Auf der großen Tür, die oben am Ende der Stufen wartet, steht "Kaugummi-Kauen verboten". In der Sporthalle dahinter coacht Tobias Riedner, kurzrasierte Haare, blauer TGH-Pullover. Er lässt die Kinder der U7 und U8 der TG Höchberg an diesem Donnerstag Fußball spielen. So wie jeden Donnerstag, wenn er die Kinder trainiert, von denen er sagt: "Die werden später deutlich bessere Fußballer sein als diejenigen, die klassisch trainieren."
Riedner setzt die neuen Spielformen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) für Kinder um. Funino ist eine davon: Drei gegen Drei auf vier kleine Tore. Doch die neuen Spielformen sind laut DFB "weit mehr als das". In der U6 und U7 beispielsweise soll Zwei gegen Zwei oder Drei gegen Drei auf einer Spielfeldgröße von 16 x 20 bis 28 x 22 Metern gespielt werden. Es gibt vier Mini-Tore, jede Mannschaft verteidigt zwei, einen Torwart gibt es nicht. In höheren Altersklassen wachsen Anzahl der Spieler und die Größe der Felder sowie der Tore – auch Torhüter darf es dann geben.
Der DFB-Bundesjugendtag hatte sich bereits einstimmig für die verbindliche Umsetzung der neuen Spielformen im Kinderfußball ausgesprochen. Die Regelung soll mit Beginn der Saison 2024/25 bundesweit in Kraft treten. Den offiziellen Beschluss dazu hat der DFB-Bundestag im März 2022 gefasst.
Riedner hat Vergangenheit beim Würzburger FV und den Würzburger Kickers
Die Variante mit vier Mini-Toren ist diejenige, die offiziell Funino heißt. "Der Bayerische Fußball-Verband gibt aber nicht vor, dass man immer so spielen lässt", betont Riedner. Es komme darauf an, wie der Trainer sein Konzept ausrichte.
Das klassische Training im Gegensatz – also etwa warmlaufen, hin und her passen, nacheinander aufs Tor schießen – hat der gebürtige Würzburger selbst zur Genüge erlebt. Riedner spielte unter anderem beim Würzburger FV, den Würzburger Kickers und in Höchberg, wo er, IT-Manager im Beruf, heute mit seiner Familie lebt. Nun ist er in seiner dritten Saison Jugendtrainer bei der TGH.
Der 37-Jährige hat sich schon früh als Trainer ausprobiert. "Ich habe schon als ich 19, 20 war, angefangen, Jugendmannschaften zu trainieren", erzählt Riedner. Seit der ältere seiner zwei Söhne in der U6 spielte, trainiert Riedner den Sprössling. Der Junge spielt mittlerweile in der U8, sein kleiner Bruder in der U7. In seinen Anfangszeiten habe er noch klassisch trainieren lassen, sagt er. Aber: "Ich wusste, ich werde definitiv Trainer von meinen Jungs und wollte einfach wissen, wie man das modern macht."
Beim Funino geht es um häufige Ballaktionen
Wie das aussieht, wird dann in der Halle deutlich, in der Kaugummi-Kauen verboten ist. Etwa 15 Kinder sind an diesem Nachmittag da, sie tragen Sportschuhe und blau-weiße Trikots der TG Höchberg. Noch beim Aufwärmen zeigt sich, wie wichtig pädagogische Erfahrung ist: Zwei Jungen geraten aneinander, streiten sich, einer weint sogar. Riedner und sein Co-Trainer schlichten die Situation, reden ruhig auf die Kinder ein. Wenig später ist wieder alles gut. "Pädagogik ist die Hauptaufgabe", sagt Riedner.
Er teilt die Mannschaften nicht nach einem bestimmten Schema ein. Er lässt den Zufall entscheiden. Jedes Kind zieht eine Spielkarte, so entstehen drei Mannschaften. Team Rot, Team Grün, Team Gelb. Beim Funino geht es vor allem darum, dass die Kinder während eines Trainings möglichst oft den Ball berühren und möglichst viele Offensiv- und Defensivaktionen haben.
Riedner beobachtet eine Randerscheinung des Funino
Es soll eben nicht so sein, dass die Kinder in einer Schlange stehen, warten und nacheinander aufs Tor schießen. Oder dass ein Kind, das vielleicht nicht so gut ist, den Ball während eines Spiels erst gar nicht bekommt. "Das kommt häufiger vor, als man glaubt", sagt Riedner.
Der große Vorteil sei der Gedanke dahinter: Sich eben nicht nur für ein Spiel zu treffen, sondern richtige Fußball-Events mit mehreren kurzen Partien zu veranstalten, sagt Riedner. "Ziel ist, dass die Spieler permanent Fußball spielen. Bei einem Drei-gegen-Drei ist jeder in Aktion und erlebt ständig Sieg und Niederlage, Tor und Gegentor."
DFB und BFV bieten Fortbildungen wie den "Kindertrainer" an
In der Halle startet das erste Spiel. Schnell wird ersichtlich, wer fußballerisch besonders viel draufhat. Einer der Jungen schießt den Ball gleich zweimal mit links beeindruckend ins Tor. Er jubelt nach dem ersten Mal so, wie Cristiano Ronaldo es immer tut. Sprung in die Luft, Drehung, Arme bei der Landung nach hinten gestreckt. Es ist aber auch zu sehen, wer seine Probleme hat.
Durch Funino, findet Riedner, würden alle gefördert. Das hebele jedoch nicht aus, dass schlechtere Spieler merken, dass sie schlechtere Spieler sind. Das sei ursprünglich ein Ziel von Funino gewesen. Generell aber ist Riedner ein großer Fan der neuen Spielformen, das wird im Gespräch schnell deutlich.
Der Trainer ist durch Fortbildungen des DFB und des Bayerischen Fußball-Verbands (BFV) zu der neuen Spielart gekommen. Etwa durch Online-Schulungen während der Corona-Pandemie oder Präsenzveranstaltungen, als die wieder möglich waren. So zum Beispiel die Zertifizierung als "Kindertrainer", die Riedner besitzt. "Dort ging es zu 80, 90 Prozent darum, die neuen Übungsformen kennenzulernen und sie selber zu praktizieren", berichtet der Trainer.
TG Höchberg hat Umstellung unterstützt
Für die Umstellung bei der TG Höchberg habe Riedner volle Rückendeckung vom Verein gehabt, teuer war das Projekt dennoch. "Wir haben alleine vergangenes Jahr 22 Mini-Tore angeschafft", sagt Riedner. Das Stück habe zwischen 100 und 150 Euro gekostet. "Das ist ein Brett, das muss sich ein Verein erstmal leisten können."
Am Ende des Trainings gibt es ein Fußball-Spiel: Kinder gegen Trainer. Die Kinder gewinnen. Danach versammeln sich alle im Kreis, jedes Kind bekommt ein Weingummi. Rot, grün oder gelb. Nur ein Junge greift sich zwei. Die anderen beschweren sich. "Das ist für meinen Bruder", sagt der Junge. Ob man ihm das glauben kann?
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