
Alexandra Cedrino ist die Enkelin des schillernden Kunsthändlers Wolfgang Gurlitt. Der "Zauberprinz" steht gerade im Mittelpunkt der Sonderausstellung im Museum im Würzburger Kulturspeicher. Cedrino hat ihr erstes Buch geschrieben. Titel: "Die Galerie am Potsdamer Platz". Ah, jetzt werden Familiengeheimnisse über die Gurlitts gelüftet, werden viele denken. So einfach macht es die Autorin ihren Lesern nicht.
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Der Roman spielt in den 1930er Jahren in Berlin. In einigen Clubs wird noch getanzt. Auf den Straßen randalieren die Nazis. Das Pflaster ist lebensgefährlich für diejenigen, die nicht der NS-Ideologie entsprechen. Kunststudentin Alice Waldmann kommt in dieser Zeit in die Stadt – zu ihrer Großmutter Helena. Beide sind sich noch nie begegnet. Denn Alices Mutter war aus der Kunsthändler-Familie verstoßen worden. Die erste Begegnung ist kühl. Andere Familienmitglieder sind Alice gegenüber weniger ablehnend, ihre Onkel haben sogar große Pläne mit ihr, was die Galerie betrifft. Und Alice erfährt nach und nach die Hintergründe für das Zerwürfnis von Helena und ihrer Tochter...
Alexandra Cedrino: Der Familienhintergrund ist mein Ausgangspunkt. Ich bin nun mal die Enkelin des Kunsthändlers Wolfgang Gurlitt und mit vielen Geschichten und Anekdoten aufgewachsen. Manche Orte stimmen. Manche Ereignisse greife ich auf. Aber ich erzähle sie in abgewandelter Form. Von Anfang an stand jedoch die Eingangsszene fest, als Helena und Alice aufeinanderprallen. Die beiden haben sich in mir festgesetzt.
Cedrino: Ich bin keine Kunsthistorikerin, sondern Grafikerin und familiär gesehen viel zu nah dran, um ein Sachbuch oder eine Biografie zu schreiben. Für mich war wichtig, den Blick zu weiten.
Cedrino: Das hat durchaus mitgespielt. Als ich im Internet anfing zu recherchieren, ist mir aufgefallen, dass mein Großvater Wolfgang mit seinem jüngeren Cousin Hildebrand verwechselt wurde. Das wollte ich auseinanderklamüsern.

Cedrino: Ich kenne ihn leider nur aus Erzählungen. Er ist 1965, ein Jahr vor meiner Geburt gestorben. Ich bedaure das sehr. Denn er hätte mir ein Pony geschenkt.
Cedrino: Als Kind wollte ich so gerne reiten lernen, durfte es aber nicht. Meine Mutter Angelina hat mir immer erzählt, dass er mir sofort ein Pony gekauft hätte. Dann war ich immer entsetzlich traurig, dass mein Großvater nicht mehr da war. Er hätte mich sicher sehr verwöhnt.
Cedrino: Er war weder zu sich selbst noch seiner Familie und seinen Freunden gegenüber geizig. Er hat sich um seine Leute gekümmert, sich für andere eingesetzt. Das bewundere ich sehr. Und er hat seine Frauen immer um sich versammelt: seine geschiedene erste Frau Julia Goob samt deren Schwester, seine zweite Frau Käthe – meine Großmutter – und seine Geschäftspartnerin Lily Christansen Agoston. Sie war ungarische Jüdin. Wolfgang hat für sie einen Ehemann gesucht, damit sie die dänische Staatsbürgerschaft erhielt und vor den Nazis sicher war.

Cedrino: Es war bestimmt nicht immer einfach mit ihm, so viele Leute in einem Haus in Österreich, in Bad Aussee. In Berlin gab es mehrere Wohnungen. In einer lebte er mit seiner ersten Frau und seiner Geschäftspartnerin zusammen. Seine zweite Frau, meine Großmutter, wohnte mit ihren Töchtern in einer anderen Wohnung. Und beide Ehefrauen waren miteinander befreundet. Diese unklaren Familienverhältnisse waren den Nazis, der Gestapo, sehr suspekt.
Cedrino: Bei Alice habe ich an meine Urgroßmutter Annarella gedacht, die Frau von Fritz Gurlitt. Sie ist nach dem Tod von Fritz, er starb an Syphilis, aus der Familie verbannt worden. Cornelius Gurlitt, Bruder von Fritz und Vater von Hildebrand, hat sie als "Hure" bezeichnet – bei der Beerdigung. Denn Annarella hatte zu diesem Zeitpunkt ihre Heirat mit Willi Waldecker geplant. Er war ein Angestellter von Fritz Gurlitt. So konnte Annarella die Galerie für ihren Sohn Wolfgang, der noch ein Kind war, als sein Vater starb, fortführen. Aber seither ist unser Familienzweig von den anderen Gurlitts getrennt.

Cedrino: Hildebrand wollte bei seinem Cousin Wolfgang wohnen, als er zum Studium nach Berlin kam. Doch mein Großvater, der damals bereits die Galerie seines Vaters Fritz übernommen hatte, wollte das nicht. Das nahm Hildebrand ihm übel. Und er lästerte: Wolfgang würde Schweinkram verlegen. Und überhaupt sei das alles zum Kotzen, was mein Großvater machen würde.
Cedrino: Das war er nur kurz. Die letzte Galerie meines Großvaters in München lag am Stachus. Das war ein ungünstiger Standort. Die Galerie wurde bald geschlossen. Mein Vater hat dann als Fotograf für Auktionshäuser gearbeitet.
Cedrino: Absolut nicht. Meine Schwester und ich und vor allem meine Tante Maria Gurlitt waren wie vom Donner gerührt. Obwohl Cornelius Gurlitt in unserer Nähe wohnte, wussten meine Schwester und ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal was von seiner Existenz. Meine Tante hat es sehr mitgenommen, dass der Name Gurlitt so negativ in die Schlagzeilen kam. Sie wurde krank. Ende 2018 ist sie gestorben, ein halbes Jahr vor ihrem 90. Geburtstag.
Cedrino: Kein Mensch besteht nur aus Schwarz und Weiß. Es gibt auch Graubereiche. Ich stelle es mir so vor: Du bist Kunsthändler und jemand kommt zu dir und sagt, ich muss hier weg, brauche Geld und muss deshalb meine Sammlung verkaufen. Was machst du da? Kaufst du die Bilder, dann machst du dir die Finger schmutzig. Kaufst du nicht, dann nimmst du womöglich jemandem die Möglichkeit, sich zu retten. Das sind sehr schwierige Entscheidungen. Ein Nazi war mein Großvater sicher nicht. Er hatte ja selbst jüdische Wurzeln durch seine Großmutter Else Lewald, Schwester der berühmten Schriftstellerin Fanny Lewald.
Cedrino: Die Wohnungen und auch die Galerien gibt es nicht mehr. Aber in der Nähe der Potsdamer Straße habe ich tatsächlich noch Villen aus dieser Zeit entdeckt. Sie befinden sich in einer Privatstraße und sehen genauso aus wie die Gurlittsche Doppelvilla. Und am Matthäikirchplatz, wo nur noch die Kirche steht, hatte ich ein starkes Gefühl der Verbundenheit – über die Zeit hinweg.

Cedrino: Das habe ich erst aus seinen Briefen erfahren. Im April 1944 schrieb er: "In Würzburg habe ich einen sehr angenehmen Empfang gehabt. Vom Oberbürgermeister wurde ich sofort empfangen, man begrüßt mich dort auf das liebenswürdigste als neuen Würzburger Bürger und zeigte größtes Interesse für alles was ich plane und vorhabe. Ich habe mich bei dieser Gelegenheit gleich wieder für einige Kollegen eingesetzt und habe vom Oberbürgermeister die Zusicherung bekommen, dass die Persönlichkeiten, die von mir ein Empfehlungsschreiben bringen und eingeführt werden, auch die Aufenthaltsgenehmigung erhalten würden."
Cedrino: Und ich bin schon ganz aufgeregt.
Literaturtipp: Alexandra Cedrino, "Die Galerie am Potsdamer Platz", 384 Seiten, Harper Collins, 20 Euro.
Die Lesung von Alexandra Cedrino im Museum am Kulturspeicher beginnt am Mittwoch, 26. Februar, um 18.30 Uhr. Anschließend gibt es ein Gespräch mit der Autorin.