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Münchberg/Coburg (dpa)
Sichtschutzwände sollen Gaffer fernhalten
Sichtschutzwände gegen Gaffer vorgestellt
Foto: Daniel Karmann (dpa)
dpa
 |  aktualisiert: 11.12.2019 10:15 Uhr

Ein Unfall mit einem Feuerwehrauto, ein Mann stirbt: Für die Rettungskräfte in Coburg ist es ein schwerer Einsatz. Und dann kommen Gaffer und machen zusätzlich Probleme. Stefan Probst, Sprecher der Coburger Polizei, kann auch wenige Tage später immer noch nur mit dem Kopf schütteln, wenn er an die Szene denkt. «Das könnte man sich sparen, das ist unnötige Arbeit für uns», sagt er. Auch beim schlimmen Busbrand mit 18 Toten Anfang Juli auf der Autobahn 9 haperte es nicht nur an der Rettungsgasse. Polizei und Feuerwehr beklagten auch Gaffer, die auf der Gegenfahrbahn ungeniert die Smartphones zückten, um Bilder zu machen und Videos zu drehen.

Mit ihren Aktionen behindern Gaffer nicht nur den Verkehr, indem sie zusätzliche Staus auslösen oder durch Abbremsen neue Unfälle verursachen. Sie stören auch oft die Rettungskräfte bei ihrer Arbeit oder blockieren Rettungswege. Und verletzen die Persönlichkeitsrechte der gefilmten und fotografierten Opfer.

Verkehrsminister Herrmann will reagieren

Bayerns Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) will reagieren. Zwei Autobahnmeistereien in Bayern werden in einem Pilotprojekt bis 2018 mit Sichtschutzwänden ausgestattet, um Unfallstellen vor neugieren Blicken zu schützen. Bis zu 100 Meter lange Sichtbarrieren können bei schweren Unfällen aufgebaut werden. Die Kosten des Pilotprojekts belaufen sich nach Ministeriumsangaben auf insgesamt rund 120 000 Euro. In Münchberg werde außerdem eine Zusammenarbeit mit dem Technischen Hilfswerk erprobt. Dessen Helfer sollen den Aufbau der Sichtschutzwände übernehmen, falls die Autobahnmeisterei nach einem Unfall die Barrieren nicht zeitnah aufstellen kann. 

Verweis auf eigene Erfahrungen

Herrmann verwies auf eigene Erfahrungen nach dem Busunfall im Juli auf der Autobahn 9 bei Münchberg mit 18 Toten: Vor Ort habe er erlebt, wie auf der Gegenfahrbahn Autofahrer bei Tempo 100 abrupt abgebremst hätten, nur «um zu gucken.» Andere hätten im Vorbeifahren schnell das Handy gezückt. Autofahrer würden mit einem solchen Verhalten sich selbst und andere gefährden sowie Rettungskräfte behindern. Ähnliche Sichtschutzwände gibt es bereits in den Niederlanden und seit zwei Jahren auch in Nordrhein-Westfalen. Erfahrungen in NRW hätten gezeigt, dass Rettungskräfte hinter den Barrieren konzentrierter arbeiten könnten und sich sicherer fühlten, sagte Herrmann. Und Unfallopfer seien nicht mehr den neugierigen Gafferblicken ausgesetzt oder gar in der Gefahr, sich auf Aufnahmen in sozialen Medien wiederzufinden.

Risiko von Folgeunfällen durch Gaffer besonders hoch 

Jan Velleman von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW sagt: «Die Idee ist gut und richtig.» Allerdings sei die Anwendbarkeit nicht so einfach. In der ersten Phase eines schweren Unfalls auf der Autobahn sei das Risiko von Folgeunfällen durch Gaffer besonders hoch - und da seien in der Regel noch keine Sichtschutzwände da. Bei längeren Einsatzen und Bergungsarbeiten sei es jedoch gut, wenn die Wände aufgebaut seien. «Sie sind aber kein Allheilmittel.»

Man müsse den Menschen immer wieder vor Augen führen, wie moralisch verwerflich das Filmen und Fotografieren von Unfalleinsätzen sei. Zudem sei es gefährlich, wenn dadurch der Verkehr behindert werde.

Das Gaffen kann eine Ordnungswidrigkeit sein, aber auch den Straftatbestand von unterlassener Hilfeleistung, gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr oder die Verletzung von Persönlichkeitsrechten erfüllen. «Das ist ein weites Feld und meistens ein Sammelsurium mehrerer Tatbestände», sagt der Polizist Probst. Im Fall des tödlichen Unfalls von Coburg komme auch noch der Verdacht auf Nötigung und Beleidigung hinzu. Ein Mann mit Smartphone soll einen Feuerwehrmann angepöbelt und mit Schlägen gedroht haben.

Einsatzkräfte zu beschäftigt: Gaffen bleibt oft ungeahndet

Besonders ärgert es Probst, dass die zwei Streifenpolizisten, die sich mit den Gaffern beschäftigt haben, nicht für andere Einsätze zur Verfügung standen. «Wir können unserer ursprünglichen Aufgabe nicht nachkommen», sagt er.

Bei größeren Unfällen gerade auf Autobahnen bleibt das Gaffen jedoch oft ungeahndet - aus einfachem Grund: «Die Einsatzkräfte vor Ort haben anderes zu tun», sagt Velleman. Wo man aber Beweise habe, werde konsequent nachgefasst.

Dass Gaffer nicht nur einen schnellen neugierigen Blick auf Unfallstellen richten, sondern anhalten und damit sich und andere gefährden, habe es schon immer gegeben, sagt Polizist Probst. Nur: Smartphones und soziale Netzwerke hätten das Problem enorm verschärft, Clips und Fotos von Unfällen würden immer häufiger und immer schneller im Internet veröffentlicht. «Das Ausmaß ist viel größer geworden.»

Beim Busbrand auf der A9 in Münchberg haben sich die Rettungskräfte noch selbst geholfen - ohne Sichtschutzwände. Feuerwehrfahrzeuge wurden vor dem ausgebrannten Wrack geparkt und Planen gespannt. So konnten die Leichen ohne die Blicke von Gaffern geborgen werden.

 
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