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Würzburg
Konkrete Kunst und Gegenwart: Warum sich im Würzburger Kulturspeicher ein Blick an die Decke lohnt
Der Überlieferung nach gibt es den  Begriff "Konkrete Kunst" seit genau 100 Jahren. In Würzburg und Ingolstadt zeigen je zwölf Künstlerinnen und Künstler, ob er noch aktuell ist.
Weltraumlandschaft: 'Orion' ( 2023). Die Künstlerin Sali Muller überarbeitete digital Fotografien und druckte sie auf Aluminiumplatten: Bis 22. September ist das Werk im Museum im Kulturspeicher in Würzburg ausgestellt.
Foto: Sali Muller | Weltraumlandschaft: "Orion" ( 2023). Die Künstlerin Sali Muller überarbeitete digital Fotografien und druckte sie auf Aluminiumplatten: Bis 22. September ist das Werk im Museum im Kulturspeicher in Würzburg ausgestellt.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 27.03.2024 02:58 Uhr

Leuchtende Quadrate und Kreise, zersplitterte Spiegel, winzige mathematische Berechnungen, raumfüllende Installationen, virtuelle Skulpturen, ein rätselhaftes Video: Die neue Ausstellung im Museum im Kulturspeicher, kurz MiK, verblüfft. Sie ist vielseitig, tiefgründig und spielerisch zugleich.

Die Exponate für "24! Fragen an die Konkrete Gegenwart" reizen die Sinne, öffnen neue Räume, bieten ungewöhnliche Perspektiven. Es gibt viel zu entdecken und zu reflektieren – über Farben, Formen, über sich selbst. Wer möchte, kann selbst Konkrete Kunst kreieren.

1924 soll Theo van Doesburg den Begriff "Konkrete Kunst" erstmals verwendet haben

Anlass für die Schau, die zeitgleich im Museum für Konkrete Kunst (MKK) in Ingolstadt präsentiert wird, ist ein inoffizielles Jubiläum. 1924, vor 100 Jahren soll der Künstler, Architekt und Kunsttheoretiker Theo van Doesburg erstmals der Begriff "Konkrete Kunst" für sein Werk verwendet haben. 

Offiziell publizierte er den Begriff 1930 seinem Manifest "Art Concret". Er forderte zum Beispiel, ein Kunstwerk müsse vor seiner Ausführung vollständig im Geist entworfen und ausgestaltet worden sein. "Von der Natur, von Sinnlichkeit oder Gefühl vorgegebene Formen darf es nicht enthalten."  Berühmt wurde sein Kommentar, nichts sei konkreter, nichts wirklicher als eine Linie, eine Farbe, eine Fläche.

Fabian Gatermann: 'Mood Poem' (2018). 
Foto: Olga Niekrasova | Fabian Gatermann: "Mood Poem" (2018). 

In Würzburg und in Ingolstadt setzen sich ein Jahrhundert später je zwölf Künstlerinnen und Künstler mit der Konkreten Kunst auseinander. Sie wurden eigens für die Doppelausstellung ausgewählt, sagt Kuratorin Mariana Aravidou beim Rundgang im MiK. Auch das Geburtsjahr habe eine Rolle gespielt. Alle sind ab 1980 geboren und damit in dem Alter, in dem Theo van Doesburg den Begriff "Konkrete Kunst" prägte.

"Es gibt keinen roten Faden", so Aravidou. Die Künstlerinnen und Künstler sollten zeigen, was sie passend für die Ausstellung finden. Zum Teil sind eigens für die Schau Werke entstanden.

Mariana Aravidou ist Kuratorin der Ausstellung '24! Fragen an die Konkrete Gegenwart im Museum im Kulturspeicher. Im Hintergrund leuchtet 'Mood Poem' von Fabian Gatermann. 
Foto: Christine Jeske | Mariana Aravidou ist Kuratorin der Ausstellung "24! Fragen an die Konkrete Gegenwart im Museum im Kulturspeicher. Im Hintergrund leuchtet "Mood Poem" von Fabian Gatermann. 

Die Künstlerinnen und Künstler kommen auch selbst zu Wort. Vorab wurden ihnen zehn Fragen zugeschickt. Was ist für mich Konkrete Kunst? Ist sie noch aktuell? Haben die Anfänge der Konkreten Kunst eine direkten Einfluss auf meine eigene künstlerische Arbeit?  Was machen sie damit?

Schirin Kretschmann etwa ließ für "We Are the Robots (IV)" einen Saugroboter, auf dem eine zur Decke gerichtete Kamera montiert wurde, durch den Ausstellungsraum fahren. Ab und an wurde ihm der Weg versperrt. Wer dies nicht weiß, erkennt nicht sofort, was im Video zu sehen ist. Der reale Raum wirkt gänzlich ungegenständlich. Kretschmann verfremdet ihn auf diese Weise. Es lohnt also der Blick nach oben.

Banz & Bowinkel fasziniert das Wechselspiel zwischen analogen und digitalen Welten. Das Duo zeigt Skulpturen, die nur auf dem Tablet sichtbar sind. Diese können durch kurzes Anstupsen bewegt und verändert werden.

Blick aufs Tablet beziehungsweise auf die interaktiven Augmented Reality-Skulpturen 'Primitive AR' von Banz & Bowinkel. Sie sind nur im virtuellen Raum zu sehen. Real sind die Personen wie links Mariana Aravidou, Kuratorin im Museum im Kulturspeicher.
Foto: Christine Jeske | Blick aufs Tablet beziehungsweise auf die interaktiven Augmented Reality-Skulpturen "Primitive AR" von Banz & Bowinkel. Sie sind nur im virtuellen Raum zu sehen.

Bei Amalia Valdés Mujica fallen streng komponierte Ordnungssysteme ins Auge. Es entstehen geometrische Muster, Bewegungen, Spiegelungen. Auch baut sie Symbole ihrer südamerikanischen Heimat mit ein.

Spiegelungen gibt es auch bei Sali Muller. "Die Gefallenen", zwei auf den Boden gefallene Acrylglas-Spiegel, vor denen abgesplitterte Scherben liegen, verzerren den Raum und die Menschen, die vor ihnen stehen. Dieser Anblick soll innere Reflexionsprozesse auslösen.

Linie und Fläche im Triptychon aus Tennisplatten von Catalin Pislaru

Bei Erika Hock soll durch geschwungene Fadenvorhänge und Sitzskulpturen ein Wohlfühleffekt entstehen. Sie hinterfragt damit die sonst eher kühl aufgebauten Museumsräume. Ein Triptychon aus Tischtennisplatten präsentiert Cătălin Pîslaru. Ihm geht es um Linie und Fläche, um Malerei und Zeichnung. Bei Nina Brauhauser "wirken Bilder in den Raum", so Kuratorin Aravidou.

Virginia Toma erforscht räumliche Tiefe und geometrische Strukturen. Ihre kleinteiligen Entwürfe und winzigen Berechnungen an der Wand sind eigenständige Werke, die in ihrer Präzision verblüffen. Patrizia Kränzlein geht ihren Arbeiten der Frage nach, wie Linien und Flächen, wie Hell und Dunkel auf die Wahrnehmung wirken, um im Geist Raum zu erzeugen, heißt es im Katalog zur Ausstellung. Die Raumillusion kippt jedoch.

Alle knüpfen an Prinzipien und Einflüssen der Konkreten Kunst an, schreibt Mariana Aravidou im Katalog, sie betreten aber neue Wege, erkunden neue Dimensionen. Neugierig und forschend setzten sie sich mit der Vergangenheit auseinander.

Gespräche mit den Künstlerinnen und Künstlern gehören unter anderem zum umfangreichen Begleitprogramm, bei denen Besucher Fragen stellen können. Etwa Charlotte Giacobbi zu ihren in den Raum greifenden Werken, der Raum schaffenden architektonischen Linie von Sebastian Dannenberg oder zur faszinierenden Lichtstimmung bei Fabian Gatermann.

Die Ausstellung"24! Fragen an die Konkrete Gegenwart" im Museum im Kulturspeicher in Würzburg sowie im Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt ist bis 22. September zu sehen. In Würzburg Di 13-18 Uhr, Mi 11-18 Uhr, Do 11-19 Uhr, Fr, Sa, So 11-18 Uhr. Oster- und Pfingstmontag geöffnet. Internet: www.kulturspeicher.de

 
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