zurück
Fußball-Umfrage
Straßenkicker oder Weicheier? Das sagen 6 unterfränkische Trainer zum neuen Jugendfußball-Modell des DFB
Ist es sinnvoll, Kinder ohne Wettbewerbsgedanke Fußball spielen zu lassen? Ohne Tabellen? Ohne klassische Tore? Kritik daran kommt nicht nur aus der Fußball-Bundesliga.
Geteiltes Echo: (oben von links) Marc Reitmaier, Matthias Gerhardt,  Julian Grell sowie (unten von links) Hansjürgen Ragati, Marco Wildersinn und Tobias Riedner beurteilen die Reformpläne zum Kinderfußball höchst unterschiedlich.
Foto: Fotos  foto2press/Frank Scheuring (2), Anand Anders (2), Daniel Rathgeber, Thomas Obermeier | Geteiltes Echo: (oben von links) Marc Reitmaier, Matthias Gerhardt,  Julian Grell sowie (unten von links) Hansjürgen Ragati, Marco Wildersinn und Tobias Riedner beurteilen die Reformpläne zum Kinderfußball ...
Daniel Rathgeber
,  Frank Kranewitter
 und  Michi Bauer
 |  aktualisiert: 15.07.2024 16:06 Uhr

Ab 2024 greift das neue Jugendfußball-Modell des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Heiß diskutiert wird darüber schon heute in den Kommentarspalten unter Presseberichten und in den sozialen Medien. Selbst DFB-Vizepräsident Hans-Joachim Watzke ätzte. "Unfassbar und für mich nicht nachvollziehbar", sagte der 64-Jährige, auch Aufsichtsratschef der Deutschen Fußball Liga und Geschäftsführer von Borussia Dortmund, auf einem Unternehmertag in Essen. Und kündigte Änderungen der Reform an.

Damit fiel er Hannes Wolf (42), dem neuen für den Nachwuchs zuständigen DFB-Direktor, in den Rücken. Das maßgeblich von ihm getragene Konzept sieht neben der Abschaffung der A- und B-Junioren-Bundesligen vor allem eine Wettbewerbs-Umstrukturierung in den jüngeren Altersklassen vor, wo es deutlich reduziert ums Gewinnen gehen soll, um kleinere Mannschaftsgrößen auf kleineren Spielfeldern. Um Funino statt klassischem Kleinfeldfußball. Es habe sogar Diskussion gegeben, so Watzke, nicht mehr auf Tore zu spielen. "Demnächst spielen wir dann noch ohne Ball", sagte er sarkastisch. "Oder wir machen den eckig, damit er den langsameren Jugendlichen nicht wegläuft."

Auch aus der Bundesliga kamen kritische Stimmen, die vor einer Verweichlichung künftiger Fußball-Generationen warnten, beispielsweise von Steffen Baumgart, dem Trainer des 1. FC Köln: "Wir sind eine Generation, die nur noch den weichen und seichten Weg geht." Für Watzke nachvollziehbar: "Wenn du als Sechs-, Acht- oder Neunjähriger nie das Gefühl hast, wie es ist, zu verlieren, dann wirst du auch nie die große Kraft finden, um auch mal zu gewinnen. Wenn wir Angst haben, dass ein Achtjähriger komplett aus dem Lebensgleichgewicht geworfen wird, weil er mal 5:0 mit seiner Mannschaft verliert, dann sagt das viel über die deutsche Gesellschaft aus."

So reagieren die Trainer der drei Regionalligisten FC 05 Schweinfurt, TSV Aubstadt und FC Würzburger Kickers, sowie drei unterfränkische Jugend-Verantwortliche. 

Marc Reitmaier (40 Jahre, FC 05 Schweinfurt, Regionalliga Bayern)

Marc Reitmaier
Foto: foto2press/Frank Scheuring | Marc Reitmaier

"Vor zwei Jahren war ich als NLZ-Trainer der Würzburger Kickers in den betreffenden Ausschüssen gesessen. Ich bin ein Wettkampftyp und ein großer Freund von Ergebnis-Sport. Es stimmt schon: Wenn eine schwächere Mannschaft nur mauert, um ein besseres Resultat zu erzielen, dann hemmt das die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Die Denkweise des DFB, so etwas zu verhindern und gleichzeitig Individualität zu fördern, kann ich nachvollziehen. Und trotzdem bin ich kein Freund davon. Ja, wir brauchen wieder mehr Bolzplatz-Mentalität und Straßenfußballer. Aber wir brauchen auch Typen wie früher einen Jürgen Kohler, der ein gegnerisches Spiel zerstören konnte. Beide Qualitäten sind wichtig für eine komplette Fußball-Mannschaft."

Matthias Gerhardt (47, SpVgg Hambach, Kreisklasse Schweinfurt 1; U11 TSV Brendlorenzen)

Matthias Gerhardt
Foto: Anand Anders | Matthias Gerhardt

"Keine Tabellen mehr: Für mich ist das totaler Quatsch. Wir haben uns als Kinder gefreut, wenn unsere Ergebnisse und Tabellen in der Zeitung standen. Verlieren gehört zum Sport, aber vor allem auch zum Leben dazu. Das muss man lernen. Am wichtigsten ist natürlich, dass die Kids Spaß haben, aber der Leistungsgedanke sollte immer dabei sein. Wir sollten wieder mehr Straßenfußballer fordern und fördern. Echte Typen fehlen doch in unserem Sport mittlerweile. Funino ist als Trainingsform wirklich gut. Aber Spiele sollten auf normale Tore mit Torhütern stattfinden. Sonst ist das für mich genauso ein Quatsch wie Futsal. Die Idee ist ja, dass alle Spieler Einsatzzeit haben. Aber das können ja die Trainer beeinflussen. Manchmal langt ja auch ein 5:0 und es muss kein 10:0 sein. Da sollte eventuell ein Umdenken bei manchem Coach stattfinden."

Julian Grell (36, TSV Aubstadt, Regionalliga Bayern)

Julian Grell
Foto: Anand Anders | Julian Grell

"Ob es schlecht für die fußballerische Entwicklung der jungen Leute ist, dass keine Tabellen geführt werden, weiß ich nicht. Ich finde aber, dass der Leistungsgedanke zu spät kommt. Für die Breite mag das nicht schlecht sein, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das für die Spitze von Vorteil ist – und das will der DFB ja: Spitzensportler ausbilden. Ich bin aber kein Pädagoge und lasse mich gerne eines Besseren belehren, warum dies so der bessere Weg sein soll."

Hansjürgen Ragati (56, Nachwuchs-Koordinator TSV Großbardorf)

Hansjürgen Ragati
Foto: Daniel Rathgeber | Hansjürgen Ragati

"Ich glaube, wir verlieren mit der Reform total den Leistungsgedanken aus den Augen. Die Kinder müssen lernen, mit Sieg und Niederlage umzugehen – dazu gehören auch Ergebnisse und Tabellen. Wenn wir alle Kinder über einen Kamm scheren, wenn alle bei Turnieren eine Medaille bekommen, ist das nicht zielführend. Wir vermitteln ihnen so, dass sie sich nicht mehr anstrengen müssen. Ich halte das für den völlig falschen Weg. Die Kinder wollen sich im Wettkampf messen und wir wollen Spieler herausbringen, die mit dem Leistungsprinzip etwas anfangen können. Funino an sich als Spielform halte ich übrigens für super: Es wird gewechselt, es sind sehr viele Spieler involviert und sie müssen ständig Entscheidungen treffen. Aber man sollte Punkte vergeben und Tabellen führen."

Marco Wildersinn (42, Würzburger Kickers, Regionalliga Bayern)

Marco Wildersinn
Foto: Foto2press/Frank Scheuring | Marco Wildersinn

"Generell finde ich, vieles von dem, was ich über das Konzept gehört habe, gut. Es ist wichtig, dass beim Kinderfußball wirklich alle zum Einsatz kommen und es ist auch gut, dass bei Spielen in kleinen Gruppen wie beim Drei gegen Drei jeder Aktionen hat. Es bleibt die Frage, ab welcher Altersstufe es Tabellen geben sollte. Bei Fünf- oder Sechsjährigen ist das sicherlich noch nicht nötig. Aber es gehört zum Wettkampf dazu, dass es Gewinner und Verlierer gibt und sich das irgendwo niederschlägt. Irgendwann muss es diesen Switch geben. Letztlich sind aber vor allem die Trainer gefragt, im Nachwuchsbereich nicht in erster Linie auf das Ergebnis zu schauen."

Tobias Riedner (38, vom DFB zertifizierter Kindertrainer TG Höchberg)

Tobias Riedner
Foto: Thomas Obermeier | Tobias Riedner

"Ich habe mich sehr darüber geärgert, was Hans-Joachim Watzke zuletzt gesagt hat. Seit zehn Jahren wurde beim DFB an diesem Konzept gearbeitet und jetzt kommt plötzlich Gegenwind aus den eigenen Reihen. Das Konzept ist aus meiner Sicht absolut richtig. Für uns geht es darum, Kindern das Fußballspielen beizubringen. Und das funktioniert viel besser, umso öfter jedes Kind den Ball am Fuß hat. Bei einem normalen Spiel sieben gegen sieben gibt es im Schnitt 50 Ballkontakte. Da haben die Besten 150 Mal den Ball, die schlechteren Spieler aber nur sieben oder zehnmal und manche sitzen die ganze Zeit auf der Bank. Das ist beim Funino anders. Da sind alle einbezogen, da werden alle gefördert und gefordert. Und wenn manchmal behauptet wird, dabei gebe es keine Gewinner und Verlierer, ist das einfach falsch. Auch da geht es ums gewinnen. Ich sehe unterm Strich viele, viele Vorteile, die jetzt nicht zerredet werden sollten."

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Schweinfurt
Bad Neustadt
Aubstadt
Daniel Rathgeber
Frank Kranewitter
Michi Bauer
1. Fußballclub Schweinfurt 1905
1.FC Köln
Borussia Dortmund
Deutscher Fußball-Bund
FC Würzburger Kickers
Fußball-Bundesliga
Fußball-Regionalliga Bayern
Fußballspiele
Hans-Joachim Watzke
Jürgen Kohler
Kinder und Jugendliche
Kreisklasse Schweinfurt 1
TG Höchberg
TSV Aubstadt
TSV Brendlorenzen
TSV Großbardorf
Trainer und Trainerinnen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Karl Fersch
    Kommentar auf eigenen Wunsch gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Mario Nikola
    Die schönste Nebensache der Welt wird heute unheimlich kompliziert gemacht,so zumindest mein Eindruck. Es gibt so viele tolle Konzepte und Fachleute und Spielsysteme (die verstehen die meisten gar nicht .....) dass einem schwindelig werden kann. Wir haben einfach auf einem Hartplatz gebolzt, auf ein altes Holztor mit Maschendraht. Wir hatten riesigen Spaß und spielten oft bis es dunkel wurde. Wir freuten uns auf den Tag ,an dem wir endlich in eine der beiden "Schülermannschaften" spielen durften. Endlich mit richtigen Trikots und Fußballschuhen. Da kam es auch vor ,dass man als 13 jähriger mal gegen einen 17 oder 18 jährigen spielen musste. Das hat uns angespornt und wir sind vor Stolz fast geplatzt da mitspielen zu dürfen. Wir haben auch oft hoch verloren und mit der Zeit hat man gelernt sich zu behaupten und nicht aufzugeben. Diese Mentalität wurde dadurch geprägt. Ich bin 51 Jahre alt und es war eine andere Zeit,aber man darf die Jugendlichen nicht immer nur in Watte packen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Ralf Eberhardt
    Das Problem ist doch eher, dass die Kinder immer früher schon auf den Wettbewerb losgelassen werden. Ich - zu meiner Zeit in 1965/66 - bin mit 10/11 zum Fussball. Und der Rest der "Welt" war genauso alt. Für mich wäre es unvorstellbar gewesen, ohne Gewinn und Verlust zu spielen, selbst, als wir - im ersten meiner Spiele - 10:0 verloren haben.
    Aber mittlerweile werden die jungen Menschen einfach überfordert. Und insofern: vielleicht eine Idee, diesen Streß zu entspannen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten