Wenn Bayerns Forstministerin Michaela Kaniber (CSU) über die neuen bayerischen "Naturwälder" im Steigerwald und auf der Fränkischen Platte spricht, schwärmt sie und wird fast poetisch: "Wir lassen diese Gebiete zu wilden, märchenhaften Wäldern werden und damit auch zur Heimat für ganz seltene Pflanzen und Tiere. Sie sollen sich jetzt frei und ungestört entwickeln."
Die politische Realität, die zu den neuen Schutzzonen geführt hat, klingt nüchterner: Nachdem 2018 die Nationalpark-Pläne des damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) nach massiven Widerständen auch im Steigerwald und im Spessart endgültig geplatzt waren, brauchte Nachfolger Markus Söder (CSU) dringend Ersatz, um seine neue grüne Linie glaubhaft zu machen. So sah bereits der Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern Ende 2018 vor, zehn Prozent des Staatswalds dauerhaft aus der Nutzung zu nehmen. Nach dem erfolgreichen Volksbegehren zum Artenschutz im vergangenen Jahr wurde dieses Ziel im "Versöhnungsgesetz" festgeschrieben – und die neue Kategorie "Naturwald" geschaffen.
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Waldstücke im Kreis Würzburg und im Steigerwald werden zu "Naturwäldern"
In Unterfranken sollen nun rund 850 Hektar im Böhlgrund im Steigerwald und 510 Hektar im Irtenberger Wald im Landkreis Würzburg zu "Naturwäldern" werden. Der Irtenberger Wald zeichne sich durch starken Buchenbestand, aber auch durch "viele weitere, Wärme-tolerante und oftmals seltene Laubbaumarten aus", erklärt Kaniber. Das Schutzgebiet soll deshalb nicht nur ein geschützter Lebensraum sein, sondern auch helfen, "natürliche Anpassungsprozesse an den Klimawandel" zu studieren.
Die aufgrund der Steillagen ohnehin bisher faktisch nicht bewirtschaftete Fläche im Steigerwald präge zudem eine "außergewöhnliche Vielfalt ökologisch wertvoller Strukturen", erklärt die Forstministerin. Rund 200 Hektar waren schon bisher Naturschutzgebiet. Nun entstehe "eines der größten nutzungsfreien Waldschutzgebiete außerhalb der Nationalparks", wirbt Kaniber.
Von den mindestens 10.000 Hektar Fläche, die ein Nationalpark bräuchte, sind die neuen Naturwälder weit entfernt. Dennoch lobt etwa Ralf Straußberger, Waldreferent beim Bund Naturschutz (BN), das neue Schutzgebiet "als ersten Schritt". Auch der "Verein Nationalpark Steigerwald" begrüßt die Ankündigung der Staatsregierung. Die Auswahl des Böhlgrunds sei aber wohl "aus politischem Kalkül" gefallen, "da die Staatsforsten in den Steillagen weniger Geld verdienen können", kritisiert Vereins-Vize Florian Tully.
Naturschützer fordern weiterhin einen Nationalpark im Steigerwald
Der "Hohe Buchene Wald" im Zentralsteigerwald, wo der Freistaat einst ein regional ausgewiesenes Schutzgebiet wieder einkassiert hatte, sei besser geeignet, sagen die Naturschützer. Eine Einschätzung, der im Forstministerium entschieden widersprochen wird: Der Böhlgrund sei eindeutig die ökologisch wertvollere Fläche.
Die Naturschützer haben angekündigt, in jedem Fall weiter für einen Nationalpark im Steigerwald kämpfen zu wollen – was wiederum die Nationalpark-Gegner auf den Plan ruft: Zwar könne man den neuen Naturwald "mittragen", erklärt Oskar Ebert vom Verein "Unser Steigerwald". Mit seiner kompromisslosen Haltung pro Nationalpark zeige der Bund Naturschutz aber erneut, "dass er nur seine Ziele durchsetzen will". Erst die Zukunft könne zeigen, ob durch so eine Entscheidung, die Natur sich selbst zu überlassen, der Wald nicht erheblich beschädigt würde, so Ebert.
Der Verband bayerischer Waldbesitzer zeigt sich mit der Naturpark-Lösung recht zufrieden: Im Gegensatz zu einem "zehn mal größeren Nationalpark" führe die Ausweisung von Naturwaldflächen nicht zu harten Strukturbrüchen in der Region, erklärt Hans Ludwig Körner, Geschäftsführer des Verbands. Direkte wirtschaftliche Nachteile für die privaten und kommunalen Waldbesitzer seien kaum zu erwarten.
Bürgermeister könnten sich Baumwipfelpfad bei Kist vorstellen
An dem Streit um einen Nationalpark im Steigerwald habe ihn immer gestört, wie "unversöhnlich" beide Seiten miteinander diskutierten, und dass es kein "konstruktives Miteinander" gab, sagt Stefan Paulus (CWG / SPD). Der Bürgermeister der Gemeinde Knetzgau (Lkr. Hassberge), zu der der Böhlgrund gehört, hofft, dass sich die Region nun versöhnen könne. "Die Symbolik ist mir wichtig", sagt Paulus. Bislang aber sei es nur "ein Titel ohne Mittel", den Kaniber verkündet habe. Es brauche dazu Projekte, die den Bürgern den Wert des Waldes erklären, fordert Paulus. Dafür sei finanzielle Hilfe des Freistaats nötig.
In den Anrainergemeinden des Irtenberger Walds im Kreis Würzburg überwiegt derzeit noch die Überraschung über den angekündigten Naturwald. "Wir wissen es selbst erst seit ein paar Tagen", sagt Waldbrunns Bürgermeister, Markus Haberstumpf (CSU): "Ich kann mir noch kein Urteil anmaßen."
Ähnlich sieht dies Kists Bürgermeister Volker Faulhaber (SPD): "Für mich ist das momentan noch wertneutral." Faulhaber möchte mit seinen Bürgermeister-Kollegen erst analysieren, welche Chancen der Naturwald bringen könnte. Vorstellen kann sich Faulhaber etwa einen Baumwipfelpfad oder Aussichtsturm. Eine Idee, die auch Altertheims Bürgermeister Bernd Korbmann (SPD) gefällt: "Allerdings braucht es dafür auch Unterstützung von oberer Stelle."