Empörung und Entsetzen beim Summer Breeze Open Air 2022: Beim mit gut 40.000 Gästen größten süddeutschen Heavy-Metal-Festival soll es zu sexuellen Übergriffen gekommen sein, insbesondere beim Crowdsurfen. Frauen, die sich auf Händen über das Publikum haben tragen lassen, seien mehrfach auch im Intimbereich angefasst worden - offenbar vorsätzlich.
Ein Jahr später: Das Festival in Dinkelsbühl läuft seit diesem Dienstag und noch bis zur Nacht auf Sonntag. Zu den Vorwürfen von sexuellen Übergriffen ist kein Täter gefasst, alle Ermittlungsverfahren sind eingestellt. Und es wird erneut gesurft auf dem Summer Breeze Open Air 2023 – auch von Frauen, wenngleich gefühlt von deutlich weniger.
Junge Frauen fühlen sich auf dem Summer Breeze Open Air auch 2023 beim Crowdsurfen frei
Eine von ihnen: Eva Strobel aus Augsburg. Sie hatte von den Vorfällen aus dem Vorjahr gewusst, abgeschreckt habe sie sich jedoch nicht gefühlt: "Wer crowdsurft, muss leider damit rechnen, angetatscht zu werden. Geht es zu weit, ist das natürlich schade. Weil an sich ist der Kick, auf Händen getragen zu werden, einmalig. Das erlebt man so kaum in einer anderen Lebenslage."
Jacky Mehnert aus Lindau nimmt's ähnlich wahr: "Man fühlt sich so frei." Sie selbst habe noch nie eine Männerhand dort gespürt, wo sie nicht hingehört. "Und Männer sollten diese Momente auch nicht ausnutzen. Nur, sind wir ehrlich: Es ist leider in der Gesellschaft üblich geworden, dass Frauen einfach angetatscht werden. Das ist kein Problem des Crowdsurfens allein."
Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen zu allen Crowdsurf-Vorfällen eingestellt
Vor einem Jahr war es jedoch explizit ein Problem des Crowdsurfens in Dinkelsbühl - ausgerechnet beim Summer Breeze, einem Metal-Festival, einer Veranstaltung einer Szene, die für hohe Toleranz und Friedlichkeit steht.
Die leitende Oberstaatsanwältin der Staatsanwaltschaft Ansbach, Gabriele Hofmeier, bestätigt auf Anfrage unserer Redaktion: Sechs Vorfälle seien damals angezeigt worden, fünf beim Crowdsurfen, eine bei einer im Publikum stehenden Frau, der unter den Rock gefasst worden sein soll.
"Ein Fall war eine mutmaßliche Vergewaltigung. Während des Auftritts der Band Electric Callboy soll eine Frau gegen ihren Willen hochgehoben, durchgereicht worden sein. Dabei soll mit Fingern in sie eingedrungen worden sein", sagt Hofmeier. Das Resultat der eingeleiteten Ermittlungen in alle Fällen: Kein Täter wurde gefasst, die Ermittlungen sind allesamt eingestellt.
Keine dienlichen Hinweise von Festival-Besuchern nach angezeigter Vergewaltigung
Die Veranstalter des Summer Breeze Open Airs hatten 2022 sofort nach Bekanntwerden der Anzeigen männliche Besucher zu respektvollem Verhalten animiert. Auf hilfreiche Hinweise zu den Vorfällen aus dem Kreis der Fans hofften sie allerdings vergebens. "Es gab keine Berichte von Besuchenden, die uns über weitere Verläufe der Ermittlungen informiert haben", sagt Alex Härtel, der PR-Chef des Festivals auf Anfrage.
Reagiert habe man von Veranstalterseite jedoch unabhängig von Ermittlungsergebnissen. Man habe sich, so Härtel gegen ein generelles Crowdsurfing-Verbot entschieden und auf entsprechende Durchsagen im Tagesverlauf verzichtet - "so lange keine Vorkommnisse gemeldet werden".
Hingewiesen werden Besucherinnen und Besucher in Dinkelsbühl auch 2023 ohne konkreten Anlass auf die Thematik: "Wir haben uns dazu entschlossen mit Durchsagen am Tagesanfang auf das Angebot des Awareness-Zeltes, sowie auf die Kameraüberwachung hinzuweisen", sagt PR-Chef Härtel. "Wir halten Besuchende an, Vorkommnisse bei Polizei, Sicherheit oder dem Infopoint zu melden. Wenn es Übergriffen gäbe, folgen weitere vorbereitete Ansagen."
40 Menschen im Awareness-Team auf dem Summer Breeze Open Air 2023
Das Awareness-Team besteht aus 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Verantwortlich sind dafür auf dem Festival-Gelände Norbert Süß (62), ein Religionspädagoge der evangelischen Kirche, sowie Bernd Rochna (44), ein katholischer Priester. Auch ein Imam ist im Team. Und neben weiteren sozialpädagogischen und seelsorgerischen Kräften auch "einfach ganz normale empathische Menschen", sagt Süß.
In das eigens dafür eingerichtete Zelt am Rand des Infields des Summer Breeze können alle Besucherinnen und Besucher kommen, die sich aus den verschiedensten Gründen unwohl fühlen.
"Wenn deine Grenzen überschritten wurden, in Momenten, in denen du einen Rückzugsraum wünschst oder dir jemand zum Zuhören gut tun könnte." So ist es in der Festival-App beschrieben. "Zu uns können alle kommen", sagt Pfarrer Bernd Rochna. "Und wenn es nur ist, um mal durchzuatmen", ergänzt Religionspädagoge Norbert Süß.
Männeranteil unter den Hilfesuchenden in Dinkelsbühl bei 70 Prozent
2022 habe es 1700 Kontakte zum Team gegeben. Laut Süß liegt der Männeranteil der Hilfesuchenden bei etwa 70 Prozent, ähnlich wie die Geschlechter-Verteilung im Publikum. Einige seien nach mehreren Festival-Tagen einfach nur überfordert.
Auf dem diesjährigen Festival habe sich bisher eine Frau wegen eines sexuellen Übergriffes gemeldet, in diesem Fall nicht beim Crowdsurfen, sagt Süß.
Das Awareness-Team gab es erstmals 2022, unabhängig von möglichen sexuellen Übergriffen. Seit 2015 gibt es bereits eine Seelsorge-Station. Auch andere große Festivals, wie zum Beispiel das Rock im Park in Nürnberg, setzen auf solche Programme. "Es war schon immer unser Wunsch das Awareness-Angebot auszubauen", sagt Härtel. Der nächste Schritt in diesem Jahr: "Es sind zusätzlich mobile Teams unterwegs."
Brütend-schwüle Hitze beim Summer Breeze Open Air und Glück mit dem Gewitter
Vielleicht sorgen diese Teams mit ihren schwarzen Westen für eine gewisse Sensibilisierung. Unsicher fühlt sich Anja Bäuml aus Kulmain in der Oberpfalz nicht auf ihrem ersten großen Festival: "Ganz im Gegenteil. Beim Crowdsurfen demonstrieren die Leute einen wahnsinnigen Zusammenhalt. Niemand wird fallen gelassen. Wenn ich angefasst werde, habe ich nie den Eindruck, dass da Jemand absichtlich an etwas intimere Stellen greifen würde."
Ob Bäuml, Strobel oder Mehnert - die drei jungen Frauen sind sich trotz ihrer guten Erfahrungen einig: Es könne nie schaden, so oft wie möglich und nötig darauf hinzuweisen, dass sich alle Menschen ordentlich verhalten.
Das tun die 40.000 Fans bisher offenbar. Das Summer Breeze Open Air meldet nach derzeitigem Stand außer brütender Hitze keine Vorkommnisse.