Vor zwei Jahren ist für eine junge Frau aus dem Raum Lohr eine Welt zusammengebrochen. Bis dahin hat die Mutter von zwei Kindern normal gearbeitet, hat sich mit Freunden getroffen, war im Verein, hat mit ihren Kindern Dinge unternommen. Aber auf einmal ging nichts mehr. Sie war wie gelähmt, lebensmüde, fuhr ziellos mit dem Auto umher, bis sie irgendwann auf einem Parkplatz stand und nicht mehr konnte. Mit einer schweren Depression und einer Psychose kam sie ins Bezirkskrankenhaus (BKH) – und blieb dort vier Monate lang.
Freundschaften und Ehe zerbrochen
Seitdem ist nichts mehr, wie es einmal war. Drei verschiedene Medikamente nimmt die junge Frau, Anfang 30, täglich, für akute Suizidgedanken hat sie noch ein Notfallmedikament. Freundschaften sind, wie auch ihre Ehe, in die Brüche gegangen, um eines der Kinder kümmert sich ihr Ex-Mann. Arbeiten konnte sie nicht mehr, auch Sport treiben oder sich mit Freunden treffen bekam sie nicht mehr hin. Früher hat sie viel gelesen, doch heute könne sie sich nicht mehr konzentrieren.
Vergangenes Jahr war der Tiefpunkt. Weil sie nichts mehr schaffte, machte sie sich selbst Vorwürfe. Ein Teufelskreis. Sie fühlte sich nutzlos und dachte, ihre Kinder hätten es leichter ohne sie. Schließlich versuchte sie, sich das Leben zu nehmen. Aber sie überlebte und kam ins Krankenhaus. „Danach bin ich ein bisschen aufgewacht“, sagt sie.
Die Kinder brauchen ihre Mutter
Geholfen hat ihr ein evangelischer Seelsorger im Krankenhaus. Der habe ihr gesagt: „Ja, die Kinder wachsen mit einer kranken Mutter auf, aber sie haben eine Mutter.“ Ihre Kinder bräuchten sie.
Danach holte sie sich Hilfe beim Jugendamt. Auch dort baute man sie auf und sagte ihr: „Eine depressive Mutter ist keine schlechte Mutter.“ Jetzt hat sie eine Familienhilfe, die sich um ihr Kind kümmert und ihm erklärt, warum sich die Mutter öfter mittags hinlegt und weint.
Der Fall in die Depression begann für die Betroffene unmerklich. Nur an Signalen ihres Körpers habe sie gemerkt, dass irgendwas nicht stimmt. Sie hatte immer wieder Schlafstörungen, Magen-Darm-Probleme und Nervenschmerzen, ging deswegen auf Kur. „Mir ging's einfach manchmal nicht so gut“, erzählt sie. Gedanken machte sie sich keine, so gehe es ja wohl jedem mal. Sie nahm zehn Kilo ab. Erst als 2016 der „richtig große Bruch“ kam, und sie „nicht mehr funktionierte“, rekonstruierten Ärzte, dass sie wohl schon seit 2009 unter einer Depression gelitten, es aber nicht gemerkt habe.
Begriffen, dass sie nicht verrückt, sondern krank ist
Im BKH habe sie sich „voll geschämt“, kam sich „wie eine Verrückte“ vor. „Viel weiß ich von den vier Monaten nicht mehr“, sagt sie. Sie habe viele Tabletten nehmen müssen. Nach den vier stationären Monaten, ging sie noch drei Monate in die Tagesklinik. Irgendwann merkte sie, dass dort ganz viele andere Patienten sind, darunter auch gebildete und solche, die man kennt. Aber erst vergangenes Jahr begriff sie, dass sie nicht verrückt, sondern krank ist.
Wieder „zu funktionieren“ brauche Zeit, wie jede andere Krankheit Zeit brauche. Manche Tage seien ganz schwer. Zweimal versuchte sie, wieder zu arbeiten anzufangen. Sie sei jedoch „kläglich gescheitert“. Inzwischen arbeitet sie wieder Teilzeit. Sie hat jetzt einen 50-Prozent-Schwerbehindertenausweis, weil ihre Krankheit Schlaf- und Konzentrationsprobleme mit sich bringen. Sie macht sich keine Illusionen: „Ich nehme mein Leben lang Tabletten.“ Aber die machten sie „nicht glücklich“, sondern hülfen ihr lediglich, überhaupt ihren Tag zu meistern.
Depression auch als Chance begreifen
„Jetzt stell dich nicht so an“, diesen Satz hat sie mehrfach gehört. Auch: „Du hast dich so verändert.“ Es stimmt, sie hat sich verändert, aber sie sei eben krank. Sie bekam einmal gesagt, dass eine Depression auch ein Warnschuss sei und auch eine Chance. Sie findet, da ist etwas dran. Man habe die Chance, wieder ehrlicher zu sich selbst zu sein und am Ende vielleicht wieder glücklicher.
Geholfen hat ihr auch die Selbsthilfegruppe für junge Erwachsene in Lohr, die sich alle zwei Wochen und im Winter mitunter sogar wöchentlich trifft. Die Gruppe besteht inzwischen aus einem Dutzend Betroffener zwischen 18 und Mitte 30. Pro Treffen kommen davon etwa sechs, sieben.
Selbsthilfegruppe als wertvolle Unterstützung
Die Gruppe hilft den Betroffenen, sich mit der eigenen Krankheit auseinanderzusetzen, sie bietet die Möglichkeit, Erfahrungen, Ratschläge und Strategien auszutauschen. Und dort entstehen neue Freundschaften.
Die Mitglieder tauschen sich auch in einer geschlossenen Gruppe in einem sozialen Netzwerk aus. Das sei „gut, wenn man wieder komische Gedanken hat“. So sind andere aus der Gruppe oft auch nachts zu erreichen. Denn Schlaflosigkeit ist ein häufiges Syndrom einer Depression.
In zwei Monaten fängt für die junge Frau endlich ihre Verhaltenstherapie bei einem Psychotherapeuten an. Ein Jahr und vier Monate hat sie darauf gewartet.
Kontakt: Wer sich für die Selbsthilfegruppe für junge Erwachsene interessiert, der kann über die Mailadresse beschissenegedanken@gmx.de Kontakt aufnehmen. Kontakt zu weiteren Selbsthilfegruppen für Depressionen und andere Probleme gibt es beim BRK Selbsthilfebüro Main-Spessart, Tel. (0 93 53) 98 17 86.