
Ja, wir haben ein bisschen hochgestapelt, als wir Autorinnen und Autoren in der Region anschrieben und behaupteten: „Wir erfinden den Fortsetzungsroman neu!“ Und als wir sie baten, je eine Folge zu unserem Sommerprojekt beizusteuern: ein Roman, in dem jedes Kapitel von jemand anders geschrieben wird. Hochgestapelt, weil die Idee natürlich nicht ganz neu ist und schon anderswo und schon vor vielen Jahrzehnten von berühmten Schriftstellern Fortsetzungsromane geschrieben wurden.
Aber immerhin, ein bisschen würde diese literarische Erfindung – zumindest für Mainfranken – schon neu sein. Also los!
Sechs Folgen, sechs Samstage lang: immer ein anderer Autor, Gattung, Handlung, Ausgang völlig offen. Es hätte ein Krimi werden dürfen, eine Spukgeschichte, ein Liebesroman, eine Komödie, ein Familiendrama . . . Einzige Vorgabe: Mainfranken muss vorkommen. Und Sommer. Die Schwierigkeit für die Autoren würde werden: Sie könnten erst schreiben, wenn die vorangegangene Folge fertig wäre – hätten also nur wenige Tage Zeit, denn der Roman sollte während der großen Ferien entstehen.
Corina Kölln, Johannes Jung, Ulrike Schäfer, Hanns Peter Zwißler, Lothar Reichel und Ulrike Sosnitza sagten aller erwartbaren Widrigkeiten zum Trotz zu. Und so konnte am 3. August der Sommerroman beginnen . . .
Corina Kölln schrieb die erste Folge – und durfte damit auch Titel und Protagonisten vorgeben. An diesem Samstag nun geht sie zu Ende, die Geschichte „Für immer Elisa“. Zum Finale wollten wir von allen Autoren wissen: Was waren für sie die Überraschungen? Die Tücken? Corina Kölln und Lothar Reichel, die Autoren von Folge 1 und Folge 5, konnten beim Gespräch – kurzfristig verhindert beziehungsweise langfristig verreist – nicht dabei sein. Ulrike Schäfer, Ulrika Sosnitza, Johannes Jung und Hanns Peter Zwißler erzählen, wie es ihnen beim Schreiben erging.
Frage: Herr Jung, Sie waren zuständig für die erste Fortsetzung, für Folge 2. Was war das Schwerste?
Johannes Jung: Der relativ enge Zeitrahmen. Der hat mich am Anfang ein wenig erschreckt. Vor allem eine Vorlage zu bekommen, die meinem Stil nicht unbedingt entspricht und die ich in andere Gleise lenken wollte. Ich kann das schon schnell machen. Aber ein bisschen hat es mich schon in Unruhe versetzt.
Sie schreiben normalerweise mit Muße und ohne Zeitdruck?
Jung: Na ja, es geht so anfallsartig. Ich schreibe schon ziemlich schnell, wenn ich muss.
Und jetzt, wann und wie lange haben Sie geschrieben?
Jung: Ungefähr 72 Stunden habe ich gebraucht. Was passt so halbwegs, was ist plausibel für mich? Ich habe verschiedene Handlungsstränge entwickelt und dann einen herausgesucht, ein, zwei Mal auch noch Sachen verworfen. Das Schwierige war, den relativ Chronisten-artigen Anfang, der sehr distanziert berichtet – das ist passiert, das ist passiert, dann ist das passiert – in direkte Aktion umzusetzen. Das stilistische „Umbiegen“ war die Schwierigkeit. Und dann war die Vorgabe hoch: Sommerroman! Nicht einfach eine Sommerkurzgeschichte, wo man vieles nur andeuten kann. Aber das ist eben meine persönliche Art, dass ich lieber das kleine Zeug schreibe.
72 Stunden??
Jung: 72 Stunden nachgedacht. Geschrieben dann eher in 72 Minuten.
Frau Schäfer, als Autorin Nummer 3. Was war für Sie das Schwierigste?
Ulrike Schäfer: Der super Cliffhanger! Geht Werner aufs Güterschiff oder nicht? Mir war klar, wenn ich ihn nicht aufs Schiff bringe, sind ungefähr 125 Prozent der Leser enttäuscht. Aber ich habe ja überhaupt keine Ahnung. Ich musste erst einmal das Wort „Gütermotorschiff“ googeln, um sicher zu sein, dass es das meint, an was ich denke. Also hieß das: Recherche. Gerhard Kuhn und meine Informanten vom Schifferverein Mittelmain waren wirklich klasse, die haben unglaublich schnell geholfen. Gerhard Kuhn hat mit mir sogar vom Schiff Richtung Bonn aus noch telefoniert.
Herr Jung, waren Sie auch froh, dass Werner das Schiff doch bestieg?
Jung: Mir war das eigentlich egal. Ich wollte bewusst mit einer Entscheidungssituation enden. Für mich war klasse, dass ich wusste: Ulrike Schäfer kommt danach, die macht aus allem was. Das wird auf jeden Fall eine gute Folge.
Schäfer: Manches war auch überraschend leicht. Dass man sich so einfinden kann in eine Geschichte, die man selber nicht geschrieben hätte. Dass man sich nach dem ersten Befremden mit fremdem Stoff völlig auf die Figur einlassen kann. Das hat mich positiv überrascht.
Herr Zwißler, Werner wurde also Binnenschiffer und fuhr drei Jahre über die Flüsse auf der Suche nach Elisa. Was war das Schwerste?
Hanns Peter Zwissler: Ich habe schon Zeitprobleme erwartet. Nicht vom reinen Schreiben, sondern vom Nachdenken her. Ich überarbeite in der Regel sehr viel. Ich lasse Dinge liegen und gehe später wieder drüber. Doch es ging dann viel leichter als gedacht. Ich hab früh angefangen und nach den ersten beiden Folgen schon über Motive und verschiedene Möglichkeiten nachgedacht. Ich kannte die Rohversion von Folge drei, mit Schweinfurt als Cliffhanger. Wenn Ulrike Schäfer mir die Idee mit Schweinfurt dann doch wieder geraubt hätte, hätte ich die Hälfte wieder streichen müssen.
Frau Schäfer, Sie haben dem Schweinfurter Zwißler den Ort Schweinfurt serviert?
Schäfer: Ja. Ich fand es schön, dass Schweinfurt vorkommt. Also dachte ich, stelle ich das Zelt des Zirkus Janko mal da hin.
Zwissler: Ich habe inzwischen schon ein paar Romane geschrieben. Wenn ich da hinsitzen und warten würde, bis mir etwas einfällt, wäre kein einziger fertig geworden. Es gibt einen schönen Gedanken von Jurek Becker, sinngemäß: Schreiben bedeutet, alle Skrupel zu überwinden zugunsten eines Satzes. Wenn man diesen einen Satz, diesen Gedanken eingefangen hat, kann man daran arbeiten.
Wie ist das dann: Sie setzen sich an den Schreibtisch und fangen Sätze? Oder kommen die beim Spazieren, Bügeln, Zähneputzen?
Ulrike Sosnitza: Man kann sein Gehirn konditionieren, dass es lernt: Wenn man am Schreibtisch sitzt, fällt einem etwas ein.
Zwissler: Und wichtig ist Kontinuität. Dass man seine Arbeitszeiten hat.
Haben Sie die? Wann arbeiten Sie?
Sosnitza: Von morgens um acht bis mittags um eins. Wenn ich später dann noch Zeit habe, setze ich mich noch mal dran. Aber fix und unumstößlich ist von acht bis eins, möglichst auch am Wochenende. Wenn es Pausen gibt, vergisst man alles und gerät aus der Geschichte. Was ich am meisten gelernt habe über das ganze Schreiben hinweg: Darauf zu vertrauen, dass einem etwas einfällt. Und es fällt einem immer etwas ein.
Frau Schäfer? Auch „Bürozeiten“? Vielleicht Rituale?
Schäfer: Ja, und möglichst auch vormittags. Bei manchen Geschichten und Stücken war es Musik, die mich reinbrachte. Es ging darum, in einen bestimmten Swing zu kommen.
Apropos Swing. Frau Sosnitza, Sie mussten – oder durften – das Schlusskapitel schreiben. Was war das Schwerste?
Sosnitza: Beim Lesen schon der ersten Folge springt ja sofort das eigene Kopfkino an. Und Folge zwei mit der Flussschifffahrt – ich war gerade beim Segeln und dachte: super! Da weiß ich, was ich Schreiben kann. Im Prinzip hat ja jeder von uns eine Kurzgeschichte geschrieben, wie Werner auf der Suche nach seiner Elisa ist. Und völlig klar: Bei mir wird sie dann gefunden. Das Schwierige war dann, davon Abschied zu nehmen . . .
Lothar Reichel hat's Ihnen wirklich schwer gemacht. Elisa vom Seil gestürzt, tot, Schluss, aus. Sehr final, diese Folge 5.
Sosnitza: Da habe ich erst einmal ein bisschen geflucht. Ich hatte die Vorstellung, dass Elisa mit einem Flusskreuzfahrtschiff nach Würzburg kommt. Jetzt kommt eben ihre Tochter . . .
Und Sie greifen alles noch einmal auf und binden viele Bezüge der Kapitel zusammen.
Sosnitza: Die erste Folge ist sechs Wochen her. Das ist anders als in einem Roman, in dem der Leser konzentriert liest oder einfach blättern kann, wenn er was vergessen hat. Anders als im Roman musste ich erklärende Sätze beifügen. Das fiel mir sehr schwer, weil ich das eigentlich überhaupt nicht mag, wenn viel erklärt wird, das finde ich langweilig.
Jung: Sehr schwierig waren die beiden Zeitebenen, aus denen wir ja nicht herausgekommen sind. Jetztzeit und Vergangenheit, 2019 und 1956 beziehungsweise dann 1959. Hyperkomplex.
Schäfer: Deswegen sind die beiden „Schlüsse“, in Folge 5 und 6, gut. In der vorletzten Folge löst sich die Vergangenheit und ist beendet. Im Finale hat dann die Gegenwart einen eigenen Clou.
Sosnitza: Ich persönlich mag es, wenn Geschichten rund abgeschlossen werden. Wenn am Schluss noch mal auf den Anfang Bezug genommen wird und man alles zusammenspannt.
Jedes Kapitel hat seinen eigenen Ton, hat durch jede/n von Ihnen einen eigenen Charakter bekommen. Wie schwer war es stilistisch?
Schäfer: Für mich war befreiend, als mir klar wurde: Es ist ja immer eine Woche dazwischen. Der Leser liest nicht am Stück. Ich habe überlegt, ob ich den ironischen Ton von Johannes Jung, den ich sehr mag, weiterführe. Aber, das wäre ein Krampf geworden.
Sosnitza: Erstaunlich fand ich, dass ich in den Schluss dann doch lauter Themen packen konnte, über die ich sonst auch schreibe. Frauen, die Mutter werden. Denn die einzige Frage, die am Ende noch offen war, war ja: Gab es jetzt ein Kind von Elisa und Werner?
Man könnte kritisch sagen: Es ist eine Erzählung, die nicht so recht weiß, was sie sein will. Actiongeschichte, Familiendrama, eine Geschichte über das Altwerden . . .
Schäfer: . . . und etwas Mystery in Folge 5 mit der Erscheinung der jungen Frau . . .
Jung: Das ist ja die Stärke des Ganzen, dass es ein Mosaik ergibt.
Apropos Herr Jung, kurzer Einschub. Sie sind hauptberuflich als Professor an der Universität. Wann sind eigentlich Ihre Schreib-Zeiten?
Jung: Es gibt keine regulären. Manchmal überkommt es mich nachts, dann wackle ich wie ein Literaturzombie zum Schreibtisch. Im Licht des frühen Morgens entwickelt sich das Geschriebene dann meist zum gewaltigen Schwachsinn. Manchmal sind aber ordentliche Geschichten dabei. Und nebenher? Das geht am ehesten noch auf Konferenzen, da habe ich einen sekundären Schreibgewinn. Ich tippe die ganze Zeit, stelle mal nach einer Stunde eine Frage zu Folie zwölf – und alle Kollegen denken, der Jung schreibt eifrig mit.
Zwissler: Zum Stichwort Mosaik. Das Ganze bleibt ja ein bisschen fragmentarisch. Wer ist diese Eva vom Anfang? Sie ist ja relativ prominent in der ersten Folge. Mich haben Leser angesprochen: Mensch, über die müsste unbedingt noch weitererzählt werden, was passiert eigentlich mit der?
Schäfer: Das ist eine Schwierigkeit: Was macht man mit den vielen Figuren? Ich habe schon überlegt: Kann ich es mir jetzt leisten, dass Werner und Elisa sich in meiner Folge noch nicht wieder begegnen? Okay, vielleicht ist es kurz vor der Hälfte sogar gut? Man muss die Dramaturgie insgesamt im Blick haben.
Jung: Das war ein starkes Moment. Dass es hochdramatisch anfängt mit der ersten Liebe, dann etwas ironischer wird, in Folge 3 sehr detailliert ist und ruhiger wird – und dann mit dem fast Wieder-Finden eine Beschleunigung erfährt. Diese Choreografie hat mir wirklich gut gefallen. Den Schluss habe ich mir schon auch überlegt. Ob sich Werner und Elisa tatsächlich wirklich wiedersehen? Mir wäre es zu kitschig gewesen. Die sind sich doch fremd nach 60 Jahren, das kann nur eine Riesenenttäuschung sein. Sie muss sterben, wie bei Romeo und Julia.
Zwissler: Sonst ist es wie bei Rosamunde Pilcher: Eineinhalb Stunden streiten und sich entzweien – und dann genügt ein Wort, sie fallen sich in die Arme und die Lösung ist da. Zusammenzufinden nach dem Entfernen, das braucht Zeit, psychologisch Zeit. Insofern halte ich es nicht für möglich, die zwei zusammenzubringen am Ende.
Sosnitza: Ich muss eine Lanze für Rosamunde Pilcher und den Liebesroman brechen! Das kann man schon machen. Die Frage ist ja, was passiert, wenn sie sich begegnen? Sie müssen sich ja nicht als Liebespaar um den Hals fallen. Es wäre auf jeden Fall interessant. Im Alter der Jugendliebe wiederzubegegnen, das ist doch spannend. Da kann man ganz viel draus machen. Die Lösung, die man doch als Leser haben will, ist, dass sie sich in der Gegenwart wiedersehen, nach 60 Jahren.
Schäfer: Das ist schon ein Aspekt: Inwieweit stellt man sich in den Dienst der Geschichte? Ich schreibe sonst nie Liebesromane. Aber hier tue ich das Meine dazu, eben auf meine Art.
Jung: Ich habe auch nichts gegen Liebesromane. Ich finde Liebe super, hat sich bewährt.
