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Würzburg
Nicht nur Kompetenzzentrum für konkrete Kunst: Was der neue Chef im Würzburger Kulturspeicher vorhat
Marcus Andrew Hurttig ist seit 1. März Leiter des Museums im Kulturspeicher Würzburg. Im Interview sagt er, wie er das Haus umgestalten und neu ausrichten will.
Marcus Andrew Hurttig: 'Die Stadtgesellschaft soll in uns ein Museum vorfinden, das das komplette Möglichkeitsspektrum von Kunst anbietet.'
Foto: Johannes Kiefer | Marcus Andrew Hurttig: "Die Stadtgesellschaft soll in uns ein Museum vorfinden, das das komplette Möglichkeitsspektrum von Kunst anbietet."
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 19.06.2024 02:53 Uhr

Marcus Andrew Hurttig ist seit 1. März als Nachfolger von Luisa Heese Direktor des Würzburger Museums im Kulturspeicher. Der promovierte Kunsthistoriker, geboren 1974 in Langen bei Frankfurt am Main, war seit 2011 Kurator für moderne und zeitgenössische Kunst am Museum der bildenden Künste Leipzig. Zuvor war er zehn Jahre als freier Wissenschaftler an der Hamburger Kunsthalle beschäftigt.

In Ausstellungen hat er sich unter anderem mit Max Klinger als Verhinderer und Förderer von moderner Kunst oder mit Leipzig als Marktplatz von impressionistischer und expressionistischer Kunst befasst. Im Interview beschreibt er, was er in Würzburg vorhat.

Herr Hurttig, wie sind Sie angekommen in Würzburg?

Marcus Andrew Hurttig: Ich bin sehr gut gelandet. An meinem ersten Arbeitstag war ich bereits Gastgeber der Veranstaltung "Wein+Kunst". Winzerinnen der Region präsentieren ihre Weinsorten und der Erlös geht in den Ankauf eines Werkes einer Künstlerin. Großartige Idee und großartige Getränke. Darüber hinaus gab es zwei Ausstellungen in den ersten Wochen, davon eine von mir kuratiert, die andere eröffnet. Aber jetzt kommt die Phase, warum ich mich beworben hatte: Institution gestalten, neue Strategien aufbauen – auch im Sinne der Fürsorgepflicht für die Mitarbeitenden. Ich komme ja aus ausstellungsintensiven Museen. Wenn dann die Arbeitsprozesse nicht gut funktionieren, leidet letztendlich die Kunst. Unser Ziel ist es, Kunst mit guten Ideen auszustellen und zu vermitteln. Und dafür benötigt man Vorlaufzeit.

'Das System Kunst lebt von der Vielfalt.' Marcus Andrew Hurttig in der Eingangshalle des Kiulturspeichers.
Foto: Johannes Kiefer | "Das System Kunst lebt von der Vielfalt." Marcus Andrew Hurttig in der Eingangshalle des Kiulturspeichers.
Es scheint in die DNA deutscher Kunstinstitutionen eingeschrieben zu sein, dass man immer im roten Bereich arbeiten muss, sonst kann's keine gute Kunst sein.

Hurttig: Das finde ich veraltet. Diese Selbstausbeutung für die Kunst, dieses Martyrium, das sind Konstrukte von irgendwelchen Machertypen, die im Rückblick anekdotenhaft amüsant sein können.

Sie gehen also managementmäßig an den Job ran?

Hurttig: Ja, das finde ich total wichtig. Es sind ja auch Steuergelder, die wir hier ausgeben. Das verpflichtet, und wenn man im Chaos arbeitet, können die Gelder auch nicht nachhaltig ausgegeben werden. Etwa wenn man am Jahresende schnell noch irgendein Kunstwerk ohne Bindung zur Sammlung kauft, nur damit die Finanzmittel nicht verfallen. Deshalb muss alles gut vorbereitet sein. 2024 läuft noch, wie es programmiert war. Und spätestens 2025 möchte ich dann mit dem Team des Museums eine Handschrift insbesondere bei Ausstellungen und Sammlungspräsentationen entwickeln.

"Würzburgs mittelalterliches und enges Straßenlabyrinth mit neapolitanischem Flair schreit nach einer Ausstellung."
Marcus Andrew Hurttig über mögliche künftige Projekte
Wie würden Sie diese Handschrift beschreiben?

Hurttig: Wenn ich eine Handschrift habe, dann im Lokalen das Globale zu suchen. Sprich in der Lokalgeschichte Themen oder Künstler und Künstlerinnen finden von mindestens nationaler, am besten internationaler Ausstrahlungskraft. Aber dafür muss ich noch besser den Kulturstandort Würzburg kennenlernen. Aber, was ich schon jetzt weiß: Würzburgs mittelalterliches und enges Straßenlabyrinth mit neapolitanischem Flair schreit nach einer Ausstellung zu den internationalen Utopien des Individualverkehrs nach 1945. "Horror vacui" könnte der Titel lauten. (Lacht.)

Welche Außenwahrnehmung streben Sie denn für das Museum an?

Hurttig: Die Stadtgesellschaft soll in uns ein Museum vorfinden, das das komplette Möglichkeitsspektrum von Kunst anbietet – ob das der erweiterte Kunstbegriff der Gegenwart ist oder der Kunstbegriff des 19. Jahrhunderts. Ich sehe uns nicht ausschließlich als Kompetenzzentrum für konkrete Kunst.

Will künftig auch Ausstellungen entwickeln, die nicht ausschließlich in der Tradition der abstrakten oder konkreten Kunst stehen: Marcus Andrew Hurttig in seinem Büro im Kulturspeicher.
Foto: Johannes Kiefer | Will künftig auch Ausstellungen entwickeln, die nicht ausschließlich in der Tradition der abstrakten oder konkreten Kunst stehen: Marcus Andrew Hurttig in seinem Büro im Kulturspeicher.
Das heißt, Sie müssen den gefühlten Anteil der konkreten Kunst reduzieren?

Hurttig: Die Sammlung Ruppert ist auf alle Fälle unsere Herzkammer. Die wollen wir neu präsentieren. Auf dieser Basis kann man dann Ausstellungen entwickeln, die nicht ausschließlich in der Tradition der abstrakten oder konkreten Kunst stehen, denn das haben wir ja auf sehr hohem internationalen Niveau. Dann kann man was anderes anbieten. Vielleicht mehr figurative Positionen in der zeitgenössischen Kunst. Das System Kunst lebt von der Vielfalt.

"Heiner Dikreiter. Wie geht man mit ihm um, mit der Widersprüchlichkeit der Biografie, der Sammlung?"
Marcus Andrew Hurttig zum Gründer der Städtischen Galerie
Schlummern noch unentdeckte Schätze im Depot?

Hurttig: Die Zeit spielt für Würzburg. Je mehr man den klassischen Kanon dekonstruiert, also nicht mehr nur Nolde, Schmidt-Rottluff oder Beckmann ausstellt, desto interessanter wird, was sich dazwischen abgespielt hat. Und da gibt es in Würzburg einiges. Das war auch ein Grund, warum ich mich beworben habe: eine Sammlung, die mir erstmal gar nichts gesagt hat. Das finde ich spannend. Außerdem haben wir mit Gertraud Rostosky und Emy Roeder zwei wahre Kronjuwelen im Museum, die es immer wieder neu zu entdecken gilt.

Aber die alles beherrschende Künstlerpersönlichkeit wie Max Klinger in Leipzig gibt es hier nicht, oder?

Hurttig: Ein Glück! Max Klinger war immer eine Hassliebe für mich. Einerseits ein großartiger Wegbereiter der Surrealisten und andererseits auch irgendwie ein Bremsklotz für die moderne Kunst. Und dann diese sächsische Monumentalität, dieser heroische Symbolismus bei ihm, da war immer Gänsehaut mit im Spiel.

Vielleicht neigt die Region nicht so zum Heroischen?

Hurttig: Hoffen wir es. Heiner Dikreiter, Gründer der städtischen Galerie, hat ein unumstößliches Fundament gelegt für die Würzburger Künstler des 19. Jahrhunderts. Und auch fürs frühe 20. Jahrhundert, wenn auch mit vielen Lücken. Er ist eine höchst interessante Persönlichkeit. Vielleicht ist das ja mein neuer Max Klinger! Wie geht man mit ihm um, mit der Widersprüchlichkeit der Biografie, der Sammlung? Einerseits das Visionäre, den Nachlass Emy Roeder zu sichern, andererseits komplett die expressionistischen und abstrakten Entwicklungen der modernen Kunst an sich vorbeifahren zu lassen. Damals hätte man, wie andere vergleichbare Museen es getan haben, sich Kirchner oder Klee noch leisten können.

 
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