und umgesetzt. Wir haben den Kreis erweitert auf diejenigen, die die Kriterien der KSK vom Inhalt her erfüllen, aber aus formalen Kriterien nicht Mitglied sein können. Und: Uns war auch von Anfang an klar, dass Menschen, die im ersten Programm des Wirtschaftsministeriums, der Soforthilfe Corona, einen Antrag gestellt hatten und nicht zum Zuge gekommen waren, natürlich bei unserem Künstlerhilfsprogramm mit dreimal bis zu 1000 Euro einen neuen Antrag stellen können. Wir möchten ja gerade diese Lücke für soloselbständige Künstlerinnen und Künstler ohne eigene Betriebsstätte mit dem Programm schließen. Auch eine Aufstockung auf 3000 Euro ist möglich. Das ist teilweise anders verstanden worden, hat sich mittlerweile aber aufgeklärt. Wir wollen, dass das Geld rausgeht.
Ein Kritikpunkt war, dass es hieß "bis zu 1000 Euro". Es hätten also auch nur 400 sein können.
Sibler: Wir wollen Nothilfe und einen Beitrag zur Sicherung des Lebensunterhalts leisten. Und wenn man Lebensmittel, Wasser, Strom, Miete, Kleidung, Kranken- und Pflegeversicherung, Telefon und Hausrat zusammenrechnet, das alles im Antrag angibt und gleichzeitig keine oder kaum Einnahmen hat, sollte man in der Regel doch auf die 1000 Euro kommen. Und die Hilfe zahlen wir dann auch zügig und in einem Betrag aus. Ich habe zahlreiche Gespräche mit Künstlervereinigungen geführt und deren Anregungen aufgegriffen. Diese Zeit war wichtig. Inzwischen haben wir rund 7000 Anträge, derzeit laufen die Auszahlungen an.
Die Laienmusik hat lange auf eine Öffnungsperspektive gewartet.
Sibler: Für unsere Laien-Musikerinnen und Musiker habe ich eine gute Botschaft: Ab 8. Juni dürfen Instrumentalgruppen wieder eingeschränkt proben. Unter Beachtung von Schutz- und Hygienemaßgaben können Gruppen von bis zu zehn Personen wieder gemeinsam musizieren. Dabei gilt unter anderem, dass ein Abstand von zwei Metern zwischen den Musikern eingehalten werden muss, bei Blasinstrumenten drei Meter. Ich freue mich sehr, dass wir damit ein Stück bayerisches Lebensgefühl wieder ermöglichen können.
Bernd Sibler kommt aus Plattling im niederbayerischen Landkreis Deggendorf, hat Deutsch und Geschichte auf Lehramt studiert und sitzt seit 1998 für die CSU im Landtag. Im Kabinett Beckstein und im Kabinett Seehofer war Sibler Staatssekretär im Schul- und Kultusministerium. Auch unter Ministerpräsident Markus Söder wurde der 49-Jährige erst Staatsminister für Unterricht und Kultus, seit 2018 ist er Staatsminister für Wissenschaft und Kunst.