Der Kern des Bösen ist Gleichgültigkeit. Dieser Mephisto scheint seiner Kräfte überdrüssig. Wie er die Menschen ins Verderben treibt, das hat etwas Gelangweiltes. Mehr noch: Der Teufel ist in Jan Eßingers Inszenierung der hochromantischen Oper "Faust (Margarethe)" von Charles Gounod für das Landestheater Detmold (am Dienstag und Mittwoch zu Gast im Theater der Stadt Schweinfurt) kein fremdes Wesen, das irgendeiner Unterwelt entsteigt, sondern fester Bestandteil unser aller Persönlichkeit.
Eßinger macht das im schnörkellosen und effektiven Bühnenbild von Nora Johanna Gromer gleich zu Beginn mit einem verblüffenden Trick sichtbar: Als Faust in den Spiegel blickt, sieht er Mephisto als sich selbst. Oder umgekehrt. Jedenfalls: Faust bekommt nicht mehr und nicht weniger, als das, was er sich wünscht, seine Jugend zurück und damit die Anziehungskraft auf schöne Frauen. Mehr fällt ihm nicht ein.
Das Libretto hält sich nicht mit Goethes Gedanken zu Mensch und Welt auf
Mephisto soll's recht sein. Dass dies in einer rückständigen und bigotten Gesellschaft wie der hier dargestellten ins Desaster führen muss, ist nun wirklich nicht seine Schuld. Eine wirkliche Herausforderung ist es aber eben auch nicht. Wie das (dank deutscher Übertitel gut mitverfolgbare) französische Libretto von Jules Barbier und Michel Carré für das 1859 uraufgeführte Stück ohnehin mehr auf szenisches Tempo und die skandalöse Liebesgeschichte zwischen Faust und Marguerite setzt, denn auf eine wie auch immer geartete Abbildung all der Goethe'schen Gedanken zum Wesen des Menschen und der Welt.
Die Detmolder haben ein Händchen für große Oper mit eher kleinem Ensemble. Das haben sie in Schweinfurt schon mit den Wagner-Opern "Rheingold", "Walküre" und "Meistersinger"bewiesen, Gounods "Faust" kann man getrost auch zu den dickeren Schinken im Repertoire zählen. Allein: In der Detmolder Version kommt das alles wohltuend transparent, zupackend und trotz all der Tragik und des Pathos nahbar und mit menschlichem Maß daher. Und pragmatisch. Für die (anfangs ein wenig betulichen) Massenszenen gilt: Wer die Bühne verlässt, nimmt gleich einen Stuhl oder einen Tisch mit.
Im fünften Akt wirkt plötzlich der Teufel emotional engagierter als Faust
Das unter György Mészáros süffig, sicher und sauber aufspielende Orchester begleitet Sänger auf begeisternd hohem Niveau. Ji-Woon Kim als von Selbstzweifeln geplagter Faust (den Pavarotti-Hit "Salut demeure chaste et pure" liefert er mit beinahe intimer Souveränität) und Seungweon Lee als charismatisch-zynischer Méphistophélès bilden eine spannende Gravitationsstudie mit ständig wechselnden Polen. Interessanterweise wirkt im fünften Akt der Teufel emotional weit engagierter als Faust – folgerichtig steht zum Schluss, als der Spuk in der Studierstube der Anfangs seine Ende nimmt, er diesseits des Spiegels.
Emily Dorns Marguerite ist weder einfältig noch kokett (die Schmuckarie kommt völlig unschrill, dafür mit anrührender Echtheit), sondern eine junge Frau, die vor allem das Pech hat, in eine furchtbare Zeit geboren worden zu sein. Dara Savinova als Siébel, Benjamin Lewis als Valentin, Katja Ladentin als Marthe und Andreas Jören als Wagner vervollständigen ein rundum gelungenes Tableau, das die Besucher des mäßig besuchten ersten Abends mit langanhaltendem Beifall im Stehen honorieren.
Zweite Vorstellung am Mittwoch, 30. Januar, 19.30 Uhr. Karten: Tel. (09721) 514955