Sie sind da!“ Am Wochenende erreichte die Redaktion dieser Zeitung der Anruf einer höchst erfreuten Marlene Lauter. Mit „sie“ meint die Leiterin des Museums Kulturspeicher in Würzburg Grafiken von Lovis Corinth, Oskar Kokoschka, Alfred Kubin, Edvard Munch, Max Pechstein und René Sintenis. „Es sind alles qualitativ hochwertige Arbeiten.“ Die Blätter wären sicherlich noch einige Zeit unbemerkt im Depot gelegen, wenn Recherchen unserer Redaktion zum Fall Gurlitt nicht zu einem interessanten Hinweis geführt hätten.
Am 2. Juli 1957 war in der „Main-Post“ ein Artikel zu lesen über eine „großartige Schenkung“. Wolfgang Gurlitt hat der Städtischen Galerie in Würzburg neun Grafiken überreicht. Der damalige Direktor der Städtischen Galerie, Heiner Dikreiter, pflegte enge Kontakte zu dem Berliner Kunsthändler. Gemeinsam mit den Freunden Mainfränkischer Kunst und Geschichte richtete Dikreiter 1957 anlässlich des 50-jährigen Berufsjubiläums Wolfgang Gurlitts eine Ausstellung aus. Zu sehen gab es in der Otto-Richter-Halle laut Zeitungsartikel Meistergrafiken des 19. und 20. Jahrhunderts.
Wolfgang Gurlitt ist – wie bereits berichtet – der Cousin von Hildebrand Gurlitt, über dessen in München entdeckte Kunstsammlung, die sein mittlerweile 80 Jahre alter Sohn Cornelius jahrzehntelang versteckte, alle Welt redet. Beide waren Kunsthändler. Wolfgang Gurlitt (das Bildnis rechts zeigt ihn als jungen Mann) übernahm in Berlin die bekannte Galerie seines Vaters Fritz Gurlitt. Sein aus Dresden stammender Cousin Hildebrand Gurlitt handelte erst mit Kunst, als er auf Druck der Nationalsozialisten seine Stelle als Direktor des König-Albert-Museums in Zwickau sowie als Leiter des Hamburger Kunstvereins verlor. Wolfgang wie Hildebrand Gurlitt hatten gute Kontakte in die Kunstwelt. Das machten sich die braunen Machthaber zunutze und beauftragen die Cousins, fürs geplante „Führermuseum“ im österreichischen Linz Kunst zu beschaffen. Dabei störte es die Nazis nicht, dass beide eine jüdische Großmutter hatten.
1957, als Wolfgang Gurlitt der Städtischen Galerie seine Schenkung überreichte, war er auch in Österreich ein bekannter Mann. Ende 1946 übergab er seine private Kunstsammlung als Leihgabe an die Stadt Linz. 1953 bildeten diese 84 Gemälde und 33 Grafiken aus seinem Besitz den Grundstock der Neuen Galerie, die heute Lentos Kunstmuseum heißt. Er scheint eine angesehene Persönlichkeit gewesen zu sein. Auch zu den Künstlern der Moderne, deren Werke in der Nazizeit als „entartet“ diffamiert wurden, hatte er enge Verbindungen. Sie porträtierten ihn mehrfach. Und sieben dieser Bildnisse wurden jetzt im Depot des Museums Kulturspeichers gefunden.
Dabei löste eine erste Nachfrage dieser Zeitung zunächst Verwunderung aus. „Wäre schön, wenn wir so etwas hätten“, sagte Henrike Holsing, die stellvertretende Leiterin des Kulturspeichers noch Mitte vergangener Woche. Ihr war lediglich eine Grafik von René Sintenis bekannt, nicht jedoch von Corinth, Kokoschka, Kubin, Munch oder Pechstein.
Doch Henrike Holsing und Marlene Lauter waren neugierig geworden. Eine erste Suche im Depot verlief enttäuschend. Es gebe dort keine „Mappe Gurlitt“, informierte Marlene Lauter diese Zeitung. Auf ihre Veranlassung hin untersuchte die Restauratorin des Kulturspeichers, Ines Franke, erneut den riesigen, schätzungsweise 30 000 Blätter umfassenden Grafikbestand – und wurde fündig. Nicht unter dem Namen Gurlitt, sondern unter den jeweiligen Künstlernamen tauchten die geschenkten Blätter auf.
Marlene Lauter ist von der Qualität und vom Erhaltungszustand beeindruckt. Grafiken sind empfindlich. Da sie jedoch lange nicht dem Licht ausgesetzt waren, hat der Zahn der Zeit kaum an ihnen genagt. „Ich kann mich dunkel erinnern, dass ich den Munch, den Pechstein und auch die anderen Blätter mal in der Hand hatte“, sagt Marlene Lauter. Das war zu Beginn ihrer Würzburger Zeit in der Städtischen Galerie vor 22 Jahren. Dann habe sie die Werke aufgrund des Tagesgeschäfts und der anstehenden Arbeiten in der Galerie und später auch im Kulturspeicher „einfach vergessen“.
Alle Grafiken wurden jedoch nicht gefunden. Neun sollten es laut Zeitungsbericht sein, darunter jeweils zwei Arbeiten von Corinth, Kokoschka und Pechstein. Laut Marlene Lauter sind es sechs Originalgrafiken, also von jedem Künstler ein Blatt, zudem ein Faksimile von Corinth und ein Kalenderblatt von Kubin. Es zeigt eine allegorische Darstellung, „eine Frauenfigur, die vermutlich das neue Jahr begrüßt“, so Lauter.
Ob die „neuen“ Schätze des Kulturspeichers demnächst zu sehen sein werden, steht noch nicht fest. Sicher ist nur, dass im nächsten Jahr eine Ausstellung über die 1966 in Berlin gestorbene Bildhauerin und Grafikerin René Sintenis im Kulturspeicher zu sehen sein wird. Marlene Lauter und Henrike Holsing überlegen, bei dieser Gelegenheit die von ihr nun entdeckte Grafik zu präsentieren. Ob noch mehr Werke von Künstlern mit, so Lauter, „großen Namen“, im Depot auftauchen, ist aufgrund dieses unerwarteten Würzburger Kunstfunds nicht auszuschließen. Allein, es fehlt im Kulturspeicher an Kapazität. „Wir bräuchten einfach mehr Mitarbeiter“, sagt Marlene Lauter. Dann wäre es wesentlich einfacher, die Schätze im Depot zu heben.
Der Kulturspeicher
Das Museum im Kulturspeicher in Würzburg wurde 2002 eröffnet und ist aus der ehemaligen Städtischen Galerie hervorgegangen. Es befindet sich am Alten Hafen in einem umgebauten Getreidespeicher aus dem Jahr 1904.
Zwei Sammlungen vereint das Museum unter seinem Dach: die Städtische und die private Sammlung „Peter C. Ruppert – Konkrete Kunst in Europa nach 1945“ mit Werken von über 200 Künstlern und Künstlerinnen aus 23 europäischen Ländern. Die Städtische Sammlung hat sich aus regionalen Bezügen heraus entwickelt; sie beginnt mit der Kunst des 19. Jahrhunderts und reicht mit dem Nachlass der Bildhauerin Emy Roeder bis in die Klassische Moderne. Quelle: Kulturspeicher
Wie ist das eigentlich, gibt es irgendwelche Fristen, nach deren Ablauf ein etwaiger Vorbesitzer keinen Anspruch auf sein vormaliges Eigentum mehr erheben kann???
Irgendwie überrascht es mich nicht dass im Depot "auf einmal" Werke auftauchen von denen man nix wusste. Auch vor 22 Jahren gab es schon Archivierungsprogramme oder die guten alten INVENTARVERZEICHNISSE. Und innerhalb von2 22 Jahren könnte man doch einmal JEDES der Objekte für die man verantwortlich ist wenigstens EINMAL in der Hand gehalten oder zumindest angesehen haben. Bei ca 30.000 Werken und 22 Jahren macht das ungefähr 5!!! pro Arbeitstag. Zuviel??
Mal sehen - welche ÜBERRASCHUNGEN es denn dort noch gibt!!;-)
Stimmt da vielleicht was in der Organisation nicht.
Da ist ja Betrug und Hehlerei Tür und tor geöffnet...