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SCHWEINFURT
Wie der Meistersinger im Schrebergarten landet
Wagner-Gastspiel: Kay Metzger kommt in seiner Inszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ (fast) ganz ohne Anspielungen auf das deutsche Ringen mit der eigenen Geschichte aus.
Keine Burg, keine Fackeln, keine Springerstiefel: Kay Metzgers „Meistersinger“ aus Detmold.
Foto: Landestheater/Kerstin Schomburg | Keine Burg, keine Fackeln, keine Springerstiefel: Kay Metzgers „Meistersinger“ aus Detmold.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 27.04.2023 03:11 Uhr

Zum ersten Mal überhaupt sind ab Freitag „Die Meistersinger von Nürnberg“ im Theater der Stadt Schweinfurt zu erleben. In Sachen Wagner ist das gastierende Landestheater Detmold so etwas wie eine Art Kompetenzzentrum. Intendant Kay Metzger hat alle Opern von Holländer bis Parsifal inszeniert.

Hier geht's zur Besprechung

Die ersten beiden Teile seines Rings waren 2011 und 2013 in Schweinfurt zu Gast. „Das Rheingold“ hatte Metzger in der Zeit der französischen Revolution angesiedelt, „Walküre“ zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Das Faszinierende damals: In einer Welt voller Mythen und Magie machte der Regisseur aus Göttern echte Menschen mit echten Gefühlen, ohne den Werken ihre überirdische Ausstrahlung zu nehmen.

Frage: Die Schweinfurter Theaterbesucher kennen Ihren halben „Ring“ – „Rheingold“ und „Walküre“. Mir ist von diesen Gastspielen des Landestheaters Detmold vor allem eine große Transparenz und Leichtigkeit in Erinnerung geblieben. Der Walkürenritt klang dank der kleinen Besetzung sogar regelrecht kammermusikalisch.  Würden Sie sagen, es gibt unter Ihrer Ägide so etwas wie einen Detmolder Wagner?

Kay Metzger: (lacht) Das wäre vielleicht ein bisschen vermessen. Aber interessanterweise haben die Dirigenten Erich Wächter und auch sein Nachfolger Lutz Rademacher den Anspruch, sehr transparent zu musizieren und den Wagner nicht nur über einen fetten, überromantisierenden Stil zu definieren, sondern eben auch die kleinen Kostbarkeiten der Partitur leuchten zu lassen. Und gerade bei den „Meistersingern“, die ja im Gegensatz etwa zum „Ring“ nicht für ein ganz großes Orchester geschrieben wurden, hat Wagner, weil er ein bisschen die mittelalterliche Musik kopieren wollte, ohnehin auf sehr klare, transparente Strukturen bei der Komposition gesetzt.

Was bedeutet das für den Regisseur?

Metzger: Gute Frage – mein Anliegen ist erst mal, sehr klar zu erzählen, worum es geht. Ich arbeite immer sehr intensiv mit den Sängern, so dass man auch spielende Sänger auf der Bühne hat. Bei den „Meistersingern“ gibt es eine Rezeptionsgeschichte, die viel mit der deutschen Geschichte zu tun hat, und da ist schon sehr viel dazu gesagt worden. Mein Ansatz ist deshalb, eine eher heitere, leichte und auch ironisierende Erzählhaltung, um das nicht überzustrapazieren. Und das geht mit dem Dirigat gut zusammen.

 

Das Ende des dritten Aktes muss ja nicht zwingend deutschtümelnd sein.
Metzger: Richtig, das war ja auch von Wagner anders gemeint. Es war eine andere historische Konstellation, als er die Oper geschrieben hat. Der Ballast der neueren Geschichte, den wir ja zu Recht mit uns schleppen, hat oft zu einem gewissen Übereifer geführt, das Nationale zu stark zu akzentuieren. Ich sehe in dem Stück eine Zeitenwende dargestellt: Eine sehr konservative Gesellschaft erfährt durch einen Künstler plötzlich eine Modernität, und es entstehen Reibungen. Das ist etwas, was wir immer wieder erleben.

Die Modernität kommt durch das Naturgenie Stolzing in das Stück – kann man in ihm auch eine Parsifal-Figur sehen? Nicht unbedingt als Erlöser, aber als den Unbefangenen, den reinen Toren eben?
Metzger: Ja, durchaus. Interessant, dass Sie das ansprechen, weil das auch ein bisschen in der Inszenierung durchkommt. Stolzing ist ein Künstler, der ganz aus einem Naturverständnis oder einem Naturzauber heraus agiert. Er hat zwar eine lose Vorbildung, aber eigentlich sind ihm die Inspirationen „auf der Flur und auf der Aue“ zugeflogen, wie er selber sagt. Insofern stellt er sich tatsächlich als reiner Tor mit einer gewissen Naivität dieser Sängerprüfung, bei der er natürlich scheitern muss.

In dem Stück gibt es viel Schwarz/Weiß-Malerei, der Beckmesser ist ja eine sehr eindimensionale Figur. Wie gehen Sie mit dem um?

Metzger: Sie ist gar nicht so eindimensional, wie man meint. In die Dramaturgie sind zwar durchaus Muster der Commedia dell'Arte eingeflossen, auf der anderen Seite ist der Absturz Beckmessers aus einer sehr gehobenen, angesehenen Position in die Blamage extrem tief. Das macht die Figur so tragisch. Dass ein Mann, der intellektuell so geschliffen ist, durch einen blöden Lebensplan, vielleicht auch eine gewisse Verliebtheit, plötzlich jegliche Vernunft vergisst und dadurch seine Stellung in Nürnberg verliert, ist bitter. Andreas Jören, der bei uns den Beckmesser singt, ist es gelungen, diese Figur mit einem kleinen Schuss Komödiantik zu zeichnen, aber eben auch mit einer gesunden Verteidigung dieser Figur. Ein angesehener Mann, der seine Würde verliert – am Ende haben wir deshalb eine Situation gebaut, wo es fast in den Wahnsinn geht.

Vor dem Hintergrund der jüngsten politischen Entwicklungen könnte man auch sagen, das ist eine Anti-Establishment-Oper.

Metzger: Absolut, richtig. Walther von Stolzing ist nicht das Establishment. Er bewirbt sich zwar um eine Frau, die für das Establishment steht, nämlich die Tochter des Goldschmieds, aber er hat im Gegensatz zu Beckmesser nicht diesen Prestigegedanken. Es ist, wie bei „Tristan und Isolde“, der Liebesblick, der beide aneinander bindet. Das könnte auch eine Magd sein, das wäre Stolzing völlig egal.

Kay Metzger
Foto: Kerstin Schomburg | Kay Metzger

Dargestellt ist mit seiner künstlerischen Entwicklung, die er mit Hilfe von Hans Sachs durchläuft, aber auch eine Synthese zwischen Natur und Gesellschaft. Als sarkastische Pointe landet Stolzing bei uns in einem ganz besonderen Naturidyll – einem Schrebergarten. Interessanterweise sind die Schrebergärten just in der Entstehungszeit der „Meistersinger“ entstanden. Ein bisschen kommentieren muss man dieses „Ehrt eure deutschen Meister!“ am Schluss. Ganz kommt man da nicht drumherum. Aber es braucht eben nicht immer eine Hakenkreuzfahne oder Springerstiefel. Man kann das auch gesellschaftspolitisch deuten.

Es ist oft darauf hingewiesen worden, dass „Die Meistersinger“ die einzige diesseitige, magielose Oper Wagners ist. Inszeniert man da anders als etwa „Lohengrin“ oder „Ring“?

Metzger: Beim „Ring“ habe ich versucht, die Figuren näher an die Menschen heranzuziehen – da geht es ja um Menschen mit all ihren politischen und sozialen Fragen, mit denen man sich als Zuschauer identifizieren können muss. Und bei den „Meistersingern“ ist es ähnlich. Es hat einen Riesenspaß gemacht, die Meister der Meistersingergilde zu zeichnen. Das sind ja wirklich bürgerliche Typen unterschiedlichster Art. Da geht man schon mit einer sehr konkreten Spielweise heran. Allerdings erlauben wir uns einen kleinen Schlenker ins Surreale, indem wir die Figur des Kobolds erfunden haben, der sehr viel anstellt, und der dann später auch von Hans Sachs entdeckt wird, im Wahnmonolog: „Ein Kobold half wohl da“. Ich kam durch diesen Satz drauf, aber auch durch die Tatsache, dass Wagner sich sehr intensiv mit Shakespeare, vor allem mit dem „Sommernachtstraum“ auseinandergesetzt hat. Und viele Dinge in den „Meistersingern“ weisen gewisse Parallelen zu diesem Werk auf. Und so lassen wir den Naturgeist agieren, der Spaß hat, Wirrungen und Liebestaumel auszulösen.

Ist es anders, Wagner zu inszenieren als etwa Puccini oder Strauss, die teilweise sehr detaillierte Regieanweisungen geben? Ist man bei Wagner freier?

Metzger: Wagner neigt manchmal schon zu ausufernden Regieanweisungen, der Welteneinsturz im „Ring“ etwa nimmt anderthalb Seiten ein, wo er beschreibt, wie Wallhall einstürzt und der Rhein über die Ufer tritt – also Regieanweisungen, die man fast nicht erfüllen kann. Aber Puccini habe ich immer als sehr eng empfunden. Ich habe zweimal „Tosca“ inszeniert. Ich würde das jetzt nicht nochmal machen wollen, auch „La Boheme“ nicht. Das ist so engmaschig geschrieben, dass man sofort weiß, was man inszenieren muss. Bei Wagner ist das Tableau offener, und das macht sehr viel Freude. Mein Lehrer August Everding hat allerdings gesagt, dass Wagner jeden Schritt und jede Geste in der Musik komponiert hat. Und da ist tatsächlich was dran, gerade beim „Ring“. Man kann in der Partitur sehen, wann Wotan auf Brünnhilde zugeht oder auf Fricka und wann er wieder weggeht.

Dennoch sieht man bei Wagner die vielleicht vielfältigsten Umsetzungen.

Metzger: Wir nehmen uns als Regisseure heute viel größere Freiheiten. Das Schöne bei Wagner ist, dass die Werke so geschrieben sind, dass sie in alle Richtungen offen sind. Gerade „Ring“, „Tristan“ oder „Parsifal“ sind ja Weltentwürfe, wo Sie „von . . . bis“ denken können. Bei „Tosca“, „La Boheme“ oder „Madama Butterfly“ geht das nicht, obwohl ich die Musik wahnsinnig gerne höre.

Theater der Stadt Schweinfurt: „Die Meistersinger von Nürnberg“, Oper von Richard Wagner. Fr., 27., und Sonntag, 29. Januar; Freitag, 3., und Sonntag, 5. Februar, Beginn immer 17 Uhr. Karten: Tel. (0 97 21) 51 49 55 oder 51 0. www.theater-schweinfurt.de

Die Meistersinger von Nürnberg

Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ ist seine einzige, in der keine magischen Wesen vorkommen – sieht man von einem Kobold ab, den Hans Sachs einmal erwähnt. Das „Satyrspiel“ spielt in Nürnberg Mitte des 16. Jahrhunderts, also zur Reformationszeit.

Viele Inszenierungen seit dem Krieg haben sich mit mehr oder weniger expliziten Anspielungen auf den Nationalsozialismus mit der jüngeren deutschen Vergangenheit auseinandergesetzt. Die national gefärbten Textzeilen zum Schluss des dritten Akts scheinen dies auch herauszufordern:

„Was deutsch und echt, wüßt keiner mehr, / lebt's nicht in deutscher Meister Ehr. / Drum sag ich Euch: / ehrt Eure deutschen Meister!“

 Die Handlung: Der Goldschmied Veit Pogner will seine Tochter Eva dem Sänger zur Frau geben, der beim Wettsingen den Preis erringt. Sixtus Beckmesser, Stadtschreiber von Nürnberg, Mitglied der Zunft der Meistersinger, wähnt sich bereits als sicherer Sieger, als Walther von Stolzing auftaucht, Naturmensch und junger Ritter eines aussterbenden Geschlechts.

Walther und Eva scheinen füreinander bestimmt, wäre da nicht des Vaters Bedingung. Mit Stolzing und Beckmesser stehen sich zwei gesellschaftliche Gegensätze gegenüber: hier der Naturmensch, der aus natürlicher Begabung heraus meisterlich auf ganz neue Art singt, dort der Vertreter des Establishments, der für die Einhaltung alter Regeln, für Status und für Prestige steht. Dazwischen Hans Sachs, der Strippenzieher, der dafür sorgt, dass die jungen Liebenden sich zum Schluss bekommen. maw

 
 
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