
Ab 2024 greift das neue Jugendfußball-Modell des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Heiß diskutiert wird darüber schon heute in den Kommentarspalten unter Presseberichten und in den sozialen Medien. Selbst DFB-Vizepräsident Hans-Joachim Watzke ätzte. "Unfassbar und für mich nicht nachvollziehbar", sagte der 64-Jährige, auch Aufsichtsratschef der Deutschen Fußball Liga und Geschäftsführer von Borussia Dortmund, auf einem Unternehmertag in Essen. Und kündigte Änderungen der Reform an.
Damit fiel er Hannes Wolf (42), dem neuen für den Nachwuchs zuständigen DFB-Direktor, in den Rücken. Das maßgeblich von ihm getragene Konzept sieht neben der Abschaffung der A- und B-Junioren-Bundesligen vor allem eine Wettbewerbs-Umstrukturierung in den jüngeren Altersklassen vor, wo es deutlich reduziert ums Gewinnen gehen soll, um kleinere Mannschaftsgrößen auf kleineren Spielfeldern. Um Funino statt klassischem Kleinfeldfußball. Es habe sogar Diskussion gegeben, so Watzke, nicht mehr auf Tore zu spielen. "Demnächst spielen wir dann noch ohne Ball", sagte er sarkastisch. "Oder wir machen den eckig, damit er den langsameren Jugendlichen nicht wegläuft."
Auch aus der Bundesliga kamen kritische Stimmen, die vor einer Verweichlichung künftiger Fußball-Generationen warnten, beispielsweise von Steffen Baumgart, dem Trainer des 1. FC Köln: "Wir sind eine Generation, die nur noch den weichen und seichten Weg geht." Für Watzke nachvollziehbar: "Wenn du als Sechs-, Acht- oder Neunjähriger nie das Gefühl hast, wie es ist, zu verlieren, dann wirst du auch nie die große Kraft finden, um auch mal zu gewinnen. Wenn wir Angst haben, dass ein Achtjähriger komplett aus dem Lebensgleichgewicht geworfen wird, weil er mal 5:0 mit seiner Mannschaft verliert, dann sagt das viel über die deutsche Gesellschaft aus."
So reagieren die Trainer der drei Regionalligisten FC 05 Schweinfurt, TSV Aubstadt und FC Würzburger Kickers, sowie drei unterfränkische Jugend-Verantwortliche.
Marc Reitmaier (40 Jahre, FC 05 Schweinfurt, Regionalliga Bayern)

"Vor zwei Jahren war ich als NLZ-Trainer der Würzburger Kickers in den betreffenden Ausschüssen gesessen. Ich bin ein Wettkampftyp und ein großer Freund von Ergebnis-Sport. Es stimmt schon: Wenn eine schwächere Mannschaft nur mauert, um ein besseres Resultat zu erzielen, dann hemmt das die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Die Denkweise des DFB, so etwas zu verhindern und gleichzeitig Individualität zu fördern, kann ich nachvollziehen. Und trotzdem bin ich kein Freund davon. Ja, wir brauchen wieder mehr Bolzplatz-Mentalität und Straßenfußballer. Aber wir brauchen auch Typen wie früher einen Jürgen Kohler, der ein gegnerisches Spiel zerstören konnte. Beide Qualitäten sind wichtig für eine komplette Fußball-Mannschaft."
Matthias Gerhardt (47, SpVgg Hambach, Kreisklasse Schweinfurt 1; U11 TSV Brendlorenzen)

"Keine Tabellen mehr: Für mich ist das totaler Quatsch. Wir haben uns als Kinder gefreut, wenn unsere Ergebnisse und Tabellen in der Zeitung standen. Verlieren gehört zum Sport, aber vor allem auch zum Leben dazu. Das muss man lernen. Am wichtigsten ist natürlich, dass die Kids Spaß haben, aber der Leistungsgedanke sollte immer dabei sein. Wir sollten wieder mehr Straßenfußballer fordern und fördern. Echte Typen fehlen doch in unserem Sport mittlerweile. Funino ist als Trainingsform wirklich gut. Aber Spiele sollten auf normale Tore mit Torhütern stattfinden. Sonst ist das für mich genauso ein Quatsch wie Futsal. Die Idee ist ja, dass alle Spieler Einsatzzeit haben. Aber das können ja die Trainer beeinflussen. Manchmal langt ja auch ein 5:0 und es muss kein 10:0 sein. Da sollte eventuell ein Umdenken bei manchem Coach stattfinden."
Julian Grell (36, TSV Aubstadt, Regionalliga Bayern)

"Ob es schlecht für die fußballerische Entwicklung der jungen Leute ist, dass keine Tabellen geführt werden, weiß ich nicht. Ich finde aber, dass der Leistungsgedanke zu spät kommt. Für die Breite mag das nicht schlecht sein, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das für die Spitze von Vorteil ist – und das will der DFB ja: Spitzensportler ausbilden. Ich bin aber kein Pädagoge und lasse mich gerne eines Besseren belehren, warum dies so der bessere Weg sein soll."
Hansjürgen Ragati (56, Nachwuchs-Koordinator TSV Großbardorf)

"Ich glaube, wir verlieren mit der Reform total den Leistungsgedanken aus den Augen. Die Kinder müssen lernen, mit Sieg und Niederlage umzugehen – dazu gehören auch Ergebnisse und Tabellen. Wenn wir alle Kinder über einen Kamm scheren, wenn alle bei Turnieren eine Medaille bekommen, ist das nicht zielführend. Wir vermitteln ihnen so, dass sie sich nicht mehr anstrengen müssen. Ich halte das für den völlig falschen Weg. Die Kinder wollen sich im Wettkampf messen und wir wollen Spieler herausbringen, die mit dem Leistungsprinzip etwas anfangen können. Funino an sich als Spielform halte ich übrigens für super: Es wird gewechselt, es sind sehr viele Spieler involviert und sie müssen ständig Entscheidungen treffen. Aber man sollte Punkte vergeben und Tabellen führen."
Marco Wildersinn (42, Würzburger Kickers, Regionalliga Bayern)

"Generell finde ich, vieles von dem, was ich über das Konzept gehört habe, gut. Es ist wichtig, dass beim Kinderfußball wirklich alle zum Einsatz kommen und es ist auch gut, dass bei Spielen in kleinen Gruppen wie beim Drei gegen Drei jeder Aktionen hat. Es bleibt die Frage, ab welcher Altersstufe es Tabellen geben sollte. Bei Fünf- oder Sechsjährigen ist das sicherlich noch nicht nötig. Aber es gehört zum Wettkampf dazu, dass es Gewinner und Verlierer gibt und sich das irgendwo niederschlägt. Irgendwann muss es diesen Switch geben. Letztlich sind aber vor allem die Trainer gefragt, im Nachwuchsbereich nicht in erster Linie auf das Ergebnis zu schauen."
Tobias Riedner (38, vom DFB zertifizierter Kindertrainer TG Höchberg)

"Ich habe mich sehr darüber geärgert, was Hans-Joachim Watzke zuletzt gesagt hat. Seit zehn Jahren wurde beim DFB an diesem Konzept gearbeitet und jetzt kommt plötzlich Gegenwind aus den eigenen Reihen. Das Konzept ist aus meiner Sicht absolut richtig. Für uns geht es darum, Kindern das Fußballspielen beizubringen. Und das funktioniert viel besser, umso öfter jedes Kind den Ball am Fuß hat. Bei einem normalen Spiel sieben gegen sieben gibt es im Schnitt 50 Ballkontakte. Da haben die Besten 150 Mal den Ball, die schlechteren Spieler aber nur sieben oder zehnmal und manche sitzen die ganze Zeit auf der Bank. Das ist beim Funino anders. Da sind alle einbezogen, da werden alle gefördert und gefordert. Und wenn manchmal behauptet wird, dabei gebe es keine Gewinner und Verlierer, ist das einfach falsch. Auch da geht es ums gewinnen. Ich sehe unterm Strich viele, viele Vorteile, die jetzt nicht zerredet werden sollten."
Aber mittlerweile werden die jungen Menschen einfach überfordert. Und insofern: vielleicht eine Idee, diesen Streß zu entspannen.