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HANDBALL
Tobias Büttner: Ein Jahr nach dem Tag, der alles veränderte
Seit einem Urlaubsunfall am 29. Juli 2019 ist der frühere Handballer der Rimparer Wölfe querschnittgelähmt. Wie es ihm heute geht und wofür er trotz allem dankbar ist.
Er steht wieder - und er steht wieder mitten im Leben: Tobias Büttner, früherer Handballer der DJK Rimpar Wölfe, ein Jahr nach seinem Unfall, seit dem er inkomplett querschnittgelähmt ist.
Foto: Christoph Schaffelhuber | Er steht wieder - und er steht wieder mitten im Leben: Tobias Büttner, früherer Handballer der DJK Rimpar Wölfe, ein Jahr nach seinem Unfall, seit dem er inkomplett querschnittgelähmt ist.
Natalie Greß
 |  aktualisiert: 10.02.2024 07:23 Uhr

Wie viel bewusster würden Menschen leben, wenn jeder ihrer Tage aufgezeichnet würde? Mit allem, was sie gemacht, geredet und gefühlt haben. Und wenn vor ihrem Tod aus allen Tagen ein Museum errichtet werden würde, das ihr Leben genauso zeigt, wie es war? Die Idee stammt von John Strelecky, dem Autor des Bestsellers "The Big Five for Life - Was wirklich zählt im Leben".

Tobias Büttner hat das Buch im vergangenen Winter in der Zentralklinik im thüringischen Bad Berka gelesen. Dort verbrachte der frühere Handballer des Zweitligisten DJK Rimpar Wölfe vier Monate, nachdem ein banaler Sturz im Sommerurlaub auf Mallorca fatale Folgen hatte: Seither ist der 27-Jährige inkomplett querschnittgelähmt. An diesem Mittwoch jährt sich sein Unfall zum ersten Mal.

Ein bedrückender Museumstag

"Der 29. Juli 2019 ist kein Tag, der nicht in meinem Museum drin sein sollte", sagt Büttner kurz vor dem Jahrestag ernst. "Allerdings ist es keine angenehme Erinnerung, sondern ein düsterer, bedrückender Raum. Ich würde schnell durchgehen, die nächsten Räume werden heller und schöner." 

Trotz seiner Querschnittlähmung sagt Tobias Büttner über sein Leben: 'An fast allen Tagen ist es mir ein inneres Blumenpflücken.' 
Foto: Natalie Greß | Trotz seiner Querschnittlähmung sagt Tobias Büttner über sein Leben: "An fast allen Tagen ist es mir ein inneres Blumenpflücken." 

An Gehen war vor einem Jahr nicht zu denken. Noch im November hatte ihm eine Ärztin gesagt: "Ich rechne damit, dass du nie wieder selbstständig laufen wirst." Damals schon lachte Büttner. Heute lacht er noch mehr. Mit Sonnenbrille, in dunkelblauer Hose und Sneakers steht er vor seiner Wohnung in Erlangen und spielt den Parkplatzeinweiser. Unter seinem engen grauen T-Shirt zeichnen sich Muskeln ab, die er in den Kliniken mit 20 Kilo Körpergewicht verloren und inzwischen teilweise wieder aufgebaut hat. Er schlägt einen Spaziergang in den nahen Biergarten vor. Ohne Rollstuhl. Ohne Rollator. Ohne Krücken. "In Begleitung schaffe ich ganz kurze Wege ohne Gehhilfe."

"Bei einem Test vor drei Wochen wurde mir bezogen auf meine Ausdauer und Kraft ein biologisches Alter von 62 attestiert. Erst dachte ich: Geil! Bald darf ich in Rente!"
Tobias Büttner

Der ehemalige Leistungssportler muss sich konzentrieren. Das rechte Bein ist steifer als das linke.  "Roboterstyle" nennt er seinen wackeligen Gang, der ihm schon Platzwunden beschert hat. Dass er auch mal hinfällt, dass er sich immer wieder festhalten muss, dass er viel länger braucht als früher -sei's drum. Es ist ein Stück Selbstständigkeit. Auch in seiner Wohnung kommt Büttner weitgehend alleine klar. Außer einem Stuhl in der Badewanne, einem Haltegriff in der Dusche und einer Toilettensitzerhöhung waren keine Veränderungen nötig, seit er im April aus der Reha im Schwarzwald nach einem dreiviertel Jahr in Krankenhäusern nach Hause zurückgekehrt ist. Beim Putzen, Wäschewaschen und Kochen unterstützen ihn seine Mutter und Schwester.

"Nach einem Test kürzlich wurde mir - bezogen auf meine Ausdauer und Kraft - ein biologisches Alter von 62 attestiert", erzählt er unterwegs. "Erst dachte ich: Geil! Bald darf ich in Rente! Aber eineinhalb Wochen später war ich schon 53, inzwischen hab ich mich auf 43 verjüngt. Ich muss wohl doch noch ein paar Jahre arbeiten."

So sah Tobias Büttner vor etwa einem Jahr aus, als er nach seinem Sturz auf Mallorca in der Zentralklinik in Bad Berka operiert wurde und auf der Intensivstation aufwachte. 
Foto: Büttner | So sah Tobias Büttner vor etwa einem Jahr aus, als er nach seinem Sturz auf Mallorca in der Zentralklinik in Bad Berka operiert wurde und auf der Intensivstation aufwachte. 

Tatsächlich hat am 20. Juli seine Wiedereingliederung bei der Sparkasse Forchheim begonnen. Der Bankkaufmann ist in seinen Job als Teamleiter in der Online-Beratung  und Vertriebscoach für Mitarbeiter zurückgekehrt. Angefangen hat er mit zwei Stunden am Tag, bis Ende des Jahres will er wieder voll im Dienst sein. Langweilig wird ihm bis dahin nicht werden mit Physiotherapie und Krafttraining, mit seiner Stiftung "Nerven aus Stahl" und den Ämtern, die er bei seinem Handballverein TV Erlangen-Bruck übernehmen will. Zudem plant Büttner, sein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Nürnberg zu beenden. "Ich muss mit der Uni abklären, wie das mit den schriftlichen Prüfungen läuft, denn schreiben geht so gut wie nicht. Meine Unterschrift kann ich unleserlich krakeln, aber für lange Texte ist die Spastik in den Händen noch zu groß."

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Sein Putensteak im Biergarten kann er selbst schneiden, die Beilagen machen ihm mit dem Besteck ebenfalls kein Problem. "Es gab Zeiten, da hab ich auf der Speisekarte nicht gewählt, was mir am besten schmeckt, sondern was ich eigenständig essen konnte", berichtet er. "War auch schon mal ein Vorgeschmack aufs Alter."

Ein Stehaufmann

Tobias Büttner ist ein Stehaufmann im wahrsten Sinne des Wortes. Resilienz nennen Psychologen die Fähigkeit, Krisen zu meistern und als Antrieb für Entwicklung zu nutzen. Und doch: So sonnig dieser widerstandskräftige junge Mann wirkt, wie er sein Schicksal mit Humor schultert, wie er Schweres scheinbar leicht (er)trägt, wie er sein Versehrtsein ohne Verzagen annimmt und damit für so viele Vorbild ist - immer wieder schimmert jenseits der Perforation, die seine Biografie in vor und nach dem Unfall trennt, auch eine andere Seite durch. Weniger ein Schatten als eine Tiefe. Sie gründet auf existenziellen Einsichten ins Leben. "Ich bin reifer und ruhiger geworden", antwortet Büttner auf die Frage, wie ihn das vergangene Jahr verändert habe. Und plötzlich wirkt er sehr verletzlich.

Tobias Büttner hat sich fest vorgenommen, 'jeden Tag etwas Gutes zu tun und mindestens einen Menschen zum Lächeln bringen'.
Foto: Natalie Greß | Tobias Büttner hat sich fest vorgenommen, "jeden Tag etwas Gutes zu tun und mindestens einen Menschen zum Lächeln bringen".

Dankbar sei er neben dem Kampfgeist, den ihn der Leistungssport gelehrt habe, vor allem für das Netz aus Menschen, das ihn aufgefangen habe - "Familie und Freunde, Arbeitgeber und Therapeuten". Das Bewusstwerden darüber, dass er dieses engmaschige und tragfähige Netz selbst mit angefertigt hat, macht ihn fast verlegen. "Vielleicht bin ich ja doch ein ganz netter Mensch", meint er. Tatsächlich ist Büttner ein Menschenfischer. Einer, dem wichtiger ist, was andere über ihn denken als das, was er selbst von sich hält, gibt er zu. 

Jeden Tag ein Lächeln

Wenn er sich in seltenen Momenten doch fragt, welchen Sinn sein Unfall hat, dann denkt er an Schriftsteller Strelecky und dessen Konzept vom "Zweck der Existenz". Tobias Büttner hat sich vorgenommen, "jeden Tag mindestens einen Menschen zum Lächeln bringen. Das gibt auch mir ein gutes Gefühl." 

Sollte der frühere Handballer jemals durch seine Lebensräume streifen, werden ihn vermutlich viele Gesichter anlachen. Bis dahin dürfte jemand wie er noch etliche erfüllte Museumstage erleben. 

 
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