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ASCHAFFENBURG
Feuerwehren kaufen Sichtschutz gegen Gaffer
Sichtschutzwände gegen Gaffer       -  Mitarbeiter der Autobahnmeisterei Fischbach bei Nürnberg (Bayern) bauen am 11.08.2017 zu Demonstrationszwecken spezielle Sichtschutzwände auf, die Unfallstellen von neugierigen Blicken abschirmen sollen.
Foto: Daniel Karmann (dpa) | Mitarbeiter der Autobahnmeisterei Fischbach bei Nürnberg (Bayern) bauen am 11.08.2017 zu Demonstrationszwecken spezielle Sichtschutzwände auf, die Unfallstellen von neugierigen Blicken abschirmen sollen.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:40 Uhr

Die unterfränkischen Feuerwehren im Raum Aschaffenburg ergreifen im Kampf gegen Gaffer selbst die Initiative: Die Feuerwehren entlang der unfallträchtigen Autobahn 3 haben 18 mobile Sichtschutzwände gekauft, mit denen Unfallopfer geschützt werden können.

Dabei testet der Freistaat in einem Pilotprojekt gerade an zwei Stellen bis Ende 2018 ein flächendeckendes Konzept. Doch den Wehren brennt das Thema Gaffer und Filmer unter den Nägeln. "Wir brauchen jetzt was", fordern Fachleute wie Kreisbrandinspektor Frank Wissel. Überdies seien die jetzt mit Spendengeldern angeschafften, blickdichten Stoffbahnen leichter und schneller vor Ort zu bringen, als die Lösung des Freistaates mit einer Art verblendeten Bauzäunen, erklärt er auf Anfrage. 8500 Euro hat die Anschaffung gekostet, 2500 Euro gab die Sparkasse Aschaffenburg-Alzenau. 

Viel Lob von anderen Wehren

Die Aschaffenburger Wehren hatten dies am Wochenende bekannt gegeben - und dafür viel Lob von anderen Feuerwehren erhalten. Denn bisher haben die Helfer allenfalls große Decken, um Unfallopfer vor neugierigen Blicken zu schützen. "Da brauche ich allein zehn Mann, die herumstehen, um Persönlichkeitsrechte zu schützen", erklärt ein Praktiker.

Den neuen Blickfang bekommen als erste die Wehren entlang der unfallträchtigen Strecke an der A 3 zwischen Waldaschaff und Weibersbrunn. Jeweils das Erstangriffs-Fahrzeug einer Wehr hat dann eine sieben Meter lange und blickdichte Stoffbahn dabei. "Bei zwei, drei eingesetzten Wehren habe ich dann 20 Meter Sichtschutz. Damit kommen wir schon weiter", sagt Wissel. Das Material sei auch schneller vor Ort als die Sichtschutzwände des Freistaates, die erst bei einer Autobahnmeisterei geholt werden müssten - was Stunden dauern kann.

Fotoserie

Das Problembewusstsein in der Politik wächst

Das Thema ist für die Feuerwehren brisant - nicht erst, seit sich ein wütender Feuerwehrmann im vorigen November bei einem Unfall bei Weibersbrunn nicht mehr anders zu helfen wusste, als mit dem Schlauch auf die Fahrzeuge der Gaffer zu zielen, um sie so am Starren und Fotografieren zu hindern. Seitdem gibt es ein gestiegenes Problembewusstsein auch in der Politik. Andere Feuerwehren haben sich bereits nach dem Aschaffenburger Modell erkundigt. Der Feuerwehrverband Unterfranken will sich dem dennoch nicht anschließen, sondern abwarten, was der Test des Freistaates ergibt. Dies sagte ein Sprecher des Verbandes auf Anfrage.

Innenminister Joachim Herrmann hatte das bayernweite Konzept im vorigen August präsentiert: Stahlrahmen in Leichtbauweise, zwischen die eine grüne, blickdichte Folie gespannt ist. Herrmann lässt die neue Waffe gegen Gaffer zunächst im Bereich der Autobahnmeistereien Herrieden an der A 6 (Nürnberg - Heilbronn) und Münchberg an der A 9 (Nürnberg - Berlin) testen. Sie ist mehr als zwei Meter hoch, 2,5 Meter breit und kann zu Wänden von bis zu 100 Metern Länge zusammengebaut werden.

Bis zu 90 Minuten, bis ein Sichtschutz steht

"Damit werden wir Gaffern den sensationsgierigen Blick auf die Unfallstelle versperren", kündigte der Minister an. Das neuartige Sichtschutzkonzept soll laut Herrmann bis Ende 2018 "auf Herz und Nieren" geprüft werden, bevor der bayernweite Einsatz vorangetrieben wird. "Dabei geht es uns insbesondere um die Stärken und Schwächen der technischen Ausstattung und der organisatorischen Rahmenbedingungen." Laut Herrmann ist geplant, die Sichtschutzwände nur bei größeren Unfällen einzusetzen. Grundsätzlich erfolge der Aufbau, wenn eine Sperrdauer der Autobahn von mehr als drei Stunden zu erwarten ist. "Denn die Erfahrungen aus Nordrhein-Westfalen zeigen, dass es bis zu 90 Minuten dauern kann, bis der Sichtschutz steht", erläuterte der Minister.

Die im Pilotbetrieb eingesetzten Sichtschutzwände wurden von der Autobahndirektion Nordbayern und einer mittelfränkischen Fachfirma entwickelt. "Unser System zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es von einem Bediensteten der Autobahnmeisterei allein aufgebaut werden kann", so Herrmann. "Im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen reicht uns ein Transporter als Zugfahrzeug für den Anhänger mit den Sichtschutzelementen." Hierdurch werde auch das Befahren der Rettungsgasse deutlich einfacher, da sich kein schwerer Lkw durch den Stau nach vorne arbeiten müsse.

Für Hermann steht fest: "Das bewusste Anhalten und Filmen des Unfallgeschehens aus reiner Sensationsgier geht gar nicht. Wenn dabei zusätzlich Rettungskräfte behindert werden, müssen diese uneinsichtigen Zeitgenossen die volle Härte des Rechtsstaats zu spüren bekommen." Der Minister kündigte deshalb an, den kürzlich in Kraft getretenen, verschärften Straftatbestand gegen Gaffer entschlossen anzuwenden. "Die bayerische Polizei wird solche Fälle konsequent zur Anzeige bringen", so der Innenminister. Den Gaffern drohe eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe, wenn sie Unfallretter behindern.

 

 
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Kommentare
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  • J. S.
    Das ist des Guten einfach zu viel!
    Umständlicher geht es doch gar nicht mehr. Kauf, Antransport, Auf- und Wiederabbau, Abtransport und Lagerung. Und hat man denn so viel "freie" Feuerwehrleute? Ich denke, nicht.
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Kommen dann Mainpost und andere Blätter noch an Unfallfotos? Jeder will doch Unfallfotos sehen. Die Menschen sind nun mal so.
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  • S. K.
    Ein Wasserwerfer mit Gülle
    statt der Sichtschutz-wände
    würde sicher mehr einen bleibenden
    Eindruck hinterlassen.

    Und dann filmen und Strafen
    das die Schwarte kracht.

    Da kann dann jeder seinen Mitmenschen
    erklären warum die Karre so stinkt und die Haushaltskasse auch schon wieder leer ist.
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  • D. E.
    Einfach 3-4 Kameras aufgestellt, die während des Unfalls die Gegenspur überwachen und später ausgewertet. Dann noch ordentlich die Strafen rauf (abhängig vom Einkommen) - auch bei anderen Verkehrsverstössen - damit es "weh' tut. Risiko erwischt zu werden in Deutschland ist gering und dann noch niedrige Strafen.
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  • J. L.
    Was für ein erbärmliches Zeugnis für unsere Gesellschaft!
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  • M. B.
    Ja traurig aber wahr! Unglaublich zu all dem Stress beim Einsatz sich auch noch um solche Dinge kümmern zu müssen. Was läuft den hier ab in unserer Gesellschaft?
    Dann muss man auch noch Angst haben angeriffen zu werden.
    Alles schon erlebt als Aktives Mitglied einer Feuerwehr und des THW.
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