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Würzburg
Der Mann, der die Alte Musik nach Würzburg holte: Am 4. Juli wäre Josef Ulsamer 100 Jahre alt geworden
Josef Ulsamer etablierte in Würzburg den ersten Studiengang für Historische Instrumente und schuf damit die erste Ausbildungsstätte für Alte Musik in Deutschland überhaupt.
Josef Ulsamer, Pionier der Historischen Aufführungspraxis, an einer Tenorfidel in den 1970er Jahren.
Foto: Claudia Ulsamer | Josef Ulsamer, Pionier der Historischen Aufführungspraxis, an einer Tenorfidel in den 1970er Jahren.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 31.07.2023 03:45 Uhr

Er gehörte zu den ersten Musikern, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg ganz der Alten Musik verschrieben: Josef Ulsamer etablierte in Würzburg den ersten Studiengang für Historische Instrumente und schuf damit die erste Ausbildungsstätte für Alte Musik in Deutschland überhaupt. Am 4. Juli wäre er 100 Jahre alt geworden.

Josef Ulsamer (1923-2005) wurde in Nürnberg geboren und lernte zunächst Cello. Direkt nach dem Abitur musste er als Soldat im Zweiten Weltkrieg an die Ostfront. Unter dem Eindruck des dort Erlebten studierte er zunächst Theologie. "Bald aber zog mich die Musik wieder ganz in ihren Bann", schrieb er einmal. Es war vor allem die Alte Musik, die ihn faszinierte. Er stieg vom Cello auf die Gambe um, und da es damals keine Instrumente zu kaufen gab, baute er sie selbst oder ließ sie nach seinen Anweisungen bauen.

Pioniere der Alten Musik: das Ulsamer-Collegium. Von links: Sebastian Kelber, Elza Ulsamer, Josef Ulsamer, Dieter Kirsch.
Foto: Archiv Dieter Kirsch | Pioniere der Alten Musik: das Ulsamer-Collegium. Von links: Sebastian Kelber, Elza Ulsamer, Josef Ulsamer, Dieter Kirsch.

Anfangs, zu Beginn der 1950er Jahre, wurden Menschen, die sich für Werke außerhalb des barocken oder klassischen Kanons interessierten, vom etablierten Klassikbetrieb eher belächelt. Zu schräg klangen all die sonderbaren, vorsintflutlichen Instrumente, zu ungewohnt die Stücke.

Die Pioniere galten jugendbewegte Autodidakten oder aber als forschungswütige Sonderlinge

Zudem galten sie manchen entweder als jugendbewegte Autodidakten oder aber als forschungswütige Sonderlinge, die aus akademischer Sturheit heraus die romantischen Klangwolken verweigerten, mit denen damals sogar Händel, Bach und Mozart interpretiert wurden. Aber aus belächelten Pionieren wurden bald Experten, die innerhalb weniger Jahrzehnte die gesamte Wahrnehmung der klassischen Musik für immer veränderten.

Die neue Richtung hieß zunächst "historische Aufführungspraxis", wurde mitunter als "historisierend" abgetan und ist heute als "historisch informierte Aufführungspraxis" so sehr zum Standard geworden, dass selbst die spätromantischen Werke von Richard Wagner oder Gustav Mahler anders gespielt werden als zuvor. Das Anliegen: Allen Werken im Kontext ihrer Entstehungszeit möglichst gerecht werden.

Selbst ihre Goldene Hochzeit im Jahr 2002 feierten die Ulsamers mit Instrumenten in der Hand.
Foto: Archivfoto Stark | Selbst ihre Goldene Hochzeit im Jahr 2002 feierten die Ulsamers mit Instrumenten in der Hand.

Aber die Anfänge waren schwer. Unterricht war kaum zu bekommen, es gab einen Lehrer in Basel, aber als Deutscher war es so kurz nach dem Krieg kaum möglich, ins Ausland zu gehen, hat Ulsamer einmal in einem Interview erzählt. Glücklicherweise lernte er bald die belgische Cembalistin Elza van der Ven kennen (1921-2012), die in Salzburg Gambe studierte und ihm einiges zeigen konnte. 1952 heirateten die beiden und beschlossen, fortan nur noch gemeinsam zu konzertieren. Und es gab eine weitere Hürde, so Josef Ulsamer: "Da gab es keine Noten, die mussten wir selber in Bibliotheken suchen und abschreiben – das war damals sehr schwierig."

Das Ensemble setzte Maßstäbe in Sachen Forschung, Repertoire und Vielseitigkeit

Seit 1949 war Josef Ulsamer, von seinen Freunden Pepi genannt, Aufnahmeleiter beim Bayerischen Rundfunk, hinzu kamen eine intensive Konzert- und Kurstätigkeit auf internationaler Ebene und erste Schalplattenpreise. 1967 erhielt Ulsamer schließlich einen Ruf an das damalige Staatskonservatorium für Musik in Würzburg, heute Hochschule für Musik. Hier richtete er den ersten Studiengang Historische Musikinstrumente ein und machte damit Würzburg zur ersten Ausbildungsstätte für Alte Musik in Deutschland überhaupt.

Von hier aus unternahm das Ulsamer-Collegium seine Konzertreisen in nahezu die ganze Welt. Das Ensemble gewann einen Plattenpreis nach dem anderen und setzte Maßstäbe in Sachen Forschung, Repertoire und Vielseitigkeit. Alle Mitglieder beherrschten mehrere Instrumente, in den Konzerte standen bis zu 40 auf der Bühne.

Dieter Kirsch war von 1995 bis 2003 Präsident der Würzburger Musikhochschule, vor allem aber viele Jahre Lautenist im Ulsamer-Collegium.
Foto: Mathias Wiedemann | Dieter Kirsch war von 1995 bis 2003 Präsident der Würzburger Musikhochschule, vor allem aber viele Jahre Lautenist im Ulsamer-Collegium.

"Anfangs ging es vor allem darum, Literatur bis zurück in die Zeit des Minnegesangs zu erschließen und bekannt zu machen. Aber bald kam eine gewisse Professionalisierung hinzu. Es gibt Musik, etwa vom Ende des 16. Jahrhunderts, mit rasend schnellen Melodien, das erfordert echtes Virtuosentum", erzählt Prof. Dieter Kirsch. Kirsch, 82, war viele Jahre Lautenist im Ulsamer-Collegium. Wie die Ulsamers unterrichtete er an der Würzburger Hochschule, deren Präsident er von 1995 bis 2003 war.

Die Hochschule konnte sich nicht entschließen, Alte Musik als Hauptrichtung zu definieren

Während bald Originalklang-Ensembles überall "wie Pilze aus dem Boden schossen" (Kirsch), galt Würzburg als Kompetenzzentrum, wenn auch die Hochschule als Ganzes sich nicht entschließen konnte, diese Richtung als Hauptrichtung zu definieren. Anders als etwa die Scuola Cantorum Basiliensis, die seit 1999 als Hochschule für Alte Musik firmiert. "Leider ist es nicht gelungen, die Stellen im Bereich Alte Musik aufzustocken", erzählt Dieter Kirsch. "Wir hatten alle Mühe, den Bestand zu halten."

Wie modern Josef Ulsamer im Gegensatz zu manchen Originalklang-Fundamentalisten dachte, zeigt ein weiteres Zitat aus einem Interview: "Die historische Spielweise kann man ja gar nicht rekonstruieren. Wenn jemand behauptet: So klang das, das stimmt einfach nicht. Ein Barockgeiger heute geht ganz anders an seine Geige heran, hat ein anderes Publikum – authentisch kann das alles nicht sein."

 
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