Frage: Mit welchen Schwierigkeiten hatten Sie in der Anfangsphase der historischen Aufführungspraxis Alter Musik vor allem zu kämpfen?
Josef Ulsamer: Am Anfang waren wir richtige Pioniere. Dem Publikum waren Musik, Instrumente und Spielweise weitgehend fremd. Da gab es kaum Noten zu kaufen, die musste ich selber in Bibliotheken suchen und abschreiben. Das ganze Instrumentarium - Streich-, Blas-, Zupf- und Schlaginstrumente, die man in den 50er Jahren nicht einfach kaufen konnte - ließ ich mir nach Originalen und eigenen Plänen bauen. Ich habe mit vielen Instrumentenbauern zusammengearbeitet, mit Otto Steinkopf zum Beispiel oder mit einigen sehr guten Streichinstrumentenbauern und Bogenmachern in Bubenreuth. Meine Gambe, mit der ich gereist und aufgetreten bin, habe ich mit einem Freund zusammen selbst gebaut. Allmählich konnte man die Instrumente und die Noten immer mehr auch kaufen. Der Weg begann in der mühsamen, mageren, aber hochinteressanten und spannenden Pionierzeit - eigentlich der schönsten Zeit - und wurde dann von Jahr zu Jahr leichter - ein schmaler Pfad, der allmählich immer breiter wurde.
Wie sehen Sie als Pionier die Entwicklung der Alten Musik?
Ulsamer: Das ist ein Kapitel für sich. Ich konnte die Entwicklung der "Szene" von den 50er Jahren an verfolgen. Und seitdem habe ich eine Reihe von richtigen Modewellen in der Alte-Musik-Welt erlebt. Nun, bei diesen Wellen ist es ja immer so, dass man einerseits daraus lernen kann, weil immer wieder etwas Neues entdeckt und erforscht wird - andererseits bin ich nie in diesen Wellen kritiklos mitgeschwommen. Was mir so mancher Kollege übelgenommen hat. Mein Grundsatz ist: Versuche zu lernen und bleibe kritisch.
Wie beurteilen Sie den heutigen Stand der Alte-Musik-Szene? Sehen Sie Fehlentwicklungen?
Ulsamer: Was mich schon immer störte und auch jetzt noch stört, ist, dass alle, die sich so voll in die Modewelle stürzen, ganz sicher behaupten: So muss es sein und nicht anders - eine völlige Ausschließlichkeit und Intoleranz. Und drei Jahre später spielen sie dann alles ganz anders - wieder mit dem selben Ausschließlichkeits-Anspruch. Aber nach der ersten Phase strengster Auslegung lockert sich das jetzt in der Szene wieder. Man spielt Arrangements, manches klingt etwas modern aufgepeppt. Ich möchte niemanden kritisieren; ich finde einfach: Wenn jemand etwas gut spielt, dann ist es gut - egal auf welchem Instrument und ob Neue oder Alte Musik - und wenn jemand schlecht spielt, dann ist es eben schlecht, und wenn es noch so "historisch richtig" ist. Diese Einstellung machte mich immer etwas zum Außenseiter.
Weiß man denn, wie es historisch korrekt klingen sollte?
Ulsamer: Die historische Spielweise kann man nicht rekonstruieren. Wenn jemand behauptet: So klang das damals, dann stimmt das einfach nicht. Ein Barockgeiger heute geht ganz anders an seine Geige heran als ein Musiker der Barockzeit. Er hat eine andere Klangvorstellung, eine andere Ausbildung, lebt in einer anderen Umwelt und spielt vor einem anderen Publikum. Man hört heute ja mit ganz anderen Ohren, ist gewöhnt an perfekte Aufnahmen auf CD und umgeben von all dem Lärm der Autos und Flugzeuge und so weiter.
Durch das Überangebot an Alter Musik ist es jetzt so, dass anscheinend alles gespielt wird, nur weil es alt ist. Aber auch in früheren Zeiten gab es gute Musik und schlechte Musik, Renaissance-Routine und Barock-Routine, und manches ist sicher zu Recht vergessen. Ich habe mir immer die Stücke ausgesucht, die meines Erachtens gut waren. Ich meine, es gibt keine "Fehlentwicklungen" in der Geschichte - die Dinge entwickeln sich eben und es ist nicht Sache des Historikers, zu sagen: Das ist eine Fehlentwicklung, wenn er auch persönlich die Entwicklung bedauert. Kritisieren möchte ich nur: Wenn man den wie Pilze aus dem Boden geschossenen Barockorchestern zuhört - und darunter gibt es ja ganz tolle Ensembles - dann stelle ich fest, dass sie oft sehr hart und schroff spielen und die schnellen Sätze in einem Tempo. Das kann damals nicht so gewesen sein. Heute wird oft in einem derartig artistischen Tempo gespielt - das ist keine Interpretation mehr, sondern eine Zirkusnummer. Und alle müssten wissen: Das stimmt historisch nicht. Man müsste wieder zurückfinden zur Wiedergabe dessen, was der Komponist eigentlich wollte.
Wie verbringen Sie Ihren Ruhestand? Geben Sie noch Konzerte?
Ulsamer: Wir machen öffentlich schon seit einigen Jahren keine Musik mehr. Das ist einfach zu strapaziös. Jetzt sind wir - meine Frau und ich - 80, da hat man das Recht, sich aus dem aktiven Musikleben zurückzuziehen. Was wir bis vor zehn Jahren gemacht haben, all die Reisen mit den vielen Instrumenten - das war einfach schon physisch so anstrengend, dass man es in einem gewissen Alter nicht mehr machen möchte. Aber die Musik spielt natürlich noch immer eine zentrale Rolle in unserem Leben.