„Röntgenstrahlen haben uns die Augen für unser Universum neu geöffnet“, erläutert Professor Karl Mannheim, der an der Universität Würzburg den Lehrstuhl für Astronomie leitet. „Seit Jahrtausenden blicken Menschen an das Firmament. Sie versuchen, ihren Platz darin zu erkunden und die Geheimnisse der Gestirne zu enträtseln.“ Naturwissenschaftliche Methoden haben mythologische Vorstellungen längst abgelöst und die Menschheit konnte ihr Wissen in kurzer Zeit enorm erweitern.
Als Beispiel führt der Wissenschaftler die sogenannten Neutronensterne an: „Dank der Röntgenastronomie können wir diese exotischen Objekte beobachten. Sie sind die Überreste von Supernovae. Es handelt sich um extrem heiße Sterne, nicht größer als die Stadt Würzburg, deren Dichte der von Atomkernen entspricht. Die ältesten von ihnen sind fast 14 Milliarden Jahre alt, was dem Alter des Universums entspricht.“
Mit anderen Augen sehen
Zeiträume und Größenordnung des Universums strapazieren die menschlichen Vorstellungskräfte. Der Blick in den dunklen Nachthimmel zeigt uns scheinbar eine gewaltige Leere. Aber das täuscht. „Unser All ist voller Objekte, die wir mit bloßen Augen nicht sehen können“, erläutert der Astronom. „Riesige, heiße Gaswolken machen einen Großteil der Masse des Universums aus. In ihnen bewegen sich Tausende von Galaxien umeinander wie Mückenschwärme. Aber für optische Instrumente sind sie ebenso unsichtbar wie andere kompakte, astronomische Röntgenquellen wie Weiße Zwerge, Neutronensterne und Schwarze Löcher in engen Doppelsternsystemen.“
Röntgenastronomie ermöglicht es, die Grundlagen der Physik unter extremen Bedingungen zu erforschen. Röntgenstrahlung entsteht in heißen Plasmen, oft in Verbindung mit sehr starken Magnet- und Gravitationsfeldern. „Die Beobachtung der Rotverschiebung atomarer Spektrallinien im Röntgenbereich in der unmittelbaren Nähe von Schwarzen Löchern bestätigt die Einsteinsche Theorie der Gravitation“, so der Wissenschaftler.
Um Röntgenstrahlung aus dem All zu messen, verwenden Astronomen spezielle Teleskope. Anders als bei einem optischen Fernrohr, das Lichtstrahlung über Linsen oder Spiegel einfängt, nutzen Röntgenteleskope verschachtelte, tubenförmige Metallspiegel, um die unsichtbaren Strahlen zu fokussieren.
Da die Erdatmosphäre Röntgenstrahlung aus dem Weltraum absorbiert, werden Röntgenteleskope in Satelliten eingebaut und in Umlaufbahnen um die Erde positioniert. Das Prinzip der Röntgenteleskope wurde in den 1950er Jahren maßgeblich vom deutschen Physiker Hans Wolter entwickelt. Noch heute ist es die Grundlage der modernsten Röntgensatelliten, auch wenn sich die Technik rasant entwickelt hat: Konnte man bei den ersten Satellitenmissionen nur einzelne, besonders helle Röntgenquellen im All untersuchen, analysiert der hochmoderne Röntgensatellit „eROSITA“ der 2019 gestarteten deutsch-russischen Weltraummission „Spektr-RG“ Millionen Objekte. „Erst die große Anzahl untersuchter Objekte lässt statistisch valide Aussagen zu“, unterstreicht Professor Karl Mannheim. „Wir sehen nicht nur die sprichwörtliche Spitze eines Eisbergs, sondern nehmen ihn vollständig in den Blick – und seine Umgebung mit dazu.“
Den Geheimnissen des Universums auf der Spur
Eines der spannendsten Rätsel, dem Röntgenastronomen mittels eROSITA auf der Spur sind, ist die beschleunigte Expansion unseres Universums. Wissenschaftler untersuchen die sogenannte „Dunkle Energie“, die mit der Expansion in Zusammenhang steht – und sich mit den Methoden der Röntgenastronomie messen lässt. „Die Weltraummission ‚Spektr-RG‘ liefert uns Daten, die für Jahrzehnte von grundlegender Bedeutung für die Astronomie sein werden“, ist sich der Würzburger Wissenschaftler sicher. Man wird lernen, wie Gold oder Uran in explosiven Ereignissen bei der Verschmelzung von Neutronensternen oder Supernovae entstehen.
Oder wie Schwarze Löcher in den Zentren von Galaxien mit der milliardenfachen Masse der Sonne gewaltige Energiemengen ausstoßen. Sie spielen eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der Galaxien und der Entstehung des Lebens. „Wir verbinden in Würzburg die Röntgenastronomie mit der Astronomie in anderen Wellenlängenbereichen, insbesondere mit der Radio- und Gammastrahlen-Astronomie. Dabei lernen wir zusätzlich, diese riesigen Datenmengen mittels Künstlicher Intelligenz zu strukturieren und zu verarbeiten“, erläutert der Forscher.
Der Röntgenblick ins Universum zeigt einen unerwarteten Reichtum der Natur, der die menschliche Vorstellungskraft leicht sprengen und die Grenzen der Physik erweitern kann. Dadurch wird unser Platz im Universum erkennbar. Der technische Fortschritt beim Bau der empfindlichen Röntgenteleskope lässt sich auch in anderen Gebieten wie der medizinischen Bildgebung, in der Halbleiterindustrie oder bei der Materialprüfung nutzen.
Auf der Schwelle ins All
Die Menschheit hat durch die modernen astronomischen Teleskope die Türe in unser Universum weit aufgestoßen. Dabei stellt sich nicht die Frage, ob die Menschheit zu fernen Planeten aufbricht, sondern, wann das der Fall sein wird. Die Röntgenastronomie ist eine wichtige Voraussetzung dafür: Die genaue Kenntnis der für Astronauten und Computersysteme schädlichen Strahlendosis im Weltraum ermöglicht erst die Reise zu fernen Planeten.
Die Röntgenastronomie ist heute schon ein Eckpfeiler der modernen Astronomie und hat unsere Ansichten über das Universum nachhaltig geprägt. Die vermeintlich große Leere des Universums konnte mit dem Röntgenblick durchleuchtet werden und vorher Unsichtbares sichtbar machen. Aktuell darf man gespannt sein, welche Geheimnisse der deutsch-russische Röntgenspäher eROSITA in den nächsten Jahren enthüllen wird.
Röntgenjahr 2020
Im „Röntgenjahr“ 2020 präsentiert Ihnen die Universität Würzburg gemeinsam mit der Stadt Würzburg jeden Monat ein interessantes Anwendungsgebiet, bei dem Röntgenstrahlen eine wichtige Rolle spielen.
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