
Eigentlich schade, dass die wunderbare Musik von Johann Strauss Sohn, seiner Familie und seinen Konkurrenten praktisch nur in Neujahrskonzerten zu hören ist. So viel Melodie, so viel Schwung, so viel Seele. Immerhin: Das Neujahrskonzert des Philharmonischen Orchesters Würzburg war beziehungsweise ist dreimal zu hören, am 1., 2. und 3. Januar in der Blauen Halle in der Dürrbachau.
Also dreimal Walzer, Polka und Quadrille. In der ersten Ausgabe an Neujahr wackelte im deutlich mit Aushilfen verstärkten Orchester noch hin und wieder ein Übergang, was den Gesamteindruck aber nicht weiter störte: Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Enrico Calesso wurde griffig und begeistert musiziert.
Diese Musik gehört zum Schwersten, was die Literatur hergibt
Was man nicht vergessen darf: Die Musik von Johann Strauss Vater und seinen drei Söhnen Johann (genannt Schani, heute als "Walzerkönig" weltweit verehrt), Josef (Pepi) und Eduard (Eddy) gehört eben wegen ihrer vermeintlichen Leichtigkeit zum Schwersten, was die Literatur des 19. Jahrhunderts hergibt - ständig Tempo- und Stimmungswechsel, ständig superheikle Zwischenspiele, ständig exponierte Passagen für Solisten oder ganze Gruppen.
Das kann man duftig-pastellig anlegen wie Christian Thielemann am Neujahrsmorgen mit den Wiener Philharmonikern oder eher zupackend wie Calesso dann abends in Würzburg. Dort die schiere Perfektion, hier die Freude am Miteinander und am farbigen Klang. Unterhaltsamer erschien an diesem Tag eher zweiteres.

Denn die Würzburger Philharmoniker meisterten das anspruchsvolle Programm mit hoher Konzentration und sichtlichem Spaß. Diese Musik funktioniert nur, wenn alle ständig allen anderen genau zuhören. Das war in der Blauen Halle immer wieder zu beobachten beziehungsweise zu hören: Wann immer sich eine Unschärfe zeigte, wurde sie umgehend gemeinsam behoben. Für das Publikum ein wertvoller Blick hinter die Kulissen, wenn man so will: So funktioniert Musikmachen.
Enrico Calesso legte die großen Linien fest, managte die Schnittstellen und lieferte jede Menge Energie. Er liebt diese unendlich farbige Musik, was sich auch in seinen Moderationen niederschlug. Neben Biografischem zur Familie Strauss und zu den Fehden innerhalb der damaligen Wiener Unterhaltungsbranche liegt ihm vor allem die Rehabilitation der Operette am Herzen: Das Genre gelte zwar als aussterbend, so Calesso, darüber werde aber oft vergessen, dass die Operette immer auch Ort für Gesellschaftskritik gewesen sei. So gehe es im "Zigeunerbaron" um leider sehr aktuelle Themen wie Krieg und Flucht, um Werte, Freiheit und Liebe. "Es geht um die Frage, was wir sind und was wir sein sollten", so Calesso.
Heimweh, blühende Zitronen und krachende Wetterkapriolen
Dass solch existenzielle Gedanken einem zweistündigen Konzertspaß keinerlei Abbruch tun müssen, zeigten Hits wie der Walzer "Wein, Weib und Gesang" oder die "Champagner-Polka", die Calesso zwar angekündigt hatte, dann aber beinahe vergaß zu dirigieren. Erst die diskrete – und sehr dankbar aufgenommene – Erinnerung von Konzertmeister Alexander Zeiher brachte das Publikum doch noch in den Genuss dieses musikalischen Scherzes inklusive knallender Korken.
Es gab viel zu schmunzeln, zu staunen, mitzufühlen und zu träumen. Heimweh in "Aus der Ferne", Italienliebe in "Wo die Citronen blüh'n" oder krachende Wetterkapriolen in "Unter Blitz und Donner". Die witzigen und brillanten Einwürfe nebst Szenenapplaus im "Carneval in Venedig" und schließlich – vorschriftsmäßig als Zugabe – die sonnendurchflutete Flusslandschaft der "Schönen blauen Donau".
Das Publikum applaudierte und jubelte stehend und begab sich schließlich ein wenig widerstrebend, aber wenigstens mit dem Schwung des "Radetzkymarschs" im Rücken zurück in die Nasskälte des unterfränkischen Winters.
Weitere Termine: 2. und 3. Januar, 19.30 Uhr, Blaue Halle. Karten: Tel. (0931) 3908-124, karten@mainfrankentheater.de