Zugegeben, wir haben ein bisschen hochgestapelt, als wir einige Autorinnen und Autoren in der Region anschrieben und behaupteten: "Wir erfinden den Fortsetzungsroman neu!" Und als wir sie baten, je eine Folge zu unserem Sommerprojekt beizusteuern: ein Roman, in dem jedes Kapitel von jemand anders geschrieben wird.
Hochgestapelt, weil die Idee natürlich nicht ganz neu ist, wie zwei der angeschriebenen Autoren denn auch sehr richtig bemerkten. Da gibt es einmal "Die letzte Fahrt des Admirals" (bei rororo, im Original "The Floating Admiral"), erstmals erschienen 1931, von Agatha Christie, Anthony Berkeley, Cecil Street, Clemence Dane, Dorothy L. Sayers, Freeman Wills Crofts, G. K. Chesterton, George Douglas Howard Cole, Henry Wade und Ronald Knox. Alles renommierte Autoren.
Reinhard Mey: "Der Mörder ist immer der Gärtner"
Die Ausgangssituation des Gemeinschaftswerks: Admiral Penistone war im Hause des Vikars zum Essen eingeladen. Von dort hatte er in seinem Boot den Heimweg angetreten. Doch gefunden wurde seine Leiche später im herrenlos treibenden Boot des Vikars...
Die 1920er und 1930er Jahre waren die goldene Zeit des britischen Kriminalromans, der viele spätere Autorinnen und Autoren beeinflusste. Fast immer ging es darum, einen Mord aufzuklären. Typisch waren wiederkehrende Motive und Schauplätze, etwa der Landsitz, auf dem eine Jagdgesellschaft zusammenkam. Oder möglichst kunstvoll gelegte falsche Fährten, bis der tatsächliche Mörder überführt wurde. Reinhard Mey hat die englischen Krimi-Klischees sehr schön in ein Lied gepackt: "Der Mörder ist immer der Gärtner".
Die Autoren von "Die letzte Fahrt des Admirals" waren Mitglieder im 1930 gegründeten "Detection Club". Ihm gehörten ausschließlich Krimiautoren an, einführt in einem elaborierten Initiationsritual und per Eid gebunden, die sich regelmäßig zu Diners trafen, um über schriftstellerische Probleme zu diskutieren.
Sie verfassten übrigens mehrere Gemeinschaftswerke, bei denen es eine besondere Regel gab: Jeder musste einen versiegelten Umschlag mit einer möglichen Auflösung beifügen. Das sollte verhindern, dass jemand in "seiner" Folge willkürlich neue Handlungsstränge und Personen einführte, die es seinen Folgeautoren unmöglich machten, ein plausibles Ende zu schreiben.
Zehn Gebote für den guten Detektivroman
Die Mitglieder des Detection Club verpflichteten sich auch, "Knox's Ten Commandments" zu respektieren, also zehn Gebote, die das Mitglied Ronald Knox, katholischer Priester und Autor von Detektivromanen, formuliert hatte. So durfte etwa der Ermittler nie gleichzeitig der Täter sein. Es durften keine übernatürlichen Geschehnisse stattfinden; der Täter musste schon früh auftauchen und durfte nicht erst kurz vor Schluss aus dem Hut gezaubert werden. Und (besonders wichtig): Es war nur ein geheimer Gang oder Raum erlaubt.
Sozusagen das irische Gegenstück entstand 70 Jahre später: Roddy Doyle, Frank McCourt, Marian Keyes, Anthony Cronin, Hugo Hamilton und zehn weitere irische Autoren schrieben gemeinsam den "sehr irischen Roman" (Untertitel) "Yeats ist tot!" (deutsche Ausgabe bei List) Aus dem Werbetext: "Rätseln Sie mit den Autoren, was sich hinter der geheimnisvollen Gleichung Y8S = +! verbergen könnte."
Eine Reise ins Ungewisse – für die Leserschaft wie für die Autoren
Ob in unserem Roman ein Admiral zu Tode kommt oder eine geheimnisvolle Gleichung gelöst werden muss, weiß noch niemand. Die Redaktion hat auch keine Gebote formuliert, sondern bewusst offen gelassen, ob es ein Krimi, ein Liebesroman, eine Familiensaga oder eine Komödie wird. Vorgegeben waren nur Schauplatz und Jahreszeit: Mainfranken und Sommer.
Theoretisch hat jede Autorin, jeder Autor dennoch die Möglichkeit, das Ganze in eine komplett andere Richtung zu drehen. Es ist eine Reise ins Ungewisse. Für die Leserschaft wie für die Schöpferinnen und Schöpfer. Sechs Autorinnen und Autoren haben zugesagt, sie alle pflegen unterschiedliche Stile, widmen sich unterschiedlichen Sujets, vom Krimi bis zum Familienepos, von der Beziehungsgeschichte bis zum historischen Roman – es wird mit Sicherheit höchst spannend zu erleben, wie sich aus so viel Vielfalt und Individualität eine gemeinsame Geschichte entwickelt.
Sobald eine Folge fertig ist, wird sie eine Station weitergereicht, niemand weiß, was er bekommt, niemand weiß, was aus dem wird, was er geschrieben hat. Vielleicht entpuppt sich der Held zum Schluss als Schurke? Oder umgekehrt? Vielleicht stellt sich, was tragisch begann, als Glücksfall heraus? Vielleicht fügt sich am Ende eines langen Lebens doch noch alles zum Guten?
Sechs Autorinnen und Autoren haben zugesagt, den Auftakt macht an diesem Samstag, 3. August, Corina Kölln, an den folgenden Samstagen spinnen Johannes Jung, Ulrike Schäfer, Hanns Peter Zwißler und Lothar Reichel den Handlungsfaden weiter. Ulrike Sosnitza wird dann am 7. September das Happy End oder das tragische Finale oder den offenen Schluss beisteuern.