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WÜRZBURG
„Das Gesetz muss in dieser Form weg“
Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz       -  Werden Patienten pauschal als Gefährder abgestempelt? An dem geplanten Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz in Bayern gibt es herbe Kritik.
Foto: Timm Schamberger, dpa | Werden Patienten pauschal als Gefährder abgestempelt? An dem geplanten Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz in Bayern gibt es herbe Kritik.
Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 16.12.2021 11:34 Uhr

Entstigmatisierung war das Ziel der bayerischen Staatsregierung. Doch seit Tagen erntet sie für den Entwurf eines neuen Unterbringungsgesetzes für psychisch kranke Menschen herbe Kritik. Es sei „ein extremer Rückschritt in finstere Zeiten der Psychiatrie“, sagte die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses Kathrin Sonnenholzner (SPD) bei der ersten Lesung im Parlament. Patienten würden als Kriminelle vorverurteilt, bemängeln Verbände und Experten. Die Opposition lehnt den Entwurf des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes (PsychKHG) ab. Sozial- und Gesundheitsministerin wollen nun nachbessern. Betroffene in der Region aber sind skeptisch.

Eindrücke der Amokläufe in Bayern haben Gesetz beeinflusst

„Der Gesetzentwurf ist stark geprägt von Amokläufen wie in Würzburg oder Ansbach– aber die Gefahr trifft für den größten Teil der Patienten nicht zu“, sagte Waltraud Stubenhofer, Psychologin und Leiterin des Krisendienstes Würzburg. Die meisten ihrer Klienten würden, wenn überhaupt, sich selbst gefährlich. „Das aber hat mit Kriminalität nichts zu tun.“ Stubenhofer hofft daher auf deutliche Verbesserungen an dem Entwurf, auch wenn die geplante bayernweite Einführung von Krisendiensten richtig sei.

Verbesserungen soll es geben. Sozialministerin Kerstin Schreyer räumte ein, dass „Nachjustierungen“ notwendig sind. Auch Gesundheitsministerin Melanie Huml sagte, sie sei gesprächsbereit. Gleichzeitig solle aber „insbesondere der Hilfe-Teil des Gesetzes möglichst schnell in Kraft treten“. Das will die Opposition verhindern. „Das Gesetz muss in dieser Form weg, und wir werden dafür alles tun, was nötig ist“, sagte Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze.

Dieses Gesetz kann „sogar tödlich wirken“

Einer der Hauptkritikpunkte ist die Unterbringungsdatei mit sensiblen Patientendaten. „Es ist ein Sicherheitsgesetz und kein Hilfegesetz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies im Sinne der Bayerischen Verfassung ist“, sagte Claudia Stamm im Landtag. Für die aus Unterfranken stammende Politikerin könnte das Gesetz in jetziger Form fatale Folgen haben: Die Suizidrate bei bestimmten psychischen Erkrankungen sei bereits hoch, da es an Therapieplätzen mangele und zu lange Wartezeiten gebe. Wenn Patienten sich künftig aus Sorge, dass ihre „Krankheitsdaten für Jahre gespeichert werden, nicht an die Hilfe wenden, die sie bräuchten, kann dieses Gesetz sogar tödlich wirken“.

Ähnlich sieht es Dieter Schneider. Der ehemalige Olympia-Fechter aus Tauberbischofsheim fühlt sich selbst von dem Gesetz betroffen, als Angehöriger. Sein Sohn war an einer schweren Depression erkrankt und hat sich vor drei Jahren das Leben genommen. „Keiner ist vor einer Depression gefeit und niemand möchte in einer wie auch immer gearteten Datei auftauchen und damit in Sippenhaft genommen werden“, so Schneider. Das Gesetz wirke kontraproduktiv und verschlimmere die Situation. Aus Schneiders Sicht sei stattdessen mehr Bewusstsein für psychische Erkrankungen wie Depressionen und mehr Aufklärung notwendig. „Unsere Gesellschaft hat mit dem Thema ein Problem.“

Angst wird geschürt, Vertrauen geht verloren

Auch die Diakonie Bayern warnt, das PsychKHG würde Angst schüren statt Vertrauen schaffen. Im Freistaat gebe es die meisten Unterbringungen im Bundesvergleich und diese könnten so kaum reduziert werden. In Unterfranken wurden im vergangenen Jahr laut Bezirk rund 1700 von insgesamt etwa 9000 stationären Patienten in den Kliniken in Lohr (Lkr. Main-Spessart) und Werneck (Lkr. Schweinfurt) öffentlich-rechtlich untergebracht. Deren Daten würden künftig fünf Jahre lang gespeichert und der Polizei zugänglich gemacht. „Das kann nicht sein“, sagt Josef Mederer, Präsident des Bayerischen Bezirketags. Er fordert, den Zugriff auf maximal sechs Monate zu beschränken und zu anonymisieren.

„Ob jemand in psychischer Behandlung war oder nicht, ist Privatsache und geht die Polizei nichts an“, kritisiert auch der Würzburger SPD-Landtagsabgeordnete Georg Rosenthal. In der aktuellen Fassung müsse das geplante Gesetz „um jeden Preis“ verhindert werden.

Wie kompromissbereit ist die Staatsregierung?

„Vor diesem Gesetz muss niemand Angst haben“, heißt es hingegen vom Sozialministerium, das sich gezwungen sah, einen Faktencheck zu dem Entwurf herauszubringen. Das Gesetz finde nur auf psychisch Kranke Anwendung, die sich selbst oder andere gefährdeten. Bei depressiven Patienten stehe die Hilfe im Vordergrund. Dass Bayern alle psychisch Kranken wie Straftäter behandeln wolle, sei falsch.

Kommende Woche diskutieren Fachleute bei einer Anhörung im Landtag über den Entwurf. Dann wird sich zeigen, wie kompromissbereit die Staatsregierung ist.

 
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