Kaum hatte Wilhelm Conrad Röntgen 1895 die nach ihm benannten Strahlen entdeckt, begannen viele wissenschaftliche Fachbereiche, mit ihrer Hilfe Geheimnisse von Materialien zu entschlüsseln. In den Geowissenschaften wurden erste Untersuchungen mit Röntgenstrahlen schon 1912 durchgeführt. Dort sind sie heute längst ein unverzichtbares Hilfsmittel.
Röntgenstrahlen, heute oft X-Strahlen genannt, dienen der qualitativen und quantitativen Analytik von Gesteinen und Mineralien. „Aus den daraus gewonnenen Daten können wir ermitteln, in welchem geologischen Umfeld sich ein Gestein gebildet hat“, erläutert Dr. Dorothée Kleinschrot vom Lehrstuhl für Geodynamik und Geomaterialforschung an der Universität Würzburg. „Dadurch können wir die plattentektonische Entwicklung herleiten, in deren Kontext das Gestein entstanden ist. Das ermöglicht Aussagen über die erdgeschichtlichen Ereignisse in einem bestimmten Gebiet zu einer bestimmten Zeit.“ Zusätzlich können mit Röntgenstrahlen auch Strukturen und chemische Zusammensetzungen bislang unbekannter Mineralien bestimmt werden. Mit Hilfe der X-Strahlen untersuchen die Wissenschaftler auch Erze und deren Rahmengesteine, um die Bildung von Lagerstätten zu erforschen und neue Erzanreicherungen zu finden. Viele davon sind für moderne Mobilitäts- und Kommunikationstechnologien unverzichtbar.
Vom Charakter der Steine
Röntgenanalytik zur Charakterisierung von Gesteinen, Mineralien und Erzen ist ein Schwerpunkt am Institut für Geographie und Geologie in Würzburg. Je nach Aufgabenstellung wird sie mit weiteren Untersuchungsverfahren, wie der Mikroskopie, kombiniert. „Dabei wenden wir hauptsächlich zwei Röntgenmethoden an“, erklärt der Geologe, Professor Ulrich Schüßler. „Zum einen die Kristallstrukturanalyse zur Identifizierung kristalliner Substanzen. Der zweite Schwerpunkt liegt auf der geochemischen Analyse von Mineralien und Gesteinen“.
Mineralien und Metalle bestehen aus Kristallgittern, in denen Atome verschiedener Elemente in Lagen räumlich angeordnet sind. Röntgenstrahlen werden an diesen Atomlagen reflektiert und gebeugt. Daraus entstehen typische Beugungsmuster, die mit bereits bekannten Modellen in einer Datenbank verglichen werden, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu finden. Mit diesem Verfahren, auch Röntgendiffraktometrie genannt, lassen sich die Positionen einzelner Atome innerhalb eines Kristallgitters bestimmen. „Das Diffraktogramm verrät uns beispielsweise, ob ein Granat-Kristall im Erdmantel entstanden ist – denn dann enthält er viel Magnesium und Chrom“, erläutert Ulrich Schüßler. „Die Menge dieser Elemente gibt Aufschluss darüber, in welcher Tiefe er entstanden sein muss.“
Diese Methode der Röntgendiffraktometrie nutzen Forscher nicht nur zur Bestimmung von Einkristallen, sondern auch zur Analyse von sehr feinkörnigen, optisch nicht mehr identifizierbaren Materialien. Hierzu gehören Tonerden oder Gesteine wie zum Beispiel Basalt. Ihre äußerst feinen Strukturen lassen sich optisch nur schlecht untersuchen. „Um die chemische Gesamtzusammensetzung eines Gesteins zu erhalten, verwenden wir die Methode der Röntgenfluoreszenz. Gesteinsproben werden pulverisiert, geschmolzen und wieder abgekühlt. Daraus entsteht eine Tablette, die wir Röntgenstrahlung aussetzen“, so Ulrich Schüßler. Die Probe gibt dann ein für den Stoff charakteristisches Strahlungsmuster ab, das die Elementzusammensetzung offenbart und eine sehr genaue chemische Analyse liefert. Das verschafft Forschern Aufschlüsse darüber, in welchem plattentektonischen Umfeld sich der untersuchte Basalt gebildet hat.
„Die untersuchten Gesteine erzählen uns viel über die geologischen Prozesse unserer Erde“, so Dorothée Kleinschrot. „Sie lehren uns auch über Entwicklungen, die zum Teil noch in der Zukunft liegen.“
Gefragte Expertise
Aber auch für die Gegenwart sind solche Untersuchungen wichtig: Die Analyse von Tonmineralien wird im Bauingenieurwesen geschätzt, denn sie zeigt, ob ein Untergrund für bestimmte Bauvorhaben geeignet ist. Arbeits- und Bausicherheit profitieren von solchen Verfahren: Mit ihnen werden zum Beispiel feinste gesundheitsgefährdende Asbestnadeln in Baustoffen nachgewiesen.
Die von den Geowissenschaftlern eingesetzten Röntgenstrahlen helfen auch, erdgeschichtlichen, kulturhistorischen und sogar medizinischen Rätseln auf die Spur zu kommen. „Gesteinsanalysen liefern in interdisziplinären Forschungsprojekten wichtige Puzzleteile, die ein Gesamtbild historischer und prähistorischer Vorgänge geben“, erläutern die Würzburger Wissenschaftler: „Im Mittelalter stand in Europa Cloisonné-Schmuck hoch im Kurs, der von aufwendigen Granatverzierungen geprägt ist.“ Zerstörungsfreie Röntgen-Mineralanalysen zeigten, dass die Granatplättchen überwiegend aus Indien und Sri Lanka kamen. Ab Mitte des 7. Jahrhunderts wurde jedoch plötzlich nur noch Granat aus Böhmen verwendet. „Historiker wiesen dann nach, dass Handelswege in den fernöstlichen Raum zu dieser Zeit aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen am Roten Meer blockiert waren“, so der Forscher. „Notgedrungen setzten Schmuckhersteller auf den deutlich kleineren und schlechter zu verarbeitenden Granat aus böhmischen Abbaustätten.“
Am Lehrstuhl in Würzburg werden auch außergewöhnliche Steine untersucht, die man nicht mit diesem Fach in Verbindung bringen würde: „Wir untersuchen regelmäßig Nierensteine, die von Würzburger Kliniken zur Analyse hierher geschickt werden“, so die beiden Geowissenschaftler. „Die Untersuchung der mineralogischen Zusammensetzung der Steine gibt Aufschluss über ihre Bildung – und hilft Medizinern, Behandlungsstrategien festzulegen.“
Neue Entwicklungen für neue Entdeckungen
Eine methodische Weiterentwicklung liegt in der Mikro-Röntgenstrahl-Computertomografie. Diese erlaubt es, Dichteunterschiede im Inneren einer Substanz dreidimensional zerstörungsfrei darzustellen. Damit lassen sich nicht nur fossile Reste von Lebewesen in einem Gestein sichtbar machen, sondern beispielsweise auch die räumliche Verteilung und Form von winzigen Goldeinschlüssen in einem Golderz. „Letzteres half, die bislang höchst umstrittene Entstehung der weltgrößten Goldanreicherungen in drei Milliarden Jahre alten Gesteinen in Südafrika zu klären“, sagt Professor Hartwig Frimmel vom Lehrstuhl für Geodynamik und Geomaterialforschung an der Universität Würzburg. Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Entwicklungszentrum Röntgentechnik in Fürth hat er Forschungen hierzu durchgeführt.
Mit diesem Beispiel zeigen die Forscherinnen und Forscher, dass die Röntgenstrahlen trotz ihrer Tradition im Fach noch lange kein Auslaufmodell sind. „In Zukunft werden Verfahren wie die Röntgen-CT und schnellere Auswertungsmöglichkeiten unsere Forschungen bereichern“, sind sich die Würzburger Wissenschaftler sicher. „Damit uns die Gesteine noch ein bisschen mehr über die Welt erzählen, in der wir heute leben.“
Röntgenjahr 2020
Im „Röntgenjahr“ 2020 präsentiert Ihnen die Universität Würzburg gemeinsam mit der Stadt Würzburg jeden Monat ein interessantes Anwendungsgebiet, bei dem Röntgenstrahlen eine wichtige Rolle spielen.
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