
"Oh ja!" So antwortet Alexander Steinbeis, Intendant des Kissinger Sommers, auf die Bemerkung, dass er sich als ehemaliger Direktor des Deutschen Symphonie-Orchesters (DSO) Berlin vermutlich gut auskenne mit den speziellen Anforderungen, die gelten, wenn ein großes Sinfonieorchester auf Reisen geht. Und damit, dass dabei auch einiges schiefgehen kann.
Ein paar "Beinahe-Desaster" habe er durchaus erlebt, erzählt Steinbeis. Und ein tatsächliches. Witzigerweise hat sich eine der Fast-Katastrophen in Bad Kissingen zugetragen: "Ich war ganz frisch beim DSO, und wir gastierten mit Herbert Blomstedt und einer Bruckner-Sinfonie hier. Kurz vor der Anspielprobe haben wir bemerkt, dass die Kiste mit den Trompeten fehlte. Die war nicht aus Berlin mitgekommen."
Die Kollegen in Bamberg schickten Trompeten per Taxi nach Bad Kissingen
Das Desaster konnte gerade noch abgewendet werden: Musiker sind in der Regel gut vernetzt. Einer der Trompeter konnte die Kollegen in Bamberg erreichen, die sofort einige Trompeten per Taxi nach Bad Kissingen schickten. "Zum Konzert waren die Instrumente dann da, und die Musiker haben auf fremden Trompeten und teilweise auch fremden Mundstücken gespielt."
Auf einer der letzten Reisen, die Alexander Steinbeis mit dem DSO machte, ging tatsächlich etwas gründlich schief: Nach Konzerten in Japan sollte es weiter nach Südkorea gehen, was ein Tsunami verhinderte. Alle Flüge wurden abgesagt.
Das Orchester saß einige Tage in Tokio fest, die Konzerte in Seoul fielen ersatzlos aus. "Wir sind dann gleich weitergereist nach China", erzählt der Intendant. "So etwas hat sehr schnell echte finanzielle Auswirkungen. Wenn man nicht spielt, bekommt man auch kein Honorar. Und dann kann man die Kosten auch nicht auffangen. Aber das war eben höhere Gewalt."

In aller Regel reisen Menschen und Instrumente separat. Musikerinnen und Musiker per Bus, Bahn oder Flieger, je nachdem, wo es hingeht. Die Instrumente im klimatisierten Spezial-Lkw. Oder eben auch im Flugzeug. "Wenn die Ziele weiter entfernt liegen, etwa außerhalb der EU, wird es komplexer", sagt Alexander Steinbeis. "Dann müssen Instrumente auch mal geflogen werden. Man muss ein Frachtvolumen berechnen und dieses zubuchen." Grundsätzlich gelte: Es muss immer gewährleistet sein, dass sich Temperaturschwankungen sehr in Grenzen halten.
Bekanntermaßen trennen sich Musiker und Musikerinnen meist ungern von ihren wertvollen und geliebten Instrumenten. "Mit einem Kontrabassisten braucht man da nicht zu diskutieren, das Instrument muss verladen werden", sagt Steinbeis. "Aber wenn der Konzertmeister etwa auf einer Stradivari spielt, kann es sein, dass er sie aus versicherungstechnischen Gründen gar nicht aus der Hand geben darf."
Aber man sollte möglichst konsequent bleiben, so der Intendant: "Wenn man es einer Person erlaubt, braucht man schon einen guten Grund, es der nächsten Person nicht zu erlauben."
Außerdem würden die Instrumente ja nicht einfach so losgeschickt. "Es gibt in den großen Orchestern Spezialisten, die die Instrumente begleiten, die bei der Abfertigung dabei sind, die die Zollformalitäten erledigen."
Apropos Zoll: Je nach Erdteil und Land kann es gerne auch ein bisschen länger dauern, bis die Instrumente freigegeben werden. "Wenn das Orchester nach Südamerika reist, ist es durchaus möglich, dass der Zoll ein bisschen bare Münze sehen möchte. Das ist natürlich immer inoffiziell." Angesichts von solcherlei Hindernissen arbeiten viele Orchester ohnehin mit Dienstleistern zusammen, sagt Steinbeis: "Es gibt Reisebüros, die sich nur darauf spezialisieren, Instrumenten-Cargo zu machen."
Was ist mit den Musikern, die am liebsten immer im eigenen Bett schlafen?
Nun gibt es sicher auch Menschen, die zwar begnadete Musikerinnen oder Musiker sind, aber höchst ungern reisen. Anders gesagt: Die am liebsten jede Nacht im eigenen Bett schlafen. Orchester wie die Bamberger Symphoniker oder die Kammerphilharmonie Bremen reisen aber sehr viel. "Es gehört grundsätzlich zu diesem Beruf dazu, unterwegs zu sein", sagt Steinbeis. "Das weiß man auch, wenn man ein Probespiel macht."

Natürlich gebe es klar definierte Gründe, etwa gesundheitlicher Art, dass jemand nicht mitkommen könne oder müsse. "Aber wenn jemand fehlt, muss er oder sie mit einer Aushilfe ersetzt werden. Das kostet erstens zusätzliches Geld, und zweitens klingt mit jedem Ersatz das Orchester weniger nach sich selbst."
Reisemuffel sind auch Alexander Steinbeis in seiner Zeit als Orchesterdirektor untergekommen: "Selbstverständlich. Man hat da schon seine Spezialisten. Das sind diejenigen, die sich am Tag vor der Abreise nach Asien krankmelden. Da kann man dann nur noch wenig tun."
Längst haben Management und Orchestervertretung Hotel-Standards ausgehandelt
Vor billigen Absteigen muss übrigens niemand Angst haben. In den großen Kulturorchestern haben Management und Orchestervertretung, Vorstand genannt, längst Hotel-Mindeststandards vereinbart. Beim DSO etwa, so berichtet Steinbeis, sind vier Sterne das Minimum.
Wenn ein Sinfonieorchester auf Reisen geht, sind das schnell 70, 80 oder mehr Personen, jede von ihnen mit Anrecht auf ein eigenes Zimmer. Wie und wo kommen die denn in Bad Kissingen unter, vor allem dann, wenn sich die Aufenthalte überschneiden?
"Im Hotel Frankenland", sagt Alexander Steinbeis. "Die haben einige hundert Zimmer. Wir hatten gerade eine Nacht, bei der Tschechische Philharmonie und Wiener Symphoniker gleichzeitig dort waren. Das waren locker über 200 Zimmer – überhaupt kein Problem."
Letztes Wochenende des Kissinger Sommers 2022: Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Ruth Reinhardt. Solist: Daniil Trifonov, Klavier (16. Juli, 19.30 Uhr). Bamberger Symphoniker unter der Leitung von Krzyzstof Urbański. Solist: Jan Lisiecki (17. Juli, 19.30 Uhr). Karten: www.kissingersommer.de, Tel. (09 71) 8048-444 oder an der Abendkasse.