Eben noch ging es um Sauerteig und Roggen. Die Delegation von „Naturland“ hat auf der kleinen Bank am Stand der Hofpfisterei Platz genommen und diskutiert mit Chefin Nicole Stocker über regionales Getreide und Enzyme im Korn. Paul Knoblach, der Biolandwirt aus Garstadt im Landkreis Schweinfurt, beißt in eine Scheibe dunkles Brot, in dem vielleicht auch Roggen von seinen Feldern steckt. Seit über 25 Jahren ist Knoblach Mitglied bei „Naturland“, viele Jahre war er im Präsidium. Und über den Verband für ökologischen Landbau e.V. liefert er Roggen, Weizen, Dinkel auch an die Münchner Großbäckerei, die zu den Biopionieren in Deutschland zählt und ausschließlich Biogetreide verbackt.
Wenn es nur genug regionalen, ökologisch produzierten Roggen gäbe derzeit! Mindestens 80 Prozent Rohstoffe aus Bayern wünscht sich die Hofpfisterei-Chefin für ihre Bauernbrote. Im Moment aber, sagt Nicole Stocker, seien es nur 60 Prozent. Jahrelang hatten die Bauern daran gearbeitet, Roggen anzubauen, der nicht vorzeitig auswächst und keimt. Das gelang so gut, dass das bayerische Brotgetreide jetzt immer schwächere Backeigenschaften hat. „Wir brauchen aber die Enzymaktivität, wenn wir ohne Chemie backen wollen“, sagt Nicole Stocker. Und während sie noch über den Roggen und ihr Tabu künstlicher Mehlverbesserungsmittel und Backhilfen spricht, wird in der Runde schon über das diskutiert, was die bayerischen Landwirte gerade am meisten umtreibt. Und was überhaupt „der“ Gesprächsstoff ist bei der diesjährigen Biofach in Nürnberg: das Volksbegehren Artenvielfalt.
Wo immer man unterwegs ist bei der selbsternannten Weltleitmesse für Bio-Lebensmittelim Nürnberger Messezentrum an den vier Tagen: Wenn man mit Erzeugern und Bauern ins Gespräch kommt, geht es irgendwann um das Volksbegehren. Ein neues Naturschutzgesetz, um das Artensterben zu stoppen? Das sich auf den Feldern und Äckern niederschlagen soll? „Die Staatsregierung hat noch gar nicht erfasst, was da an Veränderungen nötig ist“, sagt Paul Knoblach, der Naturland-Mann.
Er ist nach Nürnberg gefahren, um, wie er lachend sagt, ein bisschen „zu lobbyieren“. Kontakte pflegen, austauschen, reden, werben. Seit vielen Jahren macht der 63-Jährige Biolandwirt das für „Naturland“. Jetzt zum ersten Mal auch als Landtagsabgeordneter. „Servus und Glückwunsch! Dir war’s langweilig daheim?“ Eben schüttelt wieder ein alter Bekannter Knoblach, der neben dem Logo des Ökoverbands die „Sonnenblume“ der Grünen am Revers trägt, die Hand. Knoblach war schon auf der Biofach, als die Messe „noch klein war und in einer einzigen Halle stattfand“. Jetzt sind 51.500 Besucher aus fast 150 Ländern da und drängen sich durch die Stände von fast 3300 Ausstellern.
Zu denen zählt, eine besondere Premiere, auch der Bayerische Bauernverband (BBV). Jener mächtige Lobbyist, der zu den heftigsten Kritikern des Volksbegehrens gehört und die Landwirte durch das geforderte Artenschutzgesetz bedroht sieht. „Wir haben es nicht richtig verstanden, uns richtig zu äußern", sagt Ralf Huber, Biolandwirt aus dem Raum München und dennoch überzeugtes BBV-Mitglied. 30 Prozent ökologischer Anbau in Bayern? Der Bauernverband argumentiert vehement gegen dieses im Volksbegehren vorgegebene Ziel. Auch in Nürnberg. Selbst dort, wo sich die Biobranche feiert und Neuheiten präsentiert wie "Gewürzmischungen für Babys und Kleinkinder, ideal zur Geschmacksentwicklung", Algenpresslinge oder alkoholfreien Mojito. Selbst dort, wo man sich über Wachstumsraten für ökologisch produzierte Lebensmittel freut, hat mancher Angst vor einem Zusammenbruch des Marktes und vor Preisverfall: „Es würden so viele Landwirte gerne umstellen, weil sie die Agrarindustrie satt haben“, sagt Huber am kleinen Stand des großen Verbands. „Aber sie können nicht, weil sie ihre Produkte nicht verkauft bekommen.“
Die Hofpfisterei-Geschäftsführerin erzählt, dass vor 15 Jahren noch mehr als zwei Drittel ihrer Kunden sagten: „Wir kaufen bei Euch, obwohl es bio ist.“ Sie hätten nicht nur ihre Brote umgestellt – „sondern auch unsere Kunden“. Paul Knoblach, der aus dem elterlichen Betrieb einst einen Biohof machte, „weil ich mich nicht mehr wohlgefühlt habe, mit der Spritze aufs Feld zu fahren“, hat vor zu viel Bio keine Sorge. Während der Biofach legt die Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern (LVÖ) neue Zahlen vor: 6630 landwirtschaftliche Betriebe im Freistaat sind derzeit Mitglied in einem der Öko-Anbauverbände Bioland, Naturland, Biokreis und Demeter - gegenüber 2017 ein Plus von gut 6,5 Prozent. Der Zuwachs gehe mit einer deutlichen Zunahme der ökologisch bewirtschafteten Fläche einher: 270.902 Hektar Land werden nach Verbandsrichtlinien bewirtschaftet, innerhalb eines Jahres ein Plus von gut 13 Prozent.
Was dem Garstadter Getreide- und Kartoffelbauer schon eher Falten auf der Stirn macht: Dass es „Bioland“ jetzt auch bei Lidlgeben wird. „Das große Glück ist es nicht für alle“, sagt Knoblach und ringt die Hände. Er hat Angst, dass „die großen Riesen Einfluss nehmen auf den ökologischen Landbau“. Dass die Bio-Lieferanten ausgeliefert sind. Ja, Bio brauche Markt. Ja, man müsse auch mit Discountern reden können. Aber auf keinen Fall dürfe die Marke dadurch verlieren: „Wir wollen kein Naturland-Zeichen bei Aldi sehen.“
Während ihm, dem Landtagsneuling, im Gedränge der vielen Messehallen schon wieder ein alter Weggefährte auf die Schultern klopft, sagt Knoblach: „Auch bei uns ist nicht immer alles fröhlich. Es sind auch im ökologischen Landbau Entwicklungen im Gange, die man genau beobachten muss.“ Was er damit meint: Intensivierung. Oder wasserzehrende Kulturen in Regionen, wo es wenig Wasser gibt. „Unsere Felder sind keine Biotope“, sagt Knoblach. „Wir wirtschaften, wir greifen in den Boden ein, wir müssen Gewinn machen.“
Er wehrt sich gegen die „Kinderbuchvorstellung“ vom Biolandwirt, der mit bloßer Hand sein Feld bestellt. Romantisch sei da wenig. Technikfeindlich und rückständig auch nicht: „Heutzutage fahren kameragesteuerte Hackmaschinen über die Biofelder.“ Und mit Blick auf den runden Tisch, den der Ministerpräsident nach dem Erfolg des Volksbegehrens für Mittwoch einberief, sagt der Verbandsmann: „Wir müssen der Firma Söder was liefern.“ Ja, der vorliegende Gesetzentwurf habe „handwerkliche Schwierigkeiten, die so im Gesetz nicht vorkommen sollten, da ist nicht jeder Satz, jedes Wort praxisgerecht“.
Nicole Stocker hat jetzt nur „Angst vor einem Wischiwaschi“. Aber sie sagt: „Die CSU versteht glaube ich gerade, dass sie sich nicht mehr so gemein machen darf mit dem Bauernverband.“ Ein paar Stunden später wird die CSU-Landwirtschaftsministerin beim Messerundgang einen der riesigen Pfister-Laibe in die Hand nehmen fürs Foto am Stand. Paul Knoblach schmunzelt: „Ach, die Michaela.“ Und dann redet er am Naturland-Stand mit seinem Schraudenbacher Kollegen Udo Rumpel über die Welle an Umstellern und darüber, dass konventionell produzierte Lebensmittel viel teurer sein müssten. „Wenn alle Kosten, die der konventionelle Landbau verursacht, eingepreist würden“, sagt Rumpel und zählt auf: Kernenergie, Grundwasserbelastung, Trinkwasserverschmutzung . . . Und mit dem Artenschutzgesetz solle es jetzt bitte schnell gehen. „Als ob wir Zeit hätten!“, sagt Rumpel. „Ich könnt‘ da verzweifeln.“